Donnerstag, 28. März 2024

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CRISPR und Krebs?
Genschere könnte Tumorrisiko erhöhen

Die Genschere CRISPR/Cas gilt als Wunderwaffe der Biowissenschaften und in der Gentherapie. Jetzt haben Arbeitsgruppen Hinweise gefunden, dass die Methode Krebs befördern könnte. Wie stark das Risiko steige, müsse noch vollständig erforscht werden, sagte Bernhard Schmierer, einer der beteiligten Forscher, im Dlf.

Bernhard Schmierer im Gespräch mit Christiane Knoll | 15.06.2018
    CRISPR CAS9 beim Bearbeiten von DNA
    CRISPR/Cas, die neue, hochpräzise Genschere, könnte Krebs befördern, haben zwei Laborexperimente aus den USA und aus Finnland und Schweden ergeben (imago stock&people)
    Christiane Knoll: Seit den 80er-Jahren träumt man davon, defektes Erbmaterial zu reparieren. Auf den Hype folgte die Ernüchterung und ein Innehalten, als ein Patient während eines Versuchs starb. Mit Nebenwirkungen muss gerechnet werden, das ist die Lektion, die Gentherapeuten schon früh gelernt haben. Vor diesem Hintergrund lassen zwei Laborexperimente aus den USA und aus Finnland und Schweden aufhorchen, die jetzt in "Nature Medicine" veröffentlicht wurden. CRISPR/Cas, die neue, hochpräzise Genschere, die derzeit so viel von sich reden macht, könnte Krebs befördern. Am Karolinska-Institut haben wir Bernhard Schmierer erreicht, der die Versuche in Stockholm geleitet hat. War es eine Zufallsentdeckung, oder hat er gezielt nach dem Effekt gesucht?
    Bernhard Schmierer: Ja, das war im Grunde eine Zufallsentdeckung. Wir haben nach wichtigen Genen in Krebszellen gesucht, also nach Genen, die gebraucht werden, damit Krebszellen überhaupt wachsen. Und zur Kontrolle haben wir gesunde Zellen benutzt. Und dabei haben wir entdeckt, dass P53, der Wächter des Genoms, aktiviert wird, wenn wir mit CRISPR schneiden.
    Dort, wo CRISPR-Mechanismus gut funktioniert, sind Zellen besonders anfällig
    Knoll: Sie haben sich im Zellexperiment also eine Art "Erste Hilfe Kit" angeschaut, ein Eiweiß namens P53. Dort wo dieses "Erste Hilfe Kit" schlecht funktioniert, kann Krebs entstehen, soweit alles bekannt. Sie haben nun festgestellt, dass der CRISPR-Mechanismus ausgerechnet dort gut funktioniert, wo das "Erste Hilfe"-Molekül schwach ist. Das heißt, die erfolgreich mit dem CRISPR-Skalpell reparierten Zellen sind gleichzeitig die, die besonders krebsanfällig sind. Stimmt das so?
    Schmierer: Ja, das ist richtig.
    Knoll: Könnten Sie uns die Abläufe nochmal an einem konkreten Beispiel erklären, vielleicht an der Sichelzellanämie, da laufen die Vorbereitungen für klinische Versuche. Wie sieht so eine Therapie aus, und an welcher Stelle könnte Krebs ins Spiel kommen?
    Schmierer: Sichelzellanämie ist eine erbliche Blutkrankheit und die Behandlung, mit der gerade in klinischen Versuchen mit CRISPR experimentiert wird sieht so aus, dass Stammzellen aus dem Blut der Patienten isoliert werden. Dann werden die Gene editiert, also mit CRISPR/Cas im Reagenzglas im Labor ausgebessert und in den Patienten zurück injiziert. Das sollte ihnen erlauben, neue Rote Blutkörperchen zu bilden, die jetzt die korrekte Funktion haben, sie sind in ihrer Funktion nicht mehr eingeschränkt, wie sie es sonst bei der Sichelzellanämie sind. Weil nun die Zellen, bei denen das Überschreiben besonders erfolgreich war, genau die Zellen sind, bei denen P53 eingeschränkt funktioniert, kann es passieren, dass eine oder einige zurückinjizierte Zellen langfristig im Patienten zu Krebszellen werden.
    Im Moment eher ein theoretisches Risiko
    Knoll: Wie groß ist der Effekt? Wie stark steigt das Krebsrisiko?
    Schmierer: Das kann ich wirklich nicht sagen. Im Moment ist das eher ein theoretisches Risiko. Die Ergebnisse sind vorläufig, denn sie wurden nicht mit den Zelllinien durchgeführt, die derzeit bei den Gentherapie-Versuchen benutzt werden. Sie müssen mit den Zellen, die eingesetzt werden, wie etwa den Stammzellen aus dem Blut von Patienten bestätigt werden. Andererseits müssen wir eine Nutzen-Risiko-Abwägung vornehmen. Die Sichelzellanämie etwa ist keine nette Krankheit, aber sie verläuft doch vergleichsweise mild und ob es sich lohnt, hier ein Risiko in Kauf zu nehmen – das muss wirklich für jede Krankheit einzeln geprüft werden.
    Die Medien haben groß berichtet, die Börsen haben reagiert, sodass die CRISPR-Unternehmen an Wert verloren haben und ich denke, das ist definitiv eine übertriebene Reaktion und nicht gerechtfertigt, weil CRISPR immer noch eine sehr wichtige Methode ist und unser Ergebnis A) vorläufig ist und B) nicht das Aus wäre sondern nur eine neue Hürde, die wir bestimmt irgendwie überwinden können.
    Knoll: Was muss jetzt passieren, müssen die klinischen Studien, die schon laufen gestoppt werden?
    Schmierer: Es ist schwer, hier zu verallgemeinern. Aber die meisten klinischen Versuche sind vermutlich nicht betroffen vom Mechanismus, den wir gefunden haben. Am Ende ist es Sache der FDA oder anderer regulatorischer Instanzen zu entscheiden. Und weil wir gerade von der Sicherzellanämie gesprochen haben: einer der laufenden Versuche wurde von der FDA Ende Mai schon gestoppt aus Gründen, die mir nicht ganz klar sind. Sie hatten wahrscheinlich Zweifel an der Sicherheit.