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Credit mit Tücken

Das "European Credit Transfer and Accumulation System" ECTS soll europaweit sicherstellen, dass Studierende Leistungen, die sie bei Auslandsstudien erbringen, auf ihren Bachelor oder Master anrechnen können. Doch auch fast 20 Jahre nach seiner Einführung funktioniert das System noch lange nicht reibungslos.

Von Ruth Reichstein | 13.05.2008
    Katharina Ulrich steckt mitten in den Vorbereitungen für ihre Masterprüfung in Biowissenschaften. Die 24-Jährige studiert an der Universität Münster, hat aber kurz vor ihrem Bachelor-Abschluss zwei Semester im schwedischen Lund verbracht.

    " Bevor ich gefahren bin, habe ich mich bei einem Professor und anderen Leuten aus der Uni-Verwaltung erkundigt und da wurde mir gesagt, dass es im Rahmen des European Credit Transfer System gar kein Problem mehr wäre, sich Sachen aus dem Ausland anerkennen zu lassen, weil man ja diese europäischen Noten bekommen würde. "

    Diese Auskunft bekommen die meisten Studierenden in Deutschland, wenn sie ein oder mehrere Semester im Ausland studieren wollen. Schließlich gelten Gesetze, die besagen: Das European Credit Transfer System - kurz ECTS - soll allen Studierenden garantieren, Leistungen, die im Ausland erbracht werden, voll für den heimischen Abschluss anerkannt zu bekommen. 60 Punkte entsprechen den Leistungen in einem Jahr. Sie werden je nach belegten Kursen und Arbeitsaufwand vergeben.

    Aber die Europäische Studentenvereinigung ESU stellte kürzlich in einer Umfrage fest, dass 47 Prozent der europäischen Hochschulen noch immer Probleme haben bei der Anerkennung:

    " In fast allen europäischen Ländern gibt es zwar die entsprechenden Gesetze, aber in der Praxis funktioniert es nicht. Das ist ein richtig großes Problem für die Studierenden. Es gibt bisher kein Land, dass das System komplett anwendet, "

    sagt der ESU-Vorsitzende Koen Geven.

    Am besten stehen nach den Untersuchungen der ESU die skandinavischen Länder da, die Niederlande, Irland und Belgien. In Ländern wie Deutschland, Polen oder Frankreich funktioniere das System immerhin teilweise. Besonders schlecht werde es in den südeuropäischen Ländern umgesetzt.

    Für Katharina Ulrich fing das Gezerre um ihre Bachelor-Punkte 2004 an. Sie hatte in Schweden einen biomedizinischen Kurs - in Immunologie - belegt, den es in dieser Form an ihrer Heimatuniversität Münster nicht gab. Entgegen ihrer ursprünglichen Informationen wurden ihr die Punkte nicht anerkannt.

    " Dann wurde mir gesagt, dass ich noch eine Prüfung in der Immunologie machen müsste, um zu beweisen, dass ich wirklich etwas gelernt habe. Aber es gibt ja keinen Professor dazu. Das war noch vor meiner Bachelor-Prüfung. Da war ich da total im Stress und musste meine Versuche machen. Dann musste ich mich da noch immer drum kümmern und man sitzt dann auf heißen Kohlen und denkt sich: Oh mein Gott, was soll ich machen? "

    Die Biowissenschaftsstudentin bekam keinen deutschen Bachelor, nur einen schwedischen. Immerhin schaffte sie es - nach langen Verhandlungen - in Münster für den Masterstudiengang akzeptiert zu werden. Für den Vorsitzenden der Europäischen Studentenvereinigung Koen Geven liegt der Hauptgrund für solche Probleme bei den Hochschullehrern:

    " Es gibt noch immer zu viele Dozenten, die denken, dass ihr Unterricht der absolut beste ist und dass alle anderen den Studierenden nicht das gleiche beibringen können. Sie erkennen die anderen Kurse dann einfach nicht an. "

    Dazu kommt, dass das System in vielen Ländern noch in der Entwicklungsphase steckt. Schließlich wird das gesamte Ausbildungssystem erst seit einigen Jahren - in Deutschland seit 2004 - auf Bachelor- und Master-Abschlüsse umgestellt.

    " Wir brauchen ein Umdenken in den Universitäten. Das soll nicht heißen, das die Lernangebote in ganz Europa harmonisiert werden sollen. Aber die Hochschullehrer müssen begreifen, dass Studierende bestimmte Qualifikationen erwerben können - unabhängig vom konkreten Inhalt der Seminare, "

    sagt David Crosier vom Verband der europäischen Universitäten. Die Organisation versucht seit Jahren ihren Mitgliedern bei der Umsetzung von ECTS zu helfen. Crosier ist überzeugt, dass es dafür einfach noch mehr Zeit braucht:

    " Niemand würde behaupten, dass jemand, der in Deutschland studiert hat, genau das gleiche gelernt hat wie einer, der in Österreich studiert hat. Aber deshalb ist nicht der eine Abschluss besser als der andere. Die Arbeitgeber erkennen schließlich beide gleichermaßen an. Wenn das auf dem Arbeitsmarkt funktioniert, dann sollten das eigentlich auch die Universitäten schaffen. "

    Die Studierenden können bis dahin nur hoffen, dass sie bei ihrer Anerkennung Glück haben. Eine zentrale Beschwerdestelle gibt es nämlich nicht. Als letzter Ausweg bleibt dann nur eine Klage vor Gericht.