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"Da wird jetzt eine neue Debatte in Gang kommen"

Ethik.- In einem Grundsatzurteil hat der Bundesgerichtshof gentechnische Untersuchungen an künstlich befruchteten Eizellen für nicht strafbar erklärt. Welche Begründung dahinter steckt, erläutert die Wissenschaftsjournalistin Marieke Degen im Interview mit Uli Blumenthal.

06.07.2010
    Uli Blumenthal: Beginnen wollen wir mit einem Fall, der heute den 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs in Leipzig beschäftigt hat. Ein Frauenarzt aus Berlin hatte sich selbst angezeigt, weil er in seiner Praxis die umstrittene Präimplantationsdiagnostik, PID, angewandt hatte. Mit dieser Methode können Ärzte Embryonen schon in der Petrischale auf genetische Defekte untersuchen. Bislang gilt die PID in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz als verboten. Marieke Degen, wie hat der Bundesgerichtshof nun vor einer knappen Stunde entschieden?

    Marieke Degen: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass sich der Arzt nicht strafbar gemacht hat. Die Richter haben damit ein Urteil vom Landgericht Berlin bestätigt. Die haben das genauso gesehen. Die haben gesagt, der Arzt hat nicht gegen das Embryonenschutzgesetz verstoßen, weil er eine Präimplantationsdiagnostik angewandt hat.

    Blumenthal: Um welche Fälle ging es bei der Selbstanzeige des Berliner Arztes jetzt konkret? Über diese Fälle hat ja der Bundesgerichtshof in Leipzig konkret entschieden.

    Degen: Der Berliner Gynäkologe betreibt eine Kinderwunschpraxis und er hatte bei drei Paaren eine Präimplantationsdiagnostik durchgeführt. Der Hintergrund war folgender: Eines der Paare litt an einem schweren Gendefekt und wenn das Paar versucht hätte, auf natürlichem Wege ein Kind zu bekommen, wäre die Gefahr sehr groß gewesen, dass das Kind schwer geschädigt ist, dass es vielleicht schon im Mutterleib stirbt oder direkt nach der Geburt stirbt. Und das wollte der Arzt verhindern. Und deshalb hat er bei diesen Paaren eine künstliche Befruchtung durchgeführt. Das heißt, er hat die Eizelle und die Samenzellen in der Petrischale miteinander verschmelzen lassen und sich dann die daraus entstehenden Embryonen ganz genau angeschaut und geschaut, welche dieser Embryonen den Gendefekt haben und welche nicht. Und anschließend hat er dann auf Wunsch der Mütter nur die gesunden Embryonen eingepflanzt. Aber wie gesagt: Diese Präimplantationsdiagnostik war bislang offiziell in Deutschland verboten. Und deshalb hat er sich selber angezeigt.

    Blumenthal: Und warum ist es in Deutschland verboten, bei der künstlichen Befruchtung - das war es ja - Embryonen auf Gendefekte zu untersuchen und die, die keinen Gendefekt haben, dann einzusetzen und die anderen - letztlich sagt man es glaube ich dann - zu verwerfen und zu vernichten?

    Degen: Es gibt bislang kein Gesetz, das die Präimplantationsdiagnostik richtig explizit regelt. Aber es gibt das Embryonenschutzgesetz von 1991. Und das greift auch in diese Präimplantationsdiagnostik ein. Denn das schreibt vor, dass Embryonen nicht vernichtet werden dürfen. Genau das ist ja praktisch der Sinn der Präimplantationsdiagnostik, dass man eben die defekten Embryonen wirklich aussortiert und vernichtet und nicht in den Mutterleib einsetzt. Und genau das hat Matthias B. auch gemacht. Er war sich selber sicher, dass er kein Unrecht begangen hatte. Aber weil er endlich Klarheit darüber haben wollte, ob er jetzt gegen dieses Embryonenschutzgesetz tatsächlich verstoßen hat oder nicht, da hat er sich eben angezeigt. Und das Ganze wurde dann vor dem Landgericht Berlin verhandelt. Und das Landgericht Berlin hat ihn freigesprochen von diesem Vorwurf und hat gesagt: Nein, im Embryonenschutzgesetz ist nirgendwo geschrieben, dass man diese Präimplantationsdiagnostik nicht anwenden darf und außerdem hat der Arzt auch ganz im Sinne des Embryonenschutzgesetzes gehandelt. Denn die Frauen - seine Patientinnen - wollten nur die gesunden Embryonen eingesetzt bekommen und dem hat sich der Arzt gefügt. Und genau das schreibt das Embryonenschutzgesetz auch vor, dass man Frauen nur die Eizellen einsetzen darf, die sie auch selber möchten. Der Berliner Staatsanwalt ist dann in Revision gegangen - vor den Bundesgerichtshof gezogen - und der Bundesgerichtshof hat heute wirklich innerhalb von wenigen Stunden dann eben auch das Urteil gefällt, dass der Arzt sich nicht strafbar gemacht hat. Das heißt, sie haben dem Landgericht Berlin Recht gegeben.

    Blumenthal: Wie sieht denn die Begründung des Bundesgerichtshofs konkret aus und was bedeutet dies für vergleichbare Fälle und generell für die Frage, Gentests bei PID, bei künstlicher Befruchtung, also Präimplantationsdiagnostik?

    Degen: Der Vorsitzende Richter Clemens Basdorf hat gesagt, mit dem Urteil wollte man jetzt nicht generell dafür sprechen, dass man Embryonen vor der Einpflanzung in den Mutterleib gezielt auswählen darf. Aber Tatsache ist nun mal, dass es bislang einfach kein Gesetz gibt, das die Präimplantationsdiagnostik genau regelt. Und das Embryonenschutzgesetz ist da offenbar nicht ausreichend. Das heißt, die Richter fordern den Gesetzgeber auf, jetzt die Präimplantationsdiagnostik rechtlich zu klären. Sie entweder zu verbieten oder zu erlauben. Und da denke ich, da wird jetzt eine neue Debatte in Gang kommen und dann wird man abwarten müssen, wie das in Deutschland mit der Präimplantationsdiagnostik weitergeht, ob sie dann irgendwann offiziell erlaubt sein wird oder nicht.

    Blumenthal: Bundesrichter in Leipzig erlauben Gentests an Embryonen. Informationen und Hintergründe zum aktuell verkündeten Urteil des Bundesgerichtshofs in Leipzig von meiner Kollegin und Wissenschaftsjournalistin Marieke Degen.