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Cucula-Asyl-Designer
Firma gründen, Möbel bauen, Geld verdienen

Die Schlesische27 ist eine Jugendkultur-Einrichtung in Berlin-Kreuzberg, die fünf jungen Flüchtlingen eine Perspektive gegeben hat. Die Bootsflüchtlinge sind übers Mittelmeer zunächst nach Italien, nach Lampedusa gekommen und dann in Berlin gelandet. Hier haben sie gelernt, Möbel zu bauen - aus Teilen alter Flüchtlingsboote.

Von Jürgen Stratmann | 28.11.2014
    Hier wird nicht geschraubt, geleimt, verblattet oder verzapft - hier wird: genagelt! Möbelbau "mit ganz einfachen Mitteln: mit Säge, Hammer und es ist alles aus Latten gemacht - es gibt keine schrägen Winkel, alles ist 90 Grad abgeschnitten."
    Gebaut wird nach Entwürfen des Mailänder Design-Pioniers Enzo Mari, der in den 70er-Jahren mit seinem Buch "Autoprogettazione" - sehr frei etwa mit "Selber machen" übersetzt - für jedermann realisierbare Möbelbau-Anleitungen veröffentlichte - genau das Richtige für die fünf jungen, afrikanischen Flüchtlinge, hatte sich Werkstattleiter Sebastian Däschle gedacht:
    "Weil die Jungs mit Matratzen aufm Boden geschlafen haben"
    Ali, Maiga, Saidou, Moussa und Malik sind als Bootsflüchtlinge übers Mittelmeer zunächst nach Italien "nach Lampedusa gekommen - dann Sizilien - ein Jahr" um schließlich in Berlin zu landen. Bis vor einem Jahr campierten sie im mittlerweile geräumten Flüchtlingslager auf dem Kreuzberger Oranienplatz - wo die Geschichte von Cucula eigentlich begann: "Damit, dass Barbara Mayer von der Schlesischen27 den Jungs angeboten hat, ein Winterlager zu bekommen."
    Möbel für den Alltag als Starthilfe
    Die Schlesische27 ist eine Jugendkultur-Einrichtung in Kreuzberg - mit Möglichkeiten:
    "An verschiedenen Workshops mitzumachen. Ich hatte die Idee, dass sich jeder sein eigenes Bett baut, einen Stuhl, einen kleinen Schrank, wo er seine Sachen unterbringen kann - und dann haben wir drei Wochen lang gearbeitet. Die wollten gar nicht mehr aufhören zu arbeiten. Ich musste jeden Tag sagen: Jetzt ist Schluss, ich muss gehen!
    Und dann hatten wir diese Betten da stehen, und Schränke und Stühle, und dann dachte ich, jetzt nehmen die das mit und benutzen das - und dann haben wir realisiert: Hey, als Flüchtling brauchst du kein Bett, du brauchst einen Arbeitsplatz, eine Perspektive - und dann kurz vor Weihnachten hatten wir die Idee: Komm, was sollen wir jetzt mit den Möbeln machen? Wir verkaufen jetzt ein paar!"
    Mit Erfolg: "Es gab eine große Resonanz, und irgendwann stand dieses Refugees Company for Crafts and Design!" Nach dem Motto: Firma gründen, Möbel bauen, Geld verdienen! "Und dann ist alles gut!"
    Möbel wirken archaisch und modern
    Alles gut? Die Entscheidung für das Enzo-Mari-Design war jedenfalls ein Glücksgriff - die Modelle wirken durch ihre Einfachheit gleichzeitig archaisch wie auch radikal modern: die Oberflächen - schlicht, glatt, hell:
    "Es ist nichts zuviel dran - und es ist viel auch Konstruktion dran - also viele, wie dieser Tisch hier - sind eigentlich gebaut wie Tragwerke - wie Stahlbrücken - und deswegen sind es auch mittlerweile begehrte Designklassiker!"
    So die Designerin Corinna Sy - und Designklassiker? Brauchen natürlich: Designpublikum! - zum Beispiel - in Mailand:
    "Die Möbelmesse weltweit - und dann haben wir auf der Messe direkt gefragt, weil wir auch gesagt haben, wir haben kein Geld - da haben die gesagt: Wir finden es so super, kommt einfach hierher! Und dann ist etwas ganz Tolles passiert: Wir haben dort unsere Möbel hingestellt, zwischen all diesen Designern - und die Jungs im Anzug haben einfach anderen Designern auf die Schultern geklopft und gesagt: Gut gemacht. Das ist natürlich nach Jahren der Flucht eine neue Erfahrung gewesen, so eine neue Position innezuhaben!"
    Nun kann man einwenden: wieso eigentlich Design? Die bauen doch nur nach? Nicht mehr! Beispielsweise:
    "Die Entwürfe von Moussa! - Moussa ist eben sehr groß und lang - wie man sich einen Tuareg eben vorstellt - und seine Möbel sind auch so proportioniert - die bekommen alle diese Länge, diese hohen Stühle baut er, was ganz impulsiv aus ihm heraus kommt!"
    Verwitterte, lackierte Harthölzer
    Zudem verwenden sie gezielt Teile alter Flüchtlingsboote.
    "Es gibt auf Lampedusa eine Art Schiffsfriedhof - da sind wir dann hingegangen und haben Stücke zusammengesammelt und die haben wir einfach mal ausprobiert, wie es an den Möbeln aussieht - und gemerkt, dass diese Möbel gerade am Begehrtesten waren!"
    Denn die verwitterten, lackierten Harthölzer setzen nicht nur reizvolle farbliche Akzente, sondern:
    "Das ist unser Holz - das ist meine Geschichte - das ist nicht vergessen - für die Jungs ist es besonders wichtig, ihre Geschichten zu erzählen - über das Material!"
    Auf dem Crowdfunding-Portal startnext.de kann man Cucula-Möbel kaufen - aber die fünf abschiebungsbedrohten Flüchtlinge dürfen offiziell natürlich nicht arbeiten - darum:
    "Wir sprechen hier von einem Ausbildungspraktikum - wir lernen hier Möbelbau, und dabei fallen Werkstücke an, und die verkaufen wir. Die Preise sind so angelegt, dass sie kostendeckend sind - alles an mehr Geld fließt in den Bildungsbereich. Die Idee ist, dass wir vor den Behörden nachweisen können, dass die Jungs nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind, dass sie durch den Verkauf ihrer eigenen Werkstücke ihre eigene Ausbildung finanzieren - und eine legale Arbeitserlaubnis bekommen können!"
    Und erst dann gilt: "Dann ist alles gut!"