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Da klappt etwas nicht mit den Nachbarn

Das Nein der Iren beim Referendum zum EU-Reformvertrag hat die Europäische Union in eine Krise gestürzt und andere Kritiker des Reformvertrages, wie zum Beispiel den polnischen Präsidenten Lech Kaczynski, aus der Reserve gelockt. Mal will er den Lissabon-Vertrag unterschreiben, mal will er nicht und verweist dabei bei seinen Vorbehalten auch auf die Nachbarn Deutschland und Tschechien, wo sich die Verfassungsgerichte mit der Frage beschäftigen müssen, ob der Vertrag von Lissabon die Souveränität der Staaten in Frage stellt. Eine Europakolumne von Adam Krzeminski, Redakteur der polnischen Wochenzeitung "Politika".

    Die Europäische Union ist kein Superstaat, sondern eine Tratschbude, in der sich jeder in der Gruppe besser positioniert, indem er den Unbeliebten von nebenan anschwärzt. Diesen Eindruck kann man gewinnen, wenn man das ratlose Getuschel der Europäer nach dem verhängnisvollen Referendum in Irland verfolgt. Die Großen verwickeln sich ungeniert in Widersprüche. Man müsse das Votum der Iren respektieren, aber der Ratifizierungsprozess gehe weiter, sagte die Bundeskanzlerin. Wie die Lösung für die Quadratur des Kreises aussehen könnte, sagte Angela Merkel nicht. Sollen die anderen seelenruhig den Lissabon-Vertrag abnicken, als ob nichts geschehen wäre, und die Iren so lange zur Wahlurne puschen, bis man "Bingo!" sagt? Oder die undankbaren Insulaner nachdrücklich fragen, ob sie den Klub nicht - bitte schön - verlassen, oder zumindest auf die EU-Gelder verzichten wollen?

    Antworten auf diese Ungereimtheiten hat bis jetzt keiner, weder Nicolas Sarkozy, noch die Medien der EU-Teilstaaten. Aber sie haben einen neuen Buhmann und Mitschuldigen der europäischen Querelen - den polnischen Staatspräsidenten Lech Kaczynski. Der rupft die Blütenblätter ab und schickt jeden Tag andere Signale: Ich unterschreibe, ich unterschreibe nicht, vielleicht doch, aber nicht ganz... Es gibt in Polen keinen Referendum-Zwang. Der Sejm, das polnische Parlament, hat den Lissabon-Vertrag bereits akzeptiert. Der Staatspräsident hat ihn mit ausgehandelt und sieht ihn als seinen persönlichen Erfolg. Aus innenpolitischen Gründen aber, weil die Partei seines Zwillingsbruders in der Opposition sitzt und mittlerweile - wie Le Pen in Frankreich - kaum mehr koalitionsfähig ist, wollte er die Euroskeptiker stützen. Und etwas pro domo sua sagen, was dem autistischen Bruder den Anschein einer Rückendeckung geben und Ministerpräsident Tusk eins auswischen würde. Doch die arroganten Westeuropäer haben das sofort zu einer Breitseite gegen ihn umfunktioniert.

    Stell dir - sagte mir ein deutscher Freund, und das meine ich nicht "politically correct" - unser Geschrei, unsere Verunglimpfungen und unsere Rechthaberei vor, wenn nicht die Franzosen, nicht die Niederländer oder Iren, sonder ihr - Polen, Rumänen oder Slowaken - die EU-Verfassung in Referenden zu Fall gebracht hättet. Der Forderung, euch aus der EU rauszuschmeißen, wären dann keine Grenzen gesetzt.

    Die Entscheidung des deutschen Bundespräsidenten, den Vertrag bis zur Prüfung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu unterzeichnen - wird selbstverständlich ebenfalls respektiert. Dass er damit andeutet, der Lissabon-Vertrag könnte nicht verfassungsgerecht sein, schlucken die deutschen Medien, dafür dreschen sie auf die "Kartoffel in Warschau" ein. Der Deutsche darf zögern, der Polacke aber nicht. Da klappt nach wie vor etwas nicht mit den Nachbarn.

    Nein: Die Europäer wollen die EU nicht abschaffen, sondern sie transparenter haben. Das Problem ist nur, dass ihnen dafür erst dieser so undurchsichtige Vertrag aufs Auge gedrückt werden muss. Ein klares Ja oder Nein auf drei programmatische Fragen, sogar zu einer Grundcharta mit 50 Paragraphen könnte man dem Normalbürger abverlangen, aber doch nicht zu einem Folianten von 600 Seiten, die kaum einer gelesen hat und ohne juristische Kenntnisse wohl auch nicht verstehen kann. Da wäre die Idee einer europaweiten Direktwahl des europäischen Präsidenten, als einer Symbolfigur ohne besondere Befugnisse, aber mit der Autorität der Akzeptanz einer halben Milliarde EU-Europäer ein guter Ausweg aus dieser Falle. Die Polen waren bereits 2004 dafür. Ein positives Bürgervotum muss die europäische Quadratur des Kreises lösen, nicht ein Negatives. Sollen die Kandidaten sich europaweit vorstellen und sich durch die europäischen Primaries der Nationalstaaten durchhangeln, dann wird auch der EU irgendein Obama den notwendigen Ruck geben.