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"Da läuft mir ein Schauer über den Rücken"

Er gehört zu den wenigen deutschen Schauspielern, die es auch in Hollywood geschafft haben. Nach dem Welterfolg mit "Das Boot" war er unter anderem in "Air Force One" und "Der englische Patient" zu sehen. In der Corso-Reihe erinnert er sich an den Filmklassiker "Der dritte Mann".

Von Eric Leimann |
    Mein Name ist Jürgen Prochnow, ich bin Schauspieler und mein Klassiker ist "Der dritte Mann".

    "Ach, ich wollte Ihnen ja die Geschichte von Holly Martins erzählen. Einem Amerikaner, der nach Wien kam, um seinen Freund zu besuchen. Der Freund hieß Harry Lime. Martins hatte in Amerika Pech gehabt, mit anderen Worten: Er war pleite. Und Harry Lime hatte ihn eingeladen, weil - wie er schrieb - in Wien für ihn etwas zu machen sei."

    In dem Film geht‘s um Penicillin-Schmuggel beziehungsweise Penicillin-Verdünnung, woran die Leute dann jämmerlich krepieren, das von diesem Harry Lime ... Die Rolle spielt der Orson Welles - ich glaube, der hat nur acht oder zehn Minuten "Screen Time" sozusagen in dem Film, der ist relativ wenig zu sehen, über den wird die ganze Zeit gesprochen, und die Westmächte, also sprich die Engländer, suchen den in Wien, wo der untergetaucht ist, und beauftragen einen Freund, mit dem er früher sehr befreundet gewesen ist, denen zu helfen, den spielt der Cotton ...

    "(Holly Martins:) "Du hast mal an Gott geglaubt.""
    "(Harry Lime:) "Ich glaube immer noch an den alten Mann. Ich glaube an Gott, an den Teufel und daran, dass die Toten am glücklichsten sind. Hier versäumen sie nicht viel - die armen Hunde.""

    Also dieser Film hat mich als früh Heranwachsender ganz tief berührt, angesprochen, weil ich in den Trümmern von Berlin aufgewachsen war, und dieser Film spielt in den Trümmern von Wien in der Nachkriegszeit, und ich finde, der ist so eindrucksvoll und so hervorragend - die Geschichte von Graham Greene - wiedergegeben in dem Film. Ich kann nur sagen: Der hat irgendwelche Urängste, Urerlebnisse in mir angesprochen und verdeutlicht, in der Art und Weise wie ich aufgewachsen bin - ja!

    "(Holly Martins:) "Hast du schon mal eines von deinen unschuldigen Opfern gesehen?""
    "(Harry Lime:) "Zugegeben, das Ganze ist nicht sehr schön - aber Opfer? Was für ein Wort. Sieh mal da hinunter. Würde es dir leidtun, wenn einer von diesen Punkten da für immer aufhören würde, sich zu bewegen? Wenn ich dir 20.000 Pfund für jeden krepierten Punkt bieten würde, würdest du mein Geld zurückweisen oder würdest du Ja sagen, vorausgesetzt dass keine Gefahr dabei ist?""

    Zum ersten Mal hab ich davon gehört, als meine Eltern den Film in Berlin, im Nachkriegs-Berlin - das muss, ich weiß nicht, 52 oder so irgendwas gewesen sein - den Film gesehen haben, oder noch früher, 51?Und mein Bruder den Film, mein Bruder ist zwei Jahre älter, den Film mit sehen durfte, aber ich war noch zu klein, ich durfte nicht mit, und da hat mein Bruder mir von dem Film erzählt, dann hinterher, als er nach Hause gekommen ist. Das war der erste Eindruck, den ich von dem Film hatte.

    Der hat mir dann erzählt von dem Showdown in der Kanalisation von Wien, wo der dann gejagt wird, der Harry Lime und dann dazu fast noch rauskommt, und wie die Finger durch dieses Gullygitter da durchgehen. Und mein Bruder hat mir das dann beschrieben und hat erzählt - das ist ja auch ne Szene, die ich nie vergessen werde. Läuft mir ein Schauer über den Rücken.

    Was noch dazukommt, ist die Musik. Wenn man über Filmmusik redet, das ist ja eine der genialsten Erfindungen, die es für Film gegeben hat: Das ist ja mehr oder weniger durch einen Zufall, das ist also ein Zitherspieler in Wien gewesen, der nie Filmmusik oder so irgendwas gemacht hatte. Der wurde dann für diese Musik gewonnen und hat dann also die Musik dazu gespielt - diese Zithermusik, wodurch auch immer das Ungeheuer Orson Welles angekündigt wird sozusagen, die dann aufklingt, bevor man den dann zum ersten Mal sieht.

    "Denk dran, was Mussolini gesagt hat. In den 30 Jahren unter den Borgias hat es nur Krieg gegeben, Terror und Blut. Dafür gab es Michelangelo, Leonardo da Vinci und die Renaissance. In der Schweiz herrschte brüderliche Liebe. 500 Jahre Demokratie und Frieden. Und was haben wir davon? Die Kuckucksuhr! Adieu, Holly."