Sonntag, 12. Mai 2024

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CSU-Politiker wirft Russland "systematische Drohpolitik" vor

Nach Ansicht des CSU-Europaparlamentariers Bernd Posselt müssen bei den deutsch-russischen Regierungskonsultationen auch Menschenrechtsverletzungen in Russland angesprochen werden. Die "systematische Drohpolitik" Moskaus bei Energielieferungen nach Europa solle dazu dienen, Kritik an Verletzungen der Menschenrechte im Keim zu ersticken. "So konnte man vielleicht mit einem Schröder umgehen", sagte Posselt, der das Treffen von Bundeskanzler Gerhard Schröders (SPD) Nachfolgerin Angela Merkel (CDU) mit Menschenrechtsorganisationen im vergangenen Jahr in Moskau als vorbildlich lobte.

Moderation: Jürgen Liminski | 26.04.2006
    Jürgen Liminski: Das Datum der deutsch-russischen Konsultationen ab heute Abend im sibirischen Tomsk ist ambivalent, denn der Jahrestag der Katastrophe von Tschernobyl heute vor genau 20 Jahren wirft auch politische Fragen auf. Wie zuverlässig ist Moskau als Energiepartner und wie sieht es aus mit der Informationspolitik in Putins Reich? Gibt es Pressefreiheit, Transparenz, Rechtstaatlichkeit? Solche Fragen wird Frau Merkel ihrem Gesprächspartner Putin kaum stellen, aber sie bestimmen das Klima der deutsch-russischen Konsultationen und darüber hinaus das Klima Russlands mit der EU.

    Darüber wollen wir nun sprechen mit dem Außenpolitiker der EVP-Fraktion im Europaparlament Bernd Posselt. Er ist auch Präsident der Pan-Europa-Union, der größten fraktionsübergreifenden Gruppe in diesem Parlament. Zunächst einmal guten Morgen, Herr Posselt!

    Bernd Posselt: Grüß Gott!

    Liminski: Herr Posselt, anders als Ihr Vorgänger Schröder pflegt Frau Merkel eine freundliche Distanz zu Putin. Ist das gut für die deutsch-russischen Beziehungen?

    Posselt: Es ist auf jeden Fall gut für Deutschland und für die Europäische Union, weil sie einen realistischen, vernünftigen Stil pflegt, der einerseits deutsche Interessen und europäische Interessen im Auge hat, aber auf der anderen Seite eben auch sieht, dass zu diesen Interessen Demokratie und Rechtstaatlichkeit in Russland gehören, während Schröder eigentlich damals mehr oder minder klar gemacht hat, dass er auf die innere Entwicklung Russlands pfeift. Er hat Putin einen lupenreinen Demokraten genannt und seine Geschäfte betrieben.

    Liminski: Seit einigen Jahren ist in Russland eine Art Restauration zu beobachten. Entfernt sich denn Moskau von der Demokratie? Kann man noch von Rechtsicherheit und Pressefreiheit sprechen?

    Posselt: Es war natürlich Russland von Anfang an nach Jahrzehnten des Kommunismus und einer sehr schwierigen Geschichte in einer ungünstigen Ausgangsposition, was Demokratie und Rechtstaatlichkeit betrifft. Aber immerhin wurde damit in der Jelzin-Ära begonnen. Dass es Rückschläge gab auf diesem Weg, das ist mehr oder minder normal. Man kann das nicht von heute auf morgen verankern. Aber was wir in den letzten Jahren und vor allem Monaten beobachten, das ist eine massive zielstrebige, systematische Zurückdrängung der Pressefreiheit, der Demokratie und der Rechtstaatlichkeit gemäß den Interessen des Kreml, also vor allem Putins, und auch gemäß den Interessen der Energieriesen wie Gazprom und Transneft, die ja im staatlichen Besitz sind.

    Liminski: Bleiben wir bei diesen Energiefragen. Russland ist ein wichtiger Energielieferant für Deutschland und Europa. In jüngster Zeit nun scheint man in Moskau in Zeiten zurückzufallen - Sie sagen es ja auch -, die man eigentlich längst vergangen glaubte. Man versucht es mit verbalen Erpressungen, etwa dass man Erdgas und Erdöl auch nach China und Indien liefern könnte. Europa bekäme dann weniger. Wie ernst muss man solche Drohungen nehmen?

    Posselt: Das geht weit über verbale Erpressungen hinaus. Wir haben ja erlebt, dass im Winter - und zwar als es wirklich am kältesten war - nicht nur der Ukraine, sondern auch Moldawien, Ungarn, zeitweise auch Italien das Gas abgedreht wurde. Hier gibt es eine systematische Drohpolitik, von der ich nicht glaube, dass sie ungeschickt und zufällig ist, wie das manche Beobachter einschätzen, sondern hier ist ein systematisch aufgebautes Drohszenario festzustellen. Erst die faktischen Lieferungsreduzierungen im Winter, die wurden dann wieder ein bisschen relativiert. Dann jetzt die verbalen Erpressungen innerhalb weniger Tage zuerst von Gazprom und dann von Transneft gegen die Europäische Union. Der China-Besuch Putins gehört in diese Gesamtstrategie und dann auch die interessante Tatsache, dass in den russischen Medien kaum von diesen Dingen die Rede ist, weil die ja von Gazprom weitgehend gekauft wurden und gleichgeschaltet sind.

    Liminski: Aber wenn das systematisch ist, wie Sie sagen, welche Ziele verfolgt dann die Regierung Putin mit solchen Drohungen?

    Posselt: Ich glaube, dass die Ziele darin bestehen, dass man versucht, Kritik, die es in Westeuropa gibt, an der Menschenrechtssituation in Russland, an dem Abbau von Demokratie und Rechtstaatlichkeit im Keim zu ersticken. Man hofft, dass die Europäer quasi in vorauseilendem Gehorsam hier Rücksicht auf ihre Energieinteressen, auf ihre Wirtschaftsinteressen nehmen und nicht mehr laut und deutlich von eventuellen Menschenrechtsverletzungen sprechen.

    Ich glaube aber, dass das eine Fehlkalkulation ist. So konnte man vielleicht mit einem Schröder umgehen, aber nicht mit der Europäischen Union, wie sie seit 1. Mai 2004 besteht, der auch Polen und die baltischen Staaten und andere angehören, die diese Art Erpressungspolitik nur zu gut kennen. Und so kann man auch nicht mit einer Angela Merkel umgehen, die ja schließlich auch unter dem sowjetischen Regime aufgewachsen ist und weiß, wie solche Verhaltensweisen postsowjetischer Art einzuschätzen sind.

    Liminski: Stichwort Menschenrechtsverletzungen, sie haben es zweimal genannt. Ist denn Tschetschenien im Europaparlament ein Thema, oder sollte es auch bei den deutsch-russischen Konsultationen eines sein?

    Posselt: Im Europaparlament haben wir systematisch thematisiert Tschetschenien, immer wieder, regelmäßig. Wir haben auch eine interfraktionelle Arbeitsgruppe, die sich systematisch mit den Menschenrechtsverletzungen dort beschäftigt und Tschetschenien nach Straßburg einlädt und auch Nichtregierungsorganisationen von Russen. Das vergisst man immer wieder, dass es die in großer Zahl gibt, die sich für die Menschenrechte der Tschetschenen einsetzen, was besonders mutig ist, weil das in Russland nicht populär ist. Es wird also nicht nur vom Staat scheel angesehen, sondern es ist auch nicht populär in der Bevölkerung, aber diese Menschen tun das, russische Bürgerrechtler. Wir haben außerdem immer wieder thematisiert die Lage der Nichtregierungsorganisationen in Russland, die ja durch ein Gesetz geknebelt worden sind, und wir befassen uns natürlich mit der Yukos-Affäre, die ein Justizskandal ist, wo man eben zu Gunsten des Energiemonopols von Gazprom und Transneft diese so genannten Oligarchen, wie das genannt wurde, halt Geschäftsleute, wie immer man die einschätzt, aber mit Schauprozessen überzogen und in entfernte Lager in Sibirien unter menschenunwürdigen Bedingungen verbannt hat, die übrigens sogar dem russischen Gesetz widersprechen.

    Liminski: Soll all das ein Thema sein bei den deutsch-russischen Konsultationen?

    Posselt: Das muss ein Thema sein bei den deutsch-russischen Konsultationen. Es spielt, wie mir Frau Ferrero-Waldner, die zuständige Kommissarin, gesagt hat, auch eine immer intensivere Rolle. Hier wirkt vor allem das Beispiel von Frau Merkel, die bei ihrem ersten Moskau-Besuch als erste deutsche Kanzlerin und als erste EU-Regierungschefin nach dem Treffen mit Putin ein eigenes Treffen mit den Menschenrechtsorganisationen und den Nichtregierungsorganisationen durchgeführt hat. Das ist vorbildlich. Pragmatisch mit den Regierenden reden – das muss sein -, aber auch klar mit den freien Kräften in der Gesellschaft und mit den Menschenrechtlern sprechen, um deren Position zu stärken.

    Liminski: Das war aus Straßburg der Außenpolitiker im Europaparlament und Präsident der Pan-Europa-Union, Bernd Posselt. Besten Dank für das Gespräch, Herr Posselt.

    Posselt: Vielen herzlichen Dank. Auf Wiederhören.