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Crashtest im Krankenhaus

Medizin. - Kindesmisshandlungen nachzuweisen, ist für Ärzte oft schwer, da die Folgen nicht immer äußerlich sichtbar sind. Um Aussagen der Eltern besser überprüfen zu können, gehen norwegische Forensiker jetzt einen ungewöhnlichen Weg.

Von Kristin Raabe | 08.04.2008
    Weil das Baby nicht aufhören wollte zu schreien, schüttelte es der überforderte Vater solange, bis es endlich Ruhe gab. Aber da war das Kind schon längst bewusstlos. Im Krankenhaus erzählt er dann, es sei ihm vom Wickeltisch gefallen. Andere behaupten, es wäre das Sofa oder ein Stuhl gewesen. Aufmerksame Ärzte haben dann meist schnell den Verdacht auf ein Schütteltrauma. In Deutschland treten jährlich etwa 300 Fälle auf. Ein Drittel der Kinder stirbt an den Folgen der schweren Hirnschäden. Aber auch die Überlebenden haben mit schweren Beeinträchtigungen zu kämpfen. Viele leiden unter Sehschwächen, Lernstörungen und Hyperaktivtät. Arne Stray-Pedersen ist forensischer Pathologe an der Universität Oslo und Experte für das Schütteltrauma.

    "In einem typischen Fall wird ein auf diese Weise misshandeltes Kleinkind oder Baby in ein Krankenhaus gebracht. Die Ärzte diagnostizieren dann schwere Kopfverletzungen. Diese Babys haben keine blauen Flecken oder andere äußere Verletzungen. Aber das Gehirn dieser Kinder hat Schaden erlitten, sie haben Blutungen im Kopf. Wir forensischen Pathologen glauben, dass diese Verletzungen entstehen, wenn jemand das Kind zu stark geschüttelt hat."

    Weil äußere Verletzungen fehlen und ähnliche Schäden im Kopf auch durch seltene Krankheiten oder durch den Geburtsvorgang entstehen können, ist den Tätern das Schütteln ihres Kindes kaum nachzuweisen. Außerdem berufen sich seit einiger Zeit manche Anwälte auf das Gutachten eines amerikanischen Arztes, der nach Experimenten mit einem Crashtest-Dummy behauptete, der Kopf eines Kindes würde eher abfallen, als dass das Gehirn durch das Schütteln Schaden erleide. Um dieser Behauptung den Boden zu entziehen, hat Arne Stray-Pedersen gemeinsam mit Ingenieuren einen eigenen Dummy entwickelt. Das Besondere an dieser Puppe: Vor allem im Inneren des Kopfes sitzen Sensoren, die die Beschleunigung und den Druck messen, der beim Schütteln auf das Gehirn wirkt.

    "Wissen Sie, ein "g" ist die Gravitationskraft, die uns am Boden hält. Auf einen Kampfpiloten wirken bis zu zehn g. Alles, was darüber hinaus geht, ist lebensgefährlich. Wir haben bei unseren Experimenten mit der Puppe innerhalb des Schädels 15 bis 16 g gemessen."

    Allerdings gelten diese Werte vermutlich nur für die allerschlimmsten Fälle von Schütteltrauma. Noch ist Arne Stray-Pedersen dabei seine Puppe zu optimieren, damit sie die Kräfte, die auf das Gehirn des Kindes einwirken, noch exakter wiedergibt. Aber bereits jetzt setzt er sie ein, um Tathergänge zu rekonstruieren.

    "Ein Vater behauptete, er hätte sein Baby fallen lassen, als er die Treppe herunterging. Das Kind war bewusstlos und hatte schwere Verletzungen im Gehirn. Die Ärzte nahmen an, dass ein simpler Sturz keine so schweren Verletzungen hervorgerufen haben könnte."

    Mit seinem Team hat der norwegische Pathologe dann den Ort des Geschehens besucht und auch die Härte des Fußbodens gemessen.

    "Wir glauben, dass er die Wahrheit gesagt hat. In unserem Labor haben wir noch einige Messungen vorgenommen. Der Fall erfolgte aus zweieinhalb Metern Höhe auf einen sehr harten Boden. Das kann beim Kind Brüche und alle möglichen anderen schweren Verletzungen hervorrufen."

    In diesem Fall haben die Experimente mit dem Dummy also geholfen, den Vater zu entlasten. Noch sind nicht alle Studien zum Schütteltrauma abgeschlossen. Wenn es soweit ist, könnten auch andere Pathologen ein Modell der Hightech-Puppe erhalten und mit ihrer Hilfe einen Tathergang so rekonstruieren, dass Kindesmisshandlung und Schütteltrauma vor Gericht beweisbar werden.