Archiv


Dänemarks größter Ballettmeister und Choreograph

Das Königliche Theater in Kopenhagen hat Choreographien im Repertoire, die über 150 Jahr alt sind. Der Ballettmeister August Bournonville ist quasi nationales Erbe für die Dänen. Sein 200. Geburtstag wird nun gebührend gefeiert.

Von Wiebke Hüster |
    So begann jeder Ballettabend dieser Festivalwoche: Das Publikum erhebt sich im Königlich Dänischen Theater, wenn Königin Margarete in ihrer Loge Platz nimmt, alles verstummt, wenn der Gong erklingt, man applaudiert dem fabelhaften Dirigenten Graham Bond, und wieder erklingt eine andere Ouvertüre zu einem der vielen berühmten Ballette. Das Verblüffende ist nämlich, dass in diesem Theater von 1874 von sechzig Balletten, die Bournonville zwischen 1830 und 1877 schuf, heute noch elf zu sehen sind, und das in den meisten Fällen nicht etwa aufgrund tanzhistorischer Rekonstruktionen. Vielmehr halten sich einige seiner berühmtesten Werke bereits hundertfünfzig und mehr Jahre im Repertoire. Kopenhagens geographische Lage und das langsamer verstreichende Zeitmaß für Ästhetik haben das Königliche Dänische Ballett in die einzigartige Lage versetzt, in diesen Tagen die dreihundertsiebenundachtzigste Vorstellung von "La Sylphide" tanzen zu können und von einem ausverkauften Haus nach der glanzvollen achthundertzwölften Aufführung von "Napoli eller Fiskeren og hans Brud" ("Napoli oder der Fischer und seine Braut") stehende Ovationen zu empfangen. Doch "La Sylphide" war der unbestrittene Höhepunkt dieser Woche

    Wenn die Sylphide - die Schlüsselfigur romantischen Tanzes - zum Fenster hereinschweben soll um den schlafenden James zu wecken und um den Verstand eines schottischen Landjunkers zu bringen, tritt sie mit einem Spitzenschuh auf eine kleine Scheibe, die sich dann lautlos mit ihrer zarten Last bis auf den Zimmerboden absenkt. Wenn sie stirbt, weil James sie wider besseres Wissen berühren und festhalten will, dann fallen ihre kleinen Flügel wie von Zauberhand vom Rücken.

    Titel wie "La Ventana", "Kirmes in Brügge", "La Sylphide", "Napoli", "Abdallah" oder "Eine Volkssage" deuten es bereits an - der dänische Sonderweg der Romantik verzeichnet auf seinen Besetzungslisten nicht nur zauberhafte oder furchterregende, übernatürlich begabte Figuren im Besitz magischer Kräfte. Dem märchenhaften und mythischen Personal treten außer Adeligen Personen verschiedener Stände mit Selbstbewußtsein und natürlicher Anmut gegenüber. Hier liegt die Souveränität der Füße beim Volk. Außerdem ist Ballett seit gut zweihundert Jahren Familiensache. Die witzigste Rolle in "Abdallah", das jetzt zum neunzigsten Mal seit 1855 in das Reich von Tausendundeiner Nacht entführte, hat ein kleiner Sklavenjunge. Die Ballettschule ist im Theater untergebracht, ständig laufen die Generationen einander auf und hinter der Bühne über den Weg. Soviele Rollen für Kinder und ältere Charaktertänzer gibt es nirgends sonst. Die Compagnie des Königliche Dänischen Balletts sei heute noch genau wie zu Bournonvilles Zeiten eine Familie, erklärt ihr Direktor Frank Andersen

    " Dies ist wirklich die einzigartige Tradition des Königlich Dänischen Balletts. Das wir auf der Bühne eine Alterspanne der Darsteller zwischen sieben und siebzig Jahren haben. "

    Ein halbes Jahrhundert lang blieb der Tänzer, Ballettdirektor, Regisseur und Opernchef in Diensten des Königlich Dänischen Balletts. Bournonville war, wie das Festival jetzt erneut bewies, der Ballettvirtuose des hohen Nordens, ein kluger, humanistischer, ästhetisch gebildeter, lyrischer, musisch begabter und witziger Choreograph, wie es seither nur wenige gegeben hat. Im Bewußtsein der besonderen Reize der nordischen Romantik stellte der weitgereiste Bournonville den über alle Bühnen Europas schwebenden Sylphiden noch Trolle und Hexen, Elfenmädchen und Alchemisten, Seegötter und Najaden an die Seite und schilderte lieber das Leben des Volkes als des Hofes. Bournonville wurde von den Malern, Komponisten und Dichtern des Goldenen Zeitalters in Dänemark als "Poet des Balletts" verehrt - weil er der Sehnsucht nach Ferne und nach übernatürlichen Sphären Gestalt verlieh.