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Cronenberg: Provokation ist nicht meine Absicht

Sigrid Fischer: An Cronenberg- Filme haben die Zuschauer, Ihre Fans besonders, bestimmte Erwartungen, die werden in Eine Dunkle Begierde nicht unbedingt erfüllt. Thematisch allerdings kann man da schon Verbindungen zu anderen Ihrer Filme finden, sehen Sie die auch?

David Cronenberg im Gespräch mit Sigrid Fischer |
    David Cronenberg: Nein. Meine anderen Filme spielen keine Rolle, wenn ich drehe. Das ist so, als hätte ich nie zuvor einen anderen gedreht. Ich habe kein Muster im Kopf, das ich anwende, damit der Film wie ein Cronenberg Film aussieht oder die Fans meiner frühen Horrorfilme zufriedenstellt. So denke ich nicht. Wenn jetzt also Leute sagen, ich hätte erwartet, dass Sie die Träume, über die in "Eine Dunkle Begierde" geredet wird, inszenieren, dann sage ich: Das Originaltheaterstück heißt: The Talking Cure, also Heilung durch sprechen, es geht ums Sprechen. Deshalb will ich die Träume nicht sehen, sondern hören. So wie Freud und Jung auch. Wenn sich die beiden unterhalten, dann will ich ihre Reaktionen auf das, was der andere sagt, sehen und nicht irgendeine Cronenberg'sche Traumsequenz. Ich denke grundsätzlich nicht darüber nach, was für die Leute typisch Cronenberg ist und was nicht.

    Fischer: Aber Sie haben sich doch offensichtlich schon lange vorher für Psychoanalyse, für die menschliche Psyche interessiert, das Thema haben Sie nicht erst bei diesem Film für sich entdeckt.

    Cronenberg: Das stimmt. Aber ich denke jeder, der im 20. Jahrhundert aufgewachsen ist, wurde wohl von Sigmund Freud beeinflusst. Und von der Psychoanalyse. Das atmet man quasi mit der Luft ein. Die Leute reden über ihr Unterbewusstes, über Minderwertigkeitskomplexe, über ihr Ego - all das sind Freudsche Begriffe. Ich habe auch Freunde, die in Toronto Psychologie studiert und mir davon erzählt haben, und damals wurde mir klar, dass es sich bei der Psychoanalyse um eine ganz neue Beziehungsform handelte, um die zwischen Therapeut und Patient, das ist eine sehr merkwürdige, weil erfundene Beziehung. Die wir heute ganz normal finden. Damals aber war es revolutionär, dass man einen sicheren Ort brauchte, wo man über Dinge sprechen konnte, über die man sonst mit niemand reden konnte, nicht mit der Familie, nicht mit dem Ehepartner. Da war jemand, zu dem man keine persönliche Beziehung hat, der einen nicht beurteilen, sondern ganz neutral bleiben würde. Das war einzigartig. Und sehr intim, weil man ja gebeten wird, über die intimsten Dinge zu reden, über seine Träume und seine Sexualität, Für einen Dramatiker ist das sehr interessant.

    Fischer: Wissenschaft und Experimente spielen in Ihren Filmen öfter eine Rolle, hat das damit zu tun, dass Sie Naturwissenschaften studiert haben.

    Cronenberg: Ich war sehr gut in Naturwissenschaften und das hat mich sehr interessiert. Es interessiert mich immer noch. Zum Beispiel finde ich es interessant, dass Freud und Jung unbedingt als Wissenschaftler gesehen werden wollten, nicht als Philosophen oder Künstler. Weil sie dann nicht ernst genommen worden wären. Dabei kann die Psychoanalyse keine richtige Wissenschaft sein, weil man in der Wissenschaft Experimente braucht, die beliebig wiederholbar sind. Unter den gleichen Bedingungen müssten sowohl in N Y als auch in Peking die gleichen Ergebnisse herauskommen. Aber mit Menschen funktioniert das nicht, sowohl der Analytiker als auch der Patient sind Individuen. Deshalb glaube ich, es liegt in der Natur der Psychoanalyse, dass sie auch zum Teil Philosophie und zum Teil Kunst ist.

    Fischer: Heißt das dann umgekehrt auch, dass die Kunst, zum Beispiel das Filmemachen, eine Art therapeutische Wirkung entfalten kann? Was ja gerne behauptet wird.

