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Cuba Libre
Kubaner proben ihre neue Freiheit

Vor der US-Botschaft in Havanna stehen täglich Kubaner Schlange und hoffen auf ein Visum für den Verwandtenbesuch in den USA. Auch die Unternehmen auf der Insel hegen Hoffnungen auf eine Lockerung des Embargos, das seit den 1960er-Jahren Kuba wirtschaftlich isoliert. Zurecht, denn bereits jetzt gibt es immer mehr Ausnahmen.

Von Anne-Katrin Mellmann |
    Havanna
    Wenn der US-Tourismus ein Selbstläufer wird, US-Kreuzfahrtschiffe im Hafen von Havanna anlegen und mehr Dollar ins Land kommen, wird es noch weitere Embargo-Lockerungen geben, hoffen die Kubaner. (picture alliance / dpa / Foto: Alejandro Ernesto)
    Moderne Zeiten auf dem Dach eines Hochhauses, hier ist die Öffnung Kubas sichtbar: In westliche Mode gekleidete Kubaner genießen in der nicht staatlichen Bar Flauta Mágica die laue Abend-Brise, die von der Uferpromenade Malecón herüber weht. Sie schlürfen teure Cocktails für Devisen, einige mit den Füßen im Pool. Die attraktive Elbia kellnert:
    "Unsere Gäste können hier oben schwimmen und dabei aufs Meer und auf den Osten von Havanna schauen. Da links ist der Stadtteil Miramar. Sie sehen das Wasser und die Autos, die vorbeifahren."
    Was sie lieber nicht ins Mikro sagt: Der Blick fällt direkt auf das dominante Gebäude der US-Botschaft gegenüber, den riesigen Klotz am Malecón. Botschaft ist es erst seit Juli wieder, davor war es zur Interessenvertretung degradiert.
    Die bisherige Interessenvertretung der USA ist seit dem 20.07.2015 wieder ganz offiziell die US-Botschaft.
    Die bisherige Interessenvertretung der USA ist seit dem 20.07.2015 wieder ganz offiziell die US-Botschaft. (picture-alliance / dpa / Isaac Risco)
    US-Oldtimer: Gut gepflegte Symbole des US-Embargos
    Täglich stehen Kubaner Schlange, hoffen, dass sie von der Annäherung der beiden früheren Erzfeinde profitieren können und ein Visum für den Verwandtenbesuch in den USA erhalten. Etwa zwei Millionen Kubaner leben dort, viele schicken Dollar auf die Insel. Davon leben die seit einiger Zeit zugelassenen privatwirtschaftlichen Bars wie La Flauta Mágica, die Zauberflöte.
    Zauberhände müssen am Werk sein, damit die 50er-Jahre US-Schlitten weiter über Havannas löchrige Straßen knattern können. Sie sind die gut gepflegten, pinkfarbenen oder babyblauen Symbole des US-Embargos, das seit den 60er-Jahren besteht und Kuba wirtschaftlich isoliert. Ausgerechnet US-Touristen mieten die Straßenkreuzer heute, erzählt eine junge Verkäuferin im Shop des Revolutionsmuseums:
    "Sie finden unsere Geschichte interessant, aber auch die kubanische Architektur. Und dann kaufen sie natürlich alles, was mit Che Guevara, Fidel und der Revolution zu tun hat, auch Bücher. Aber vor allem die Postkarten von Che und Fidel: Die gehen weg wie heiße Semmeln."
    Es sei gut, dass wegen der politischen Annäherung mehr US-Touristen kämen. In den ersten Monaten dieses Jahres waren es schon 54 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Aber von deren Dollars hat die Verkäuferin nichts, denn sie wird vom Staat, wie die meisten Kubaner, nur mit nicht konvertierbaren Pesos bezahlt:
    "Che und Fidel gehen weg wie heiße Semmeln"
    Vor dem Revolutionsmuseum im kubanischen Havanna steht eine Figur von Ché Guevara im Gebüsch.
    Im Revolutionsmuseum in Havanna finden Postkarten von Ché Guevara reißenden Absatz. (Deutschlandradio / Anne-Katrin Mellmann)
    "Ja, es gibt schon eine Veränderung derzeit. Aber mir kann das egal sein. Für mich bleibt alles gleich. Die Dinge verbessern sich nur für die Leute, die Verwandte in den USA haben."
