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DADA total

"DADA bedeutet nichts", erklärte der deutsche Schriftsteller Richard Hülsenbeck vor 90 Jahren im Zürcher Cabaret Voltaire den damals neuesten Trend in der Kunst. "Wir wollen die Welt mit nichts ändern. DADA ist die beste Medizin und verhilft zu einer glücklichen Ehe. Ihre Kindeskinder werden es Ihnen danken." Eine große Ausstellung über die Medizin des Dadaismus ist seit gestern im Centre Pompidou in Paris zu sehen.

Von Björn Stüben | 06.10.2005
    "Hiermit erkläre ich, dass Tristan Tzara am 8. Februar 1916 um 6 Uhr abends das Wort DADA erfunden hat. Ich war mit meinen zwölf Kindern zugegen, als Tzara das Wort zum ersten Mal aussprach und bei uns damit einen Sturm von Begeisterung entfachte. Dies geschah im Café Terrasse in Zürich und ich trug einen Napfkuchen im linken Nasenloch." Diese sehr präzise Aussage von Hans Arp aus dem Jahre 1921 müsste das Rätselraten der Kunstgeschichtler um den Entstehungsmythos des DADA-Begriffs eigentlich schon längst beendet haben, aber trotzdem halten sich hartnäckig noch zwei andere Varianten. Hugo Ball soll ein französisch-deutsches Wörterbuch mit einem Messer malträtiert haben und zufällig beim Wort DADA hängen geblieben sein, was bei den Franzosen "Steckenpferd" bedeutet. Oder war es am Ende doch die Version, die Marcel Janco vertrat, nach der DADA damals ein bekanntes Haarwaschmittel in der Schweiz geheißen haben soll, das für die Namensgebung herhalten musste? Fest steht zumindest, dass die Geburtsstunde des DADA in Zürich schlägt. Es ist der junge deutsche Schriftsteller Hugo Ball, der hier das Cabaret Voltaire eröffnet, getrieben von dem Wunsch, wie er schreibt, "es möchten sich in der Schweiz einige junge Leute finden, denen gleich mir daran gelegen wäre, ihre Unabhängigkeit nicht nur zu genießen, sondern auch zu dokumentieren." Vom in Europa wütenden ersten Weltkrieg in die neutrale Schweiz getrieben sind der Elsässer Hans Arp, der Rumäne Marcel Janco und der Franzose Tristan Tzara hierzu bereit. Was dann folgt, das versucht jetzt das Pariser Centre Pompidou ebenfalls zu dokumentieren. Lust zum groben Unfug wie die Dadaisten hat man am Centre Pompidou zwar nicht entwickelt, dafür aber Mut und Fleiß. Auf über 2000 qm werden fast ebenso viele Ausstellungsstücke präsentiert, was selbst für das Centre rekordverdächtig ist. Folglich ähnelt der Katalog der Schau mit einem Umfang von 1025 Seiten aus hauchdünnem Recyclingpapier dem Pariser Telefonbuch. Objekte, Collagen, Zeichnungen, Gemälde, Fotografien und -montagen, Reliefs, Skulpturen, Manuskripte, Drucke, Bücher, Zeitschriften, Plakate und Presseartikel werden in über vierzig Räumen, die dem Raster eines Schachbretts entsprechend angeordnet sind, gezeigt. Erholung vom Rundgang bieten zwei abgedunkelte, schmale Gänge, die zum Hinsetzen und Zuhören einladen.

    Es ist müßig, dem Gedicht "Die Wolkenpumpe" von Hans Arp einen
    Sinn zu entlocken. Er selbst bezeichnete es als Textcollage, die sich aus zufällig in Büchern oder Zeitschriften gefundenen Satzbruchstücken zusammensetzt. Der Nonsens des DADA wollte durchaus provozieren. Anvisiert wurde anfangs der Schweizer Spießbürger stellvertretend für eine Gesellschaft, die das bestialische Dahinschlachten des ersten Weltkriegs zugelassen hatte. Arp wird rückblickend schreiben: "Es gibt kein unbarmherzigeres Geschöpf als den Bürger. Für seinen ausgestopften Schiller ist er bereit, jederzeit ein Blutbad zu veranstalten." Die Dadaisten wollte den Teufel austreiben, in dem sie neue Spielregeln zu installieren versuchten. Gewohnheiten, vor allem Seh- und Hörgewohnheiten galt es zu zertrümmern, nicht durch militantes Agieren, sondern durch die Kunst oder vielmehr durch DADA. Aber gab es DADA nicht schon irgendwie vor DADA? Auch wenn im Centre Pompidou kein präziser Weg durch die Schau vorgeschlagen wird, denn jeder möge sich, laut Ausstellungsleiter Laurent Le Bon, seinen ganz eigenen DADA-Kosmos erschließen, so trifft der Besucher dennoch gleich zu Beginn auf Marcel Duchamps Fahrrad-Rad auf einem Hocker, den serienmäßig gefertigten Flaschentrockner und natürlich auf das "Fontäne" getaufte Pissoirbecken. Duchamps New Yorker Ready-mades wandten sich schon früher als DADA vom herkömmlichen Kunstverständnis ab. Nach Europa zurückgekehrt schmückt Duchamps 1919 dann auf einem billigen Kunstdruck das Lächeln der Mona Lisa noch durch ein Kinn- und Schnauzbärtchen. Mehrere Varianten der vermännlichten Mona Lisa mit handschriftlichen Notizen sind jetzt in der Schau zu sehen. Ein ganz anderes Vorzeichen bekommt DADA am Standort Berlin. Mit George Grosz, Otto Dix, Hannah Höch und John Heartfield politisiert sich DADA. Spott und vehemente Antikriegspropaganda dominieren etwa Grosz' Radierzyklus "Gott mit uns". Für die Schau in Paris stand eines von Beginn an fest: DADA ist eigentlich undefinierbar und daher schwer in einer Ausstellung zu erfassen. Hinwegzuhelfen über die Materialfülle kann allerdings der exzellente Katalog. Er ist mehr als eine Bestandsaufnahme des Gezeigten. Er ist als fulminantes Nachschlagewerk angelegt, das kaum eine Frage zu den Orten und Personen des DADA offen lässt. Am einfachsten wäre es jedoch, sich an Richard Huelsenbecks "Erklärung" zu halten, die dieser einst im Cabaret Voltaire vortrug: "Dada wurde in einem Lexikon gefunden, es bedeutet nichts. Dies ist das bedeutende Nichts, und dem nichts etwas bedeutet. Wir wollen die Welt mit Nichts ändern, wir wollen die Dichtung und die Malerei mit Nichts ändern... Wir stehen hier ohne Absicht, wir haben nicht mal die Absicht, Sie zu unterhalten oder zu amüsieren... Nehmen Sie bitte Dada von uns als Geschenk an, denn wer es nicht annimmt, ist verloren. Dada ist die beste Medizin und verhilft zu einer glücklichen Ehe. Ihre Kindeskinder werden es Ihnen danken."