    Cronenberg: Das glaube ich nicht, ich sehe Kunst überhaupt nicht als Therapie, das sind zwei vollkommen verschiedene Dinge. Wenngleich Künstler und Psychoanalytiker manchmal ähnlich vorgehen: Beide werden zunächst mit einer offiziellen Version der Wirklichkeit konfrontiert - durch einen Patienten, oder durch die Gesellschaft - und beide sagen: Das ist interessant, aber was steckt dahinter, was ist das Unausgesprochene, das Versteckte dabei? Das, was Leute zu einem bestimmten Verhalten veranlasst? Das heißt Analyst und Künstler schauen unter die Oberfläche. Aber ich würde nie von Kunst als Therapie sprechen, weil Psychoanalyse versucht, ein bestimmtes Problem, einen Knoten zu lösen. Ich sehe nicht, dass Kunst dazu imstande wäre.

    Fischer: Sie drehen ja gerne sehr düstere Filme, die mehr oder weniger subtilen Horror verbreiten, Sie blicken gerne in menschliche Abgründe, befassen sich mit Sexobsessionen, nervt es sie, Leute immer wieder versuchen, von diesen Szenarien auf Ihr Inneres, auf Ihre Psyche zu schließen?

    Cronenberg: Erstmal muss man verstehen, dass Filmemachen etwas sehr Spielerisches ist. Wie bei Kindern. Egal wie düster ein Film ist, er hat immer etwas von kindlicher Verspieltheit. An meinen Filmsets geht es sehr locker und humorvoll zu, wir sind wie Kinder, die im Sandkasten spielen. Wir verkleiden uns, wir kleben uns einen Schnurrbart an und tun so, als wären wir jemand anderer. Man darf doch nicht denken, dass ich ohne Filme zu drehen zum Amokläufer würde. Ich würde vielleicht schreiben oder malen, weil ich einfach ein kreativer Mensch bin. Aber auch ohne all das wäre ich bestimmt kein Amokläufer. Die Leute glauben ja immer, man müsse eine traumatische Kindheit gehabt haben, wenn man schaurige Filme dreht. Ich hatte eine sehr gute Beziehung zu meinen Eltern, sie waren sehr kreativ, meine Mutter Pianistin, mein Vater Autor. Und ich meine, wenn Sie romantische Komödien drehen, heißt das doch auch nicht, dass Sie ein romantischer, witziger Mensch sind. Im Gegenteil, Komiker sind oft furchtbare Leute. Sie sind böse, rachsüchtig und gemein. Also da gibt es keinen unmittelbaren Zusammenhang.

    Fischer: Sie werden häufig "Regieprovokateur" genannt, auch die Vermarktungsabteilung Ihres Films nennt Sie so. Teilen Sie sich den Titel mit Lars von Trier?

    Cronenberg: Ich habe nicht alle Filme von Lars gesehen. Er ist ein interessanter Regisseur, aber wir sind sehr verschieden. Zum Beispiel provoziert er gerne, und ich nicht, das ist überhaupt nicht meine Absicht. Mir muss niemand sagen: Ihr Film hat mich schockiert. Aber Lars braucht das scheinbar. Ich habe ihn nie kennengelernt, ich schließe das aus Interviews. Auch in seinen Pressekonferenzen schockiert er offenbar gerne. Ich bin lieber witzig. Ich möchte nicht schockieren.

    Fischer: Im Original heißt Ihr Film ja "A Dangerous Method", eine gefährliche Methode. Wie sind Sie eigentlich mit dem dt Titel zufrieden? Oder nehmen Sie den gar nicht wahr?

    Cronenberg: Sie meinen: eine Dunkle Begierde? Ich bin mir dieses Titels sehr wohl bewusst. Für einen Regisseur ist das immer interessant. Die Verleiher hatten Angst, dass eine direkte Übersetzung von "Eine Gefährliche Methode" im Deutschen sehr klinisch klingen könnte. Aber im Englischen klingt es auch klinisch, wo ist also das Problem? Aber da muss ich einfach darauf vertrauen, dass sie sich damit auskennen. Ich kenne das deutsche Publikum nicht, und natürlich kann es Missverständnisse geben. Im englischen würde der deutsche Titel in die total falsche Richtung weisen - "dunkle Begierde", da denkt man doch an einen romantischen Roman für Mädchen. Also ich hätte eine Übersetzung des englischen Titels bevorzugt, aber es ist, wie es ist.