    Die Dinge verbessern sich inzwischen aber auch für andere. Das frühere Wohnhaus des US-amerikanischen Literaturnobelpreisträgers Ernest Hemingway, die Finca Vigía vor den Toren Havannas, ist Pflichtstation für US-Touristen. Hier kommen sie dem Autor ganz nah, der Kuba so sehr liebte, dass er dem Staat sein Anwesen vererbte. Sie bestaunen Hemingways private Räume, seinen Schreibtisch, der aussieht, als habe er eben noch daran gearbeitet:
    "Zweifellos ist Ernest Hemingway eine Brücke zwischen beiden Nationen", sagt Ada Rosa Alfonso, Direktorin des staatlichen Hemingway-Museums und erzählt von der fast Eine-Million-Dollar-Spende der US-Stiftung Finca Vigía. Durch sie kommt bald Baumaterial für die Restaurierung nach Kuba. Trotz des Embargos, das solche Exporte verbietet, wenn der kubanische Staat davon profitiert, wundert sich Ada Rosa:
    "Wie das der Stiftung Finca Vigía gelungen ist, verstehe ich selber nicht, denn hier wird gegen Embargo-Bestimmungen verstoßen. Tatsache ist, dass wir die Genehmigung haben und jetzt auf das Material warten."
    Sozialistische Planwirtschaft wird durchlässiger
    Es wird mehr Embargo-Ausnahmen geben: Wenn der US-Tourismus ein Selbstläufer wird, US-Kreuzfahrtschiffe im Hafen von Havanna anlegen, mehr Dollar ins Land kommen. Noch hat der Staat die Hand auf der sozialistischen Planwirtschaft, will das Modell aktualisieren. Das System wird durchlässiger: Mehr und mehr Selbstständige arbeiten auf eigene Rechnung, auch weil der Staat hunderttausende Angestellte entlassen hat.
    Wer Glück hat, profitiert von den Touristen, die mit der konvertierbaren Zweitwährung CUC bezahlen. Zum Beispiel Guillermo Avalo mit seinem Restaurant in bester Lage Havannas: Schon mittags sitzen an allen Tischen ausländische Touristen, immer mehr US-Amerikaner darunter. Trotzdem würde der frühere Kommunikationstechniker Guillermo gern noch mehr aus seinem Geschäft machen:
    "Zum Glück habe ich eine gute Lage, direkt neben dem großen Hotel Havana Libre. Deshalb bin ich noch nicht auf Werbung angewiesen, die Leute kommen von allein. Klar hätte ich gerne einen Internetauftritt, aber ich könnte ja doch nichts hochladen. Die staatlichen Unternehmen können ihre Webseiten aktualisieren, aber es gibt keine Firma, die Webseiten von Privatpersonen pflegt."
    Selbst klassische Werbung mit Flugblättern, Anzeigen oder Leuchtreklamen gibt es in Kuba nicht. Noch nicht.
    Die Fassade von einem alten Haus in Havannas Altstadt auf Kuba. Eine weiß gekleidete Kubanerin mit Kopftuch geht auf der Straße am Haus vorbei.
    Havannas Häuserruinen sind ein häufig fotografiertes Motiv von Touristen. (Deutschlandradio / Anne-Katrin Mellmann)
    Ende der Isolation der Insel im Netz
    Hunderte junger Menschen bevölkern am Abend einen Platz der Altstadt und starren gebannt auf leuchtende Displays. Unwirklich, wie ein Flashmob, wirkt das. Sie chatten. In diesem Sommer endete die Isolation der Insel im Netz: Seit einigen Wochen gibt es WLAN, Internetzugang draußen, nicht mehr für 5 Dollar pro Stunde wie in den Internetcafés, sondern für 2 bis 3 Dollar - allerdings immer noch viel Geld, wenn man im Monat nur 20 Dollar verdient.
    Die Geschwister Iliana und Juan Carlos kamen zufällig vorbei spaziert. Iliana lebt in Miami. Sofort hat sie eine Karte der staatlichen Kommunikationsgesellschaft gekauft. Vergnügt zeigt sie ihrem Bruder, wie Facebook aussieht und wie Chatten funktioniert:
    Iliana: "Jetzt können wir Kontakt mit der ganzen Welt haben."
    Juan Carlos: "Jetzt haben wir diese Möglichkeiten. Die US-Regierung scheint zu verstehen, dass sie aufhören muss, uns zu blockieren. Kuba will sich schon lange öffnen und hat jetzt endlich die Möglichkeit dazu."
    Touristen lieben den morbiden Charme von Havannas Häuserruinen
    Iliana: "Früher habe ich nur ein Mal im Monat angerufen. Jetzt ist alles günstiger geworden, und darum kann meine Familie mir auch Nachrichten schicken. Das ist toll!"
    Eine Straßenecke weiter zeigt sich Havanna noch so, wie es sich Touristen wünschen: mit dem morbiden Charme seiner Häuserruinen, als konserviertes 50er-Jahre-Biotop mit Zigarre, Mojito, Mulata und Musik.