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Dahinter steckt mehr als nur ein kluger Kopf

Im Frankfurter Goethehaus wird derzeit eine - die Fotos des Frankfurter Fotografen Alexander Englert stehen im Zusammenhang mit dem vorliegenden, außergewöhnlichen Buchprojekt: "Momentum".

Von Beate Berger | 19.12.2011
    "Gut, aus welchen Gründen werden Autorenfotos gemacht? Es sind nicht so viele Kunstprojekte, wie man denken sollte. Die Verlage lassen fotografieren, dann ist es dafür da, um auf dem Cover von einem Buch gut auszusehen. Das hat sich in den letzten Jahren ein bisschen gewandelt, aber eigentlich wurden die immer als reine Kopfwesen dargestellt. Völlig ohne Körper."

    Dass Jutta Kaußen die gängigen Autorenporträts mit Skepsis betrachtet, hat einen Grund. Die Frankfurterin arbeitet als Theater- und Radio-Dramaturgin und sie übersetzt englische und amerikanische Lyrik ins Deutsche. Bei ihrer Arbeit mit den Texten fiel ihr immer wieder auf, wie sehr die Lebenswirklichkeit der Autoren durch die Literatur hindurchschimmert:

    "Auch bei meinen ersten großen Übersetzungen - Ted Hughes - ist mir eben aufgefallen, wenn ich einen Text nicht richtig verstanden habe, wenn ich dann den Autor gefragt habe, schrieb er mir zurück und schilderte mir eine äußere Situation. Und wenn ich jetzt dieses äußere Bild hatte, dann war ich am inneren Bild. Also hatte die literarische Arbeit, die schöpferische Arbeit hatte immer mit der Realität zu tun, in der der Autor lebte."

    Dieses Wissen hat Jutta Kaußen nicht für sich behalten. Sie tauschte sich mit zwei Frankfurter Künstlern darüber aus:

    "Barbara Englert und ich wir arbeiten zusammen bei Theaterprojekten. Da bin ich immer zuständig für den Text. Alexander Englert fotografiert hier fürs Schauspiel. Er ist Straßenfotograf, er ist Porträtfotograf, also ihn interessiert vor allem das Menschenbild."

    Jutta Kaußen konzipierte schließlich mit den Geschwistern Englert ein ebenso spannendes wie aufwendiges Ausstellungs- und Buchprojekt mit unkonventionellen Schriftstellerporträts. Die Fotos sollten zwar auf dem Hintergrund von literarischen Schlüsselmomenten entstehen, doch eines durften sie auf keinen Fall sein: vergeistigt.

    "Ja, aber bitte, der Körper ist ein Instrument; darin empfindet man, man fühlt, Durs Grünbein spricht auch von der Archäologie im Körper selbst."

    32 Schriftsteller haben sich in den vergangenen drei Jahren auf das interessante Porträt-Experiment eingelassen. Durs Grünbein ließ sich beispielsweise wartend an einer stark befahrenen römischen Straße fotografieren. Martin Mosebach wagte sich unter die ebenso segnende wie bedrohliche Tatze eines großen Eisbären, Ulrike Draesner riskierte flüchtige Blickbekanntschaften am Flughafenterminal, Angela Krauß erfreute sich am Anblick von badenden Elefanten im Zoo,

    Andreas Maier tauchte im Fanblock der Frankfurter Eintracht unter. Kurz, die Autoren zeigen sich nicht in intellektueller Pose, sie agieren; sie bewegen sich in Szenen, die die Triebfedern ihres eigenen Schaffens sichtbar machen.

    Die Bildsprache der Fotos ist ganz unterschiedlich. Alexander Englert jongliert gekonnt zwischen den Genres. Einige seiner Bilder wirken surreal und experimentell, andere haben Reportagecharakter. Ganz besonders faszinierend sind die Fotos, die in ihrer Stimmung und Farbigkeit an altmeisterliche Gemälde erinnern.
    Doch so unterschiedlich die Bilder auch sind, eines haben sie alle gemeinsam: Sie erzählen Geschichten, die über den Bildrand hinausgehen. Barbara und Alexander Englert schätzten diese narrative Eigendynamik sehr:

    "Schön war einfach auch, wenn man das Ganze macht, um zu wissen, was war der Anfang oder was war der ausschlaggebende Moment, dass man dann, wenn das Foto dann schließlich entstanden ist, mit all seinen Geschichten, wie einen kleinen eigenen Roman erzählt, der mit dem Anfang dann auch wieder nichts zu tun hat eigentlich."

    "Nicht wir schauen das Kunstwerk an, sondern das Kunstwerk schaut uns an. Auf der einen Seite hat man schon durch den Text selbst, der unter dem Bild liegt, schon eine Interpretation, aber dass man natürlich auch selber, wenn man den Text nicht liest, sich selber Geschichten entwickelt. Das finde ich auch sehr schön."

    Im Katalog der Ausstellung sind nicht nur alle Fotos zusammen mit den dazugehörigen Schlüsseltexten zu finden, sondern auch ausführliche Berichte und Anekdoten über die Entstehung der einzelnen Bilder. Ganz besonders spannend war offenbar das Zustandekommen des Porträts von Raoul Schrott. Der Lyriker sitzt ausgehfertig im Mantel auf einