Archiv


"Da will jemand wieder seinen dicken Kopf durchsetzen"

"Es geht darum parteipolitische Meinung umzusetzen", kritisiert Heide Simonis, SPD-Politikerin und ehemaliges Mitglied des ZDF-Verwaltungsrates, den Versuch, dessen Chefredakteur Nikolaus Brender abzuberufen. Sie mahnt an, dass der öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht nach Quoten beurteilt werden sollte - und warnt vor einer Signalwirkung.

Heide Simonis im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Der Verwaltungsrat des Zweiten Deutschen Fernsehens wird heute voraussichtlich darüber entscheiden, ob der Vertrag des Chefredakteurs Nikolaus Brender verlängert wird oder nicht. Eigentlich kein meldepflichtiges Thema, allerdings hat sich der hessische Ministerpräsident Roland Koch bereits vor Monaten gegen eine Verlängerung des Vertrages ausgesprochen. Am vergangenen Wochenende erinnerten namhafte Staatsrechtslehrer an die grundgesetzlich garantierte Staatsfreiheit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und warnten vor staatlicher Einflussnahme.
    Am Telefon ist die SPD-Politikerin Heide Simonis, die ehemalige Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein und ehemaliges Mitglied des ZDF-Verwaltungsrates. Guten Morgen!

    Heide Simonis: Guten Morgen.

    Heinemann: Frau Simonis, ist Nikolas Brender ein guter Chefredakteur?

    Simonis: Das steht mir nicht an, das zu beurteilen. Für jeden kann das anders ausfallen, dieses Urteil. Das war auch nicht der Punkt, darüber redet in der Zwischenzeit auch gar keiner mehr. Aber gut, wieso denn nicht, sondern da reden nur die Fachleute drüber. Es geht um eine ganz handfeste politische Geschichte und da will jemand wieder seinen dicken Kopf durchsetzen, was eigentlich nicht erlaubt ist.

    Heinemann: Aber es geht doch auch um Sachargumente? Der Fernsehjournalist Ulrich Wickert, der jetzt nicht als Busenfreund von Roland Koch bekannt ist, wirft ARD und ZDF zum Beispiel vor, sie informierten in ihren Nachrichtensendungen bruchstückhaft und sprachlich schlampig. Wer ist denn für diese mutmaßlichen Info-Torsi und Sprach-Verhunzungen verantwortlich, wenn nicht der Chefredakteur?

    Simonis: Es hat sich überhaupt in die deutsche Sprache manches eingeschlichen. Da könnte man mit der Harke durchgehen und müsste eine ganze Menge machen. Das sind alles Sachen, die man ändern kann. Da kann man Bescheid sagen, da kann man in den Sitzungen des Verwaltungsrates, der ja nicht nur einmal im Jahr sich trifft, sondern mehrfach, kann man darauf hinweisen, was einem da nicht passt. Da gibt es Möglichkeiten, wo Verwaltungsräte ein weites Feld der Betätigung haben. Es ist auch ganz klar, dass es darum alles nicht geht, sondern es geht darum, jemand wegzukriegen, der nicht der eigenen Partei angehört, und ein Verwaltungsrat, der seit Jahren davon lebt, einen Freundeskreis der SPD und einen Freundeskreis der CDU zu haben, da ist was schiefgelaufen und darüber hätte man sich schon längst unterhalten müssen. Aber jetzt machen wir es halt anlässlich einer solchen Personalie.

    Heinemann: Fühlen Sie sich durch "Heute" und "Heute-Journal" umfassend informiert?

    Simonis: Jein, aber man ist nirgendwo umfassend informiert. Man liest ja auch zwei, drei Zeitungen, weil man gerne unterschiedliche Meinungen von irgendetwas bekommen möchte. Sie können mich jetzt fragen, so oft wie Sie wollen. Ich lasse mich nicht darauf ein zu sagen, aus qualitativen Gründen muss dieser Mann weg, denn dann hätte man schon längst abmahnen müssen, dann hätte man was sagen müssen, dann hätte man schon längst klarmachen müssen, dass einem das nicht gefällt. Es geht, dabei bleibe ich nun mal, darum, parteipolitische Meinung umzusetzen, und zwar die eines einzelnen Herrn.

    Heinemann: Wenn nicht qualitative Gründe, dann gibt es vielleicht quantitative. Roland Koch macht ja folgende Rechnung auf: "Heute" habe seit 2002 26 Prozent seiner Zuschauer verloren. Seit 2008 sei die Sendung von RTL überholt worden. "Auslandsjournal" minus 56 Prozent, "Länderspiegel" minus 16, "Heute-Journal" minus zehn, während die "ARD Tagesthemen" ihren Anteil wenigstens halten konnten. Wer trägt denn für diese Entwicklung die Verantwortung, noch mal, wenn nicht der Chefredakteur?

    Simonis: Das ZDF leidet sowieso, wie übrigens manch anderes öffentlich-rechtliche Institut auch, unter Zuschauerschwund, weil die Menschen älter werden, weil sie nicht mehr so lange vorm Fernseher sitzen und weil diese kleine Kost in Häppchen gepackt, die man woanders kriegt, flott serviert, leichter zu schlucken ist. Das ist ein Problem, das will ich ja gerne zugeben. Die Privaten, früher als Schmuddelkinder in die Ecke gestellt, haben schwer aufgeholt, machen heute seriöse Politik, können gut berichten, sind ganz spannend, bringen teilweise unterhaltsame Filme und andere Angebote, und da müssen die Öffentlich-rechtlichen nachlaufen. Jetzt kommt eine Sache, die wirklich Schwierigkeiten bereitet. Diese verflixte Quotendenkerei immer! Ausgerechnet die Öffentlich-rechtlichen müssten eigentlich frei davon sein, wie viel Quote sie haben. Sie kriegen Zwangsbeiträge und mit diesem Geld müssen sie informieren. Und wenn sich eben nur zehn Prozent der Leute dafür interessieren, dann muss auch das gebracht werden, was nur ganz wenige interessiert. Da kann man mit Quoten nichts erreichen, weil Quoten wären nicht mit dem Zwangsgeld zu vereinbaren.

    Heinemann: Damit würde sich das öffentlich-rechtliche Fernsehen langsam in die Bedeutungslosigkeit abmelden?

    Simonis: Nein! Das Öffentlich-rechtliche hat die Aufgabe, die Menschen zu informieren, auch über Sachen, die irgendwo stattfinden, wo andere sich nicht so sehr für interessieren. Das muss man wohl abgewogen machen, dabei muss man bedenken, wie ist die Zuschauerstruktur, und die ist deutlich beim ZDF älter als woanders. Da muss man was machen. Aber jetzt machen sie mal ein Programm für älter werdende Menschen, die gar nicht mehr so wild davon begeistert sind, nun alle fünf Minuten mit was Neuem übergossen zu werden.

    Heinemann: Frau Simonis, Politikerschelte ist ja wohlfeil, also die Forderung "Politik raus aus den Verwaltungsräten". Aber versucht nicht jede sogenannte gesellschaftlich relevante Gruppe, also auch die Religionsgemeinschaften, der Sport, die Vereine und so weiter, ihre Interessen im Programm zu platzieren?

    Simonis: Es wäre schön, wenn sie es täten, und zwar laut; dann wüsste man, wo man dran wäre. Ich bin ja damals zurückgetreten aus diesem Verwaltungsrat, weil das nicht mehr zu ertragen war. Diese Freundeskreise hatten de facto zur Folge, man saß stundenlang in großen Räumen herum und wartete auf irgendetwas, was einem der reitende Bote von der Nachbarveranstaltung mitteilte, und schickte die Nachricht wieder zurück. Das ist in meinen Augen keine vernünftige Wahl, die nach Qualität geht, sondern das ist schlichtweg Durchzählen und Päckchen packen und was alles noch in das Päckchen rein muss, damit es der andere akzeptiert und nicht wieder postwendend zurücksendet. Das bedeutet auch, dass die Kontrollfunktionen der Politik nicht da wahrgenommen werden, wo sie wahrgenommen werden sollten, nämlich ist die Berichterstattung ausgewogen, wendet sie sich an viele Leute, haben sie auch Mut, Themen zu bringen, die nicht Alltagsware sind, und es geht nicht darum zu zählen, wie viele SPD-Leute sitzen da drin und wie viele CDU-Leute sitzen da drin.

    Heinemann: Wer gehört denn in einen Verwaltungsrat und wer nicht?

    Simonis: Es gehören auch Politiker rein. Das ist ja Staatsfernsehen. Es gehören aber, finde ich, auch Vertreter aller möglichen Gruppen rein. Da gibt es einen Schlüssel, an dem zu rütteln ich mir jetzt nicht zumuten und zutrauen würde, weil es schon immer so gewesen ist, dass die auch Vertreter da hatten. Da scheinen offensichtlich in der Zwischenzeit auch ganz schön feste Strukturen eingebaut geworden sein, die nicht mehr aufbrechbar zu sein scheinen.

    Heinemann: Wer sollte im öffentlich-rechtlichen Rundfunk etwa über die Besetzung eines Chefredakteurspostens entscheiden oder über andere Spitzenpositionen?

    Simonis: Der Chefredakteur, das ist etwas schwierig und das macht ja dann auch der Verwaltungsrat. Einer macht ja den Vorschlag und alle anderen können sagen, das passt mir oder passt mir nicht, was ist das für ein Mensch, was kann er, oder was kann er nicht. Es wird aber als erstes gefragt, welcher Partei ist der zuzuordnen, und dann weiß man schon, aha, den finden wir netter als den anderen.

    Heinemann: Mit welcher Entscheidung rechnen Sie heute?

    Simonis: Es ist fast egal, was heute entschieden wird. Der Schaden, der Flurschaden ist bereits groß, denn jeweils die eine Gruppe wird sich düpiert fühlen und wird darauf hinweisen, dass das keine vernünftige, keine anständige Wahl war, und ich muss Ihnen sagen, das sehe ich auch so, dass das keine anständige Wahl mehr ist. Im Übrigen: Wenn das so weitergeht, wird sich kaum noch einer wagen, sich zu bewerben, jedenfalls noch nicht, wenn er am Anfang seiner Karriere steht, weil er keine Lust hat, eine mitzubekommen.

    Heinemann: Die SPD-Politikerin und frühere Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein, Heide Simonis, in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Simonis: Da nich' für. Gerne!