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CSU und die Europawahl
"Die erfolgreichste Volkspartei"

In der CSU wiegt die Enttäuschung über das schwache Ergebnis bei der Europawahl schwer. Der CSU-Politiker Wilfried Scharnagl sagte im Deutschlandfunk, "der Absturz ist gewaltig". Dennoch sei es richtig gewesen, im Wahlkampf "Fehlentwicklungen anzuprangern". Dies habe nichts mit Populismus zu tun.

Wilfried Scharnagl im Gespräch mit Dirk Müller | 26.05.2014
    Der CSU-Politiker Wilfried Scharnagl.
    Der CSU-Politiker Wilfried Scharnagl sieht keine Fehler im CSU-Wahlkampf für die Wahl des Europaparlaments. (dpa / Michael Kappeler)
    "Es ist für unser Selbstgefühl als CSU unzureichend, dass wir nur zehn Prozent vor der Schwesterpartei CDU liegen", sagte Scharnagl mit Blick auf das Ergebnis der CSU in Bayern im Vergleich zu den bundesweit 30 Prozent der CDU. "Die CSU hat dort, wo sie zu wählen ist, 40 Prozent der Stimmen erreicht, und es ist ein gewaltiges Ergebnis, auch wenn es insgesamt völlig unbefriedigend ist."
    Das Ergebnis sei schmerzlich. "Weil wir von extremen Höhen gekommen sind, ist der Absturz gewaltig und trotz des Absturzes sind wir immer noch die erfolgreichste Volkspartei", sagte Scharnagl. Eine Hauptursache für den Stimmenverlust sei die geringe Wahlbeteiligung. Kritik am Wahlkampf wies der CSU-Politiker zurück. Die CSU sei eine Europapartei und habe ein "eindeutiges Pro-Europa-Programm"; ihr sei es darum gegangen, den Zentralismus in Brüssel und "Fehlentwicklungen anzuprangern".

