D. Schostakowitsch - Sinfonien Nr. 2 + 3 u.a.
Heute mit Orchestermusik von Dmitrij Schostakowitsch, eingespielt vom Sinfonieorchester Göteborg unter der Leitung von Neeme Järvi, veröffentlicht bei der Deutschen Grammophon Gesellschaft. * Musikbeispiel: Dmitrij Schostakowitsch - 'Tanz des Kutschers' aus: Ballettsuite "Der Bolzen" op. 27a So parodistisch-heiter und auf Anhieb leicht fasslich für jedermann komponierte Schostakowitsch in den Jahren 1930/31 die Musik zu einem Ballett mit dem ebenso seltsamen wie seltenen Titel "Der Bolzen". Ähnlich wie das kurz vorher entstandene "Goldene Zeitalter", ein Lehrstück über sowjetische Fußballer, war auch "Der Bolzen" ein Propaganda-Auftragswerk, in dem es reichlich schablonenmäßig um Komsomolzen und idealkommunistische Arbeiter geht, um Diskussionen und Versammlungen, um Bürokraten und Kompromissler. Im Zentrum der Geschichte steht der Sabotageakt eines wegen Faulheit entlassenen Arbeiters, der mit einem eingeschmuggelten Bolzen eine schöne neue Maschine zur Explosion bringt, doch am Ende siegt natürlich das Gute und der Kommunismus. Beide Ballette waren weder bei Kritik noch Publikum große Erfolge, doch die zu einer etwa halbstündigen Suite zusammengestellte Bolzen-Musik zeigt den Komponisten Schostakowitsch von seiner brillantesten Seite: Parodie und Zitat, blitzschnelles Umschlagen von Stimmungen, geniale Instrumentation. Und wer will, kann hier selbst in den Anklängen an affirmative Arbeiter- und Parteilieder noch einen Unterton von Persiflage hören... * Musikbeispiel: Dmitrij Schostakowitsch - ' Allgemeiner Tanz und Apotheose' aus: Ballettsuite "Der Bolzen" op. 27a Schostakowitschs Lebensweg von 1906 bis 1975 verlief über große Strecken parallel zum real existierenden Sozialismus unterschiedlichster Prägung: von den zunächst auch von vielen Intellektuellen euphorisch begrüßten gesellschaftlichen Umwälzungen nach der Oktoberrevolution bis zu den Gängelungen durch Partei- und Kulturbürokratie, von blutig erkämpfter Freiheit bis zur ebenso blutigen Verfolgung Andersdenkender, von den Gräueln des 2. Weltkriegs bis zur lähmenden Starre des Kalten Krieges. Entsprechend schillernd sind auch Schostakowitschs Biografie und Werk: Hoffnung und Vertrauen, Übernahme von Aufträgen und Ämtern, viele Versuche, zwischen den Ansprüchen von Kunst und Politik zu vermitteln, Enttäuschung und Wut, Resignation und Trauer. Seine experimentierfreudigste Zeit liegt Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre, als viele Künstler sich aufgerufen fühlten, dem revolutionären Bewusstsein mit ihren Mitteln einen eigenständigen Ausdruck zu verleihen. Hier und da ertönten zwar bereits die später das Feld beherrschenden revisionistischen Forderungen nach Einfachheit, Verständlichkeit und Massenwirksamkeit, doch sie waren noch keine unumstößlichen Dogmen, und was damals im Westen von Leuten wie Schönberg und Berg, Schreker und Hindemith, Krenek, Milhaud oder Strawinsky erdacht und probiert wurde, galt noch nicht als formalistisch und dekadent. Im Gegenteil: Schostakowitsch war Mitglied einer Vereinigung für zeitgenössische Musik, zu deren Zielen es ausdrücklich gehörte, der Musik Russlands alle technischen und formalen Neuerungen der westlichen Musik zu erschließen, damit die sowjetische Tonkunst sich zur ganzen Höhe ihres Ausdrucks und zu größtmöglicher Meisterschaft entwickeln könne.