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"Dänemark übernimmt das Ruder zu einem schwierigen Zeitpunkt"

Der frischgebackene EU-Ratspräsident Dänemark will Brücken bauen. Die geplante Wiedereinführung von Grenzkontrollen hatte letzten Sommer für europäischen Unmut gesorgt. Die veränderten Prioritäten in Kopenhagen haben viel mit der neuen Regierungschefin Helle Thorning Schmidt zu tun.

Von Marc-Christoph Wagner | 02.01.2012
    Erst am Ende ihrer ersten Neujahresansprache gestern Abend kam die dänische Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt auf Europa und die dänische Ratspräsidentschaft zu sprechen:

    "Alles, was in Europa passiert, hat Konsequenzen auch für unser Land. Darum müssen wir jede Möglichkeit wahrnehmen zu beeinflussen, was in Europa passiert. Das liegt in unserem Interesse, im Interesse aller Dänen."

    Gleichzeitig bemühte sich Thorning-Schmidt, die Erwartungen an Dänemarks Führungsrolle zu dämpfen. Die EU, so die Sozialdemokratin, die noch keine einhundert Tage im Amt ist, befinde sich in einer tiefen Krise:

    "Dänemark übernimmt das Ruder zu einem schwierigen Zeitpunkt. Große Aufgaben liegen vor uns. Und wir werden hart daran arbeiten, diese zu schultern. Wir Dänen werden unseren Beitrag dazu leisten, dass die europäischen Staaten ihre Haushalte konsolidieren und neuerliches Wachstum schaffen. Nur so können neue Arbeitsplätze in Europa entstehen."

    Im Gegensatz zu ihren eher EU-skeptischen Landsleuten gilt Helle Thorning-Schmidt als begeisterte Europäerin. Ihre politische Karriere begann sie als Abgeordnete des Europäischen Parlaments. Sie selbst hat wiederholt betont, persönlich plädiere sie für die Einführung des Euro auch in Dänemark. Auch deshalb, so Mette Østergaard von der Tageszeitung Politiken, wird Dänemarks Regierungschefin in den kommenden sechs Monaten sehr viel Zeit und Energie in die Stabilisierung des Euro investieren:

    "Helle Thorning-Schmidt wird sich bemühen, die Rolle des ehrlichen Maklers zu spielen – eines ehrlichen Vermittlers, der hinter den Kulissen die Fäden zieht und zwischen Euro- und Nicht-Eurostaaten vermittelt. Und eben weil wir als Land nicht Teil sind der Eurozone, so können wir diese Mittlerrolle auch glaubwürdig vertreten, sehr viel glaubwürdiger, als wenn wir selbst starke Eigeninteressen vertreten würden."

    Unterdessen mehren sich die Stimmen, die in der dänischen Ratspräsidentschaft die Chance sehen, auch die europapolitische Debatte im Lande selbst zu beleben und die Dänen von den Vorzügen der EU zu überzeugen. Karsten Dybvad vom dänischen Industrieverband jedenfalls findet es gut, dass Dänemark nach einem Jahrzehnt, in dem das Land immer wieder Schlagzeilen machte mit seiner restriktiven Ausländerpolitik und rechtspopulistischen Ressentiments gegen die EU, nun eine sehr viel aktivere Rolle auf der europäischen Bühne spielt.

    "Wir möchten der Welt signalisieren, wir sind ein offenes Land, ein attraktives Land für ausländische Arbeitnehmer. Und mit großer Freude stellen wir fest, dass die neue Regierung es ebenso sieht."

    Auch Marlene Wind, Leiterin des Zentrums für Europäische Politik an der Kopenhagener Universität, hofft, die Ratspräsidentschaft werde den Dänen manche Berührungsängste nehmen. Im Herbst will die Regierung zwei der drei dänischen EU-Vorbehalte zur Volksabstimmung ausschreiben. Dann sollen die Dänen darüber entscheiden, ob sie sich an der europäischen Rechts- und Asylpolitik wie auch an der gemeinsamen Verteidigungspolitik beteiligen wollen:

    "Man kann nur hoffen, dass die Ratspräsidentschaft auch einen positiven Effekt auf die Dänen selbst hat, dass sie verstehen, was das europäische Projekt im Kern beinhaltet – denn das ist nach zehn Jahren mit einer bürgerlichen Regierung, in denen wir Europa im Großen und Ganzen nicht debattiert haben, dringend nötig."

    Fragen, die die Dänen am gestrigen Neujahrstag nur bedingt interessierten. Lange Zeit lag dicker Nebel über der Kopenhagener Innenstadt, die sich erst am Nachmittag langsam belebte. Die Tatsache, dass ihr Land in der Nacht den EU-Ratsvorsitz übernommen hatte, stieß bei den Passanten auf ein geteiltes Echo:

    "Ich habe keine großen Erwartungen. Natürlich hoffe ich, dass Europa die Krise überwindet, aber wir Dänen alleine schaffen das nicht.
    Wir sind ein kleines Land und gerade deswegen sollten wir dabei sein, wo wichtige Entscheidungen getroffen werden.
    Oft ist es doch so, dass kleine Länder die großen zusammenbringen. Einfach, weil man bei letzteren stets versteckte Eigeninteressen vermutet."