    Das Interview mit Wilfried Scharnagl in voller Länge:
    Dirk Müller: Die Union also die stärkste Kraft mit rund 35 Prozent. Sie hat aber dennoch verloren, über zwei Prozent, und das geht offenbar ausschließlich auf das Konto der CSU. Sie kommt damit nur noch auf fünf Prozent, die erfolgsverwöhnte CSU unter Horst Seehofer. – CSU-Kenner und Insider Wilfried Scharnagl ist bei uns am Telefon. Guten Morgen!
    Wilfried Scharnagl: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Was ist denn passiert?
    Scharnagl: Wir haben deutliche Verluste einfahren müssen, was uns schmerzt. Die zu bestreiten und sie zu leugnen, wäre unsinnig. Und generell muss man sagen, es ist für unser Selbstgefühl als CSU unzureichend, dass wir nur zehn Prozent vor der Schwesterpartei CDU liegen, was wir auch bei diesem Ergebnis immer noch tun, was ja im Allgemeinen bei der EU über das bayerische Ergebnis gerne vergessen wird.
    Müller: Ich hatte immer ein bisschen Schwierigkeiten in Mathematik. Können Sie mir das erklären?
    Scharnagl: Schauen Sie, das Wahlergebnis setzt sich zusammen aus 30,etwas CDU, 5,etwas CSU, und die CSU hat dort, wo sie zu wählen ist, 40 Prozent der Stimmen erreicht, und das ist ein gewaltiges Ergebnis, auch wenn es insgesamt völlig unbefriedigend ist.
    Müller: Jetzt feiern Sie im Grunde das schon ab wie die Sozialdemokraten. Die sagen, wir haben ein super Ergebnis, 27 Prozent.
    Scharnagl: Sie haben nicht richtig zugehört, oder hoffentlich haben Sie jetzt zugehört. Ich habe gesagt, das ist ein bitteres, schmerzliches Ergebnis, und es wird überhaupt nicht gefeiert. Aber wir müssen die Kirche im Dorf lassen, und die Kirche heißt, weil wir von extremen Höhen gekommen sind, ist der Absturz gewaltig, und trotz des Absturzes sind wir immer noch die erfolgreichste Volkspartei. Das ist einfach aus den Zahlen und der Statistik abzulesen.
    Müller: Herr Scharnagl, woran hat es gelegen? Was ist falsch gemacht worden?
    Wahlbeteiligung in Bayern war gering
    Scharnagl: Schnellschüsse empfehlen sich hier nicht, aber es hat vieles eine Rolle gespielt, nicht zuletzt, dass in Bayern die Wahlbeteiligung besonders gering war. Sie war deutlich unter dem Bundesdurchschnitt. Das heißt natürlich, wenn ganz viele Menschen in Bayern nicht zur Wahl gehen, dass davon auch die CSU als die größte Partei in besonderer Weise betroffen ist.
    Müller: Also nicht genügend mobilisiert, nicht genügend sensibilisiert?
    Scharnagl: Offensichtlich ist es nicht gelungen, alle Wähler, die sonst in großer Breite und Dichte zur CSU stehen – ich erinnere an Landtagswahl, Bundestagswahl im letzten Jahr, wo wir beide Male ganz hauchdünn unter der 50 Prozent Grenze waren - diesen Rest der Wähler oder diese Distanz zwischen Europa und Bundes- und Landtagswahl zu überwinden.
    Müller: Herr Scharnagl, jetzt gibt es ja viele Menschen, die nördlich der Main-Linie wohnen. Die nimmt man in Bayern ja nicht immer ganz für voll. Ich möchte es trotzdem noch mal sagen. Viele haben auch gesagt, warum kommen so viele Euro-skeptische, warum kommen so viele Euro-kritische und europakritische Töne aus Bayern? Könnte das auch ein Grund gewesen sein?
    Scharnagl: Das weiß ich nicht. Ich kann nur sagen, die CSU ist vom Anfang ihrer Gründung an eine überzeugte und strahlende Europapartei, war nie etwas anderes als das geeinte Europa. Das hat aber die CSU dennoch nicht und auch nicht bei dieser Wahl davon abgehalten, Fehlentwicklungen anzuprangern und für Abhilfe zu sorgen, und das Wahlprogramm, was in München Europaplan geheißen hat, ist ein eindeutiges Pro Europa und kein Anti Europa Programm. Deshalb ist die CSU auch überhaupt nicht im Entferntesten in dieser Randgruppen-Stimmungsmache gegen Europa, sondern wir sagen, wir sind für Europa, wir sind für ein geeintes Europa, aber wir sind gegen ein zentralistisches, übermächtiges, sich in Kompetenzen, Ergänzendes und die Länder und Regionen ihrer Freiheit und ihrer politischen Zuständigkeit beraubendes Europa.
    Müller: Aber genau das ist ja offenbar nicht herübergekommen. Es geht ja um die Wahrnehmung, denn wer liest noch Parteiprogramme.
    Scharnagl: Wobei das Wahlprogramm der CSU in diesem Fall den Vorzug hatte, dass es nicht nur ein Dutzend Seiten waren und nicht 250 wie von anderen Parteien. Aber es war eigentlich relativ einfach darzustellen und eigentlich die Zustimmung war groß, die Veranstaltungen der CSU waren eigentlich gut besucht. Sicher ist das bei Europa immer weniger als bei Bundestags- oder bei Landtagswahlen, aber auch die Umfragen haben ja – nicht von uns; der Bayerische Rundfunk hat vor zehn Tagen noch eine Umfrage gebracht, in der die CSU, glaube ich, bei 47 Prozent lag. Diese sieben Prozent sind uns irgendwie abhanden gekommen.
    Müller: Vielleicht überlegen Sie, beim nächsten Mal Peter Gauweiler ein Ticket zu kaufen, vielleicht nach Mallorca, dass der dann vier, fünf Wochen vorher nichts mehr sagt. Wäre das eine Lösung?
    Scharnagl: Da kann ich nur sagen, das ist ein ganz kühner Vorschlag. Wir werden uns sicher nicht zu eigen machen, was Sie verstehen und deswegen nicht beleidigt sind, aber ich glaube, wir wissen nicht, wie die Wahl für uns ausgegangen wäre, wenn wir einen anderen Kurs gefahren wären. Und zudem ist dieser Kurs, den die CSU gefahren hat, kein Privatkurs von Peter Gauweiler, der beruht auf einstimmigen Beschlüssen von Vorstand und Parteitag.
    Müller: Danke nach Bayern – CSU-Kenner und Insider Wilfried Scharnagl.
    Scharnagl: Danke, guten Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.