Kate Maleike: Marian Füssel beschäftigt sich wissenschaftlich mit der Tradition der Talare in Deutschland. Er ist seit anderthalb Jahren Juniorprofessor an der Universität Göttingen. Die Geschichte der frühen Neuzeit ist sein Arbeitsfeld. Wie ist diese Rückkehr der Talare eigentlich zu erklären?
Marian Füssel: Also ich denke, dass es da sozusagen eine Nachfrage nach Anerkennung und nach Sichtbarkeit gibt, also so einer neuen Sichtbarkeit und natürlich nach diesem Eventcharakter, der sozusagen an der modernen Universität ein bisschen abhandengekommen ist offenbar. Dass jetzt also die Promotion oder die Graduierung nur noch so ein Verwaltungsakt ist - nüchtern. Man kriegt eine Urkunde übersandt und nicht mal sozusagen mit Handschlag, oder der Handschlag ist schon das Maximum sozusagen an persönlicher Anerkennung – und dass es da so eine Art Defizit gibt oder zumindest die Wahrnehmung eines solchen Defizits und dass diese jetzt mit solchen neu erfundenen Events sozusagen kuriert werden sollen.
Maleike: Also der Talar als Event, so gesehen. Jetzt ist die Uni Bonn die Einzige bislang, die das so in dieser Breite für die gesamte Fakultätenschaft dann auch macht. Könnte man trotzdem sagen, dass die Talare in Hochschuldeutschland zurück sind?
Füssel: Ja, das hat natürlich komplexe Gründe. In einem Teil von Deutschland waren sie nämlich nie weg, also in der ehemaligen DDR hat es ja bekanntlich kein 1968 gegeben aus politischen Gründen und deswegen hat man da seit, ja dem Mittelalter im Prinzip die, oder seit der frühen Neuzeit die Talare immer weiter getragen. Also es gab da eigentlich Unterbrechungen im frühen 18. Jahrhundert, aber nicht wirklich in der Zeit, in der in Westdeutschland die Talare verschwunden sind großflächig, nämlich um 1968, und deswegen haben wir heute an den Universitäten Halle, Rostock und anderen traditionellen Universitäten wie Leipzig, haben wir heute noch Talare und feierliche Umzüge durch die Stadt mit Prozession und Pedell und Szepter und allem, was sozusagen dazugehört, ohne dass das jemals groß verschwunden wäre. Das wäre das eine. Und das andere ist sozusagen, in Westdeutschland haben wir sozusagen eine Tendenz zur Amerikanisierung der Universitäten, dass also gerade die Bonner sozusagen sich eigentlich weniger in ihre eigene Tradition des 19. Jahrhunderts stellen, sondern in eine Tradition von amerikanischen Colleges wie man das auch aus vielen Spielfilmen kennt mit dem Nach-oben-Werfen der Hüte und so. Das ist etwas, was völlig uneuropäisch ist, dieses In-die-Luft-Werfen oder so, das sind typisch amerikanische Rituale, die eher aus dieser College-Kultur stammen. Also wir haben es sozusagen mit einem komplexen Mix zu tun zwischen ganz alten Formen, die eigentlich weiterhin überlebt haben, sag ich mal, im Osten, und wir haben es mit neu eingeführten Formen im Westen zu tun, die eben seit 1968 weitgehend verschwunden sind und einer nüchternen Verwaltungskultur Platz gemacht haben.
Maleike: Haben sie auch Platz gemacht deswegen, weil die Studenten aufgrund des Druckes – man hört ja immer viel von Druck und Prüfungsstress – einfach einen Moment brauchen, wo gefeiert wird?
Füssel: Ja, ich denke, dass das schon so eine Art Ventilfunktion auch hat. Das hängt natürlich auch sehr stark von den jeweiligen Fakultäten ab. Wenn man sich also das aus der Nähe anschaut, dann wird man sicher feststellen, dass die Fakultäten, die stark solche Ventilfunktionen bemühen, dass das vor allem Mediziner, Juristen und BWLer sind, und sie werden diese Ventile kaum an der Fakultät für Soziologie, Pädagogik, Geschichte oder Anglistik finden. Also da müsste man sozusagen innerhalb der Universität sicher auch noch mal die Studentenkulturen sehr stark differenzieren.
Maleike: In Bonn ist es ja auch so, dass längst nicht alle Absolventen an dieser Feier in dieser Form teilnehmen wollen, besser gesagt eben, den Talar tragen. Wie sehen Sie das als Junior-Prof für Geschichte? Begrüßen Sie das Ganze?
Füssel: Also eigentlich habe ich da eher gemischte Gefühle. Man findet das natürlich interessant, wenn man sich lange damit beschäftigt hat, wenn das solche Konjunkturen feiert, also wenn das einmal verschwindet, wiederkommt und wieder verschwindet, das ist sozusagen für den Wissenschaftler interessant. Ich selber würde mich nicht gerne in einem Talar sehen in der Vorlesung, wie das noch bis 1968 üblich war, schon gar nicht bei diesen Temperaturen. Aber ich habe da ein gespaltenes Gefühl, weil es halt einen gewissen Mangel an Historisierung, also an Geschichtlichkeit dieser Talare gibt, dass die Leute gar nicht wissen, warum sie eigentlich vor 40 Jahren verschwunden sind. Und wenn das sozusagen breiteres Bewusstsein fände, dass man sich dieser historischen Dimension bewusst ist, dann könnte ich mich sozusagen da auch eher mit anfreunden. Aber ohne das scheint es mir doch mehr oder weniger problematisch zu sein.
Maleike: Machen Sie es uns noch einmal bewusst, warum sind die damals verschwunden in der 68er-Phase?
Füssel: In der 68er-Phase galten sie halt als Ausdruck sozusagen des sprichwörtlichen Muffs von 1000 Jahren unter den Talaren, wie ja ein Hamburger Transparent von 1967 diesen bekannten Slogan geprägt hat, und da ging es natürlich um die Verstrickung der deutschen Hochschullehrerschaft in den Nationalsozialismus und diese unaufgearbeitete Vergangenheit beziehungsweise schlicht das Schweigen an den Hochschulen, was sich dann in dieser Tradition des 19. Jahrhunderts beziehungsweise der frühen Neuzeit und des Mittelalters verkörpert sah, und diese 1000 Jahre gehen natürlich nicht auf die Gründung der Universitäten zurück – die ist ja im 12., 13. Jahrhundert erfolgt, das wäre also ein Rechenfehler, den die Studenten nicht gemacht haben damals –, sondern diese 1000 Jahre beziehen sich eben auf das Tausendjährige Reich und die NS-Tradition. Und deswegen wurde diese Debatte um die Talare 1968 auch so erbittert geführt, da ging es um mehr als Mode oder sozusagen wirkliche verstaubte Hüte, sondern es ging um Politik an den Hochschulen, um Mitbestimmung, um Gleichberechtigung, auch um eine Egalisierung der Hochschulen, wo man gerade die Ungleichheit, die zwischen Professoren, Studenten und so weiter herrschte, genau in dieser Kleidung der Professoren verkörpert sah.
Marian Füssel: Also ich denke, dass es da sozusagen eine Nachfrage nach Anerkennung und nach Sichtbarkeit gibt, also so einer neuen Sichtbarkeit und natürlich nach diesem Eventcharakter, der sozusagen an der modernen Universität ein bisschen abhandengekommen ist offenbar. Dass jetzt also die Promotion oder die Graduierung nur noch so ein Verwaltungsakt ist - nüchtern. Man kriegt eine Urkunde übersandt und nicht mal sozusagen mit Handschlag, oder der Handschlag ist schon das Maximum sozusagen an persönlicher Anerkennung – und dass es da so eine Art Defizit gibt oder zumindest die Wahrnehmung eines solchen Defizits und dass diese jetzt mit solchen neu erfundenen Events sozusagen kuriert werden sollen.
Maleike: Also der Talar als Event, so gesehen. Jetzt ist die Uni Bonn die Einzige bislang, die das so in dieser Breite für die gesamte Fakultätenschaft dann auch macht. Könnte man trotzdem sagen, dass die Talare in Hochschuldeutschland zurück sind?
Füssel: Ja, das hat natürlich komplexe Gründe. In einem Teil von Deutschland waren sie nämlich nie weg, also in der ehemaligen DDR hat es ja bekanntlich kein 1968 gegeben aus politischen Gründen und deswegen hat man da seit, ja dem Mittelalter im Prinzip die, oder seit der frühen Neuzeit die Talare immer weiter getragen. Also es gab da eigentlich Unterbrechungen im frühen 18. Jahrhundert, aber nicht wirklich in der Zeit, in der in Westdeutschland die Talare verschwunden sind großflächig, nämlich um 1968, und deswegen haben wir heute an den Universitäten Halle, Rostock und anderen traditionellen Universitäten wie Leipzig, haben wir heute noch Talare und feierliche Umzüge durch die Stadt mit Prozession und Pedell und Szepter und allem, was sozusagen dazugehört, ohne dass das jemals groß verschwunden wäre. Das wäre das eine. Und das andere ist sozusagen, in Westdeutschland haben wir sozusagen eine Tendenz zur Amerikanisierung der Universitäten, dass also gerade die Bonner sozusagen sich eigentlich weniger in ihre eigene Tradition des 19. Jahrhunderts stellen, sondern in eine Tradition von amerikanischen Colleges wie man das auch aus vielen Spielfilmen kennt mit dem Nach-oben-Werfen der Hüte und so. Das ist etwas, was völlig uneuropäisch ist, dieses In-die-Luft-Werfen oder so, das sind typisch amerikanische Rituale, die eher aus dieser College-Kultur stammen. Also wir haben es sozusagen mit einem komplexen Mix zu tun zwischen ganz alten Formen, die eigentlich weiterhin überlebt haben, sag ich mal, im Osten, und wir haben es mit neu eingeführten Formen im Westen zu tun, die eben seit 1968 weitgehend verschwunden sind und einer nüchternen Verwaltungskultur Platz gemacht haben.
Maleike: Haben sie auch Platz gemacht deswegen, weil die Studenten aufgrund des Druckes – man hört ja immer viel von Druck und Prüfungsstress – einfach einen Moment brauchen, wo gefeiert wird?
Füssel: Ja, ich denke, dass das schon so eine Art Ventilfunktion auch hat. Das hängt natürlich auch sehr stark von den jeweiligen Fakultäten ab. Wenn man sich also das aus der Nähe anschaut, dann wird man sicher feststellen, dass die Fakultäten, die stark solche Ventilfunktionen bemühen, dass das vor allem Mediziner, Juristen und BWLer sind, und sie werden diese Ventile kaum an der Fakultät für Soziologie, Pädagogik, Geschichte oder Anglistik finden. Also da müsste man sozusagen innerhalb der Universität sicher auch noch mal die Studentenkulturen sehr stark differenzieren.
Maleike: In Bonn ist es ja auch so, dass längst nicht alle Absolventen an dieser Feier in dieser Form teilnehmen wollen, besser gesagt eben, den Talar tragen. Wie sehen Sie das als Junior-Prof für Geschichte? Begrüßen Sie das Ganze?
Füssel: Also eigentlich habe ich da eher gemischte Gefühle. Man findet das natürlich interessant, wenn man sich lange damit beschäftigt hat, wenn das solche Konjunkturen feiert, also wenn das einmal verschwindet, wiederkommt und wieder verschwindet, das ist sozusagen für den Wissenschaftler interessant. Ich selber würde mich nicht gerne in einem Talar sehen in der Vorlesung, wie das noch bis 1968 üblich war, schon gar nicht bei diesen Temperaturen. Aber ich habe da ein gespaltenes Gefühl, weil es halt einen gewissen Mangel an Historisierung, also an Geschichtlichkeit dieser Talare gibt, dass die Leute gar nicht wissen, warum sie eigentlich vor 40 Jahren verschwunden sind. Und wenn das sozusagen breiteres Bewusstsein fände, dass man sich dieser historischen Dimension bewusst ist, dann könnte ich mich sozusagen da auch eher mit anfreunden. Aber ohne das scheint es mir doch mehr oder weniger problematisch zu sein.
Maleike: Machen Sie es uns noch einmal bewusst, warum sind die damals verschwunden in der 68er-Phase?
Füssel: In der 68er-Phase galten sie halt als Ausdruck sozusagen des sprichwörtlichen Muffs von 1000 Jahren unter den Talaren, wie ja ein Hamburger Transparent von 1967 diesen bekannten Slogan geprägt hat, und da ging es natürlich um die Verstrickung der deutschen Hochschullehrerschaft in den Nationalsozialismus und diese unaufgearbeitete Vergangenheit beziehungsweise schlicht das Schweigen an den Hochschulen, was sich dann in dieser Tradition des 19. Jahrhunderts beziehungsweise der frühen Neuzeit und des Mittelalters verkörpert sah, und diese 1000 Jahre gehen natürlich nicht auf die Gründung der Universitäten zurück – die ist ja im 12., 13. Jahrhundert erfolgt, das wäre also ein Rechenfehler, den die Studenten nicht gemacht haben damals –, sondern diese 1000 Jahre beziehen sich eben auf das Tausendjährige Reich und die NS-Tradition. Und deswegen wurde diese Debatte um die Talare 1968 auch so erbittert geführt, da ging es um mehr als Mode oder sozusagen wirkliche verstaubte Hüte, sondern es ging um Politik an den Hochschulen, um Mitbestimmung, um Gleichberechtigung, auch um eine Egalisierung der Hochschulen, wo man gerade die Ungleichheit, die zwischen Professoren, Studenten und so weiter herrschte, genau in dieser Kleidung der Professoren verkörpert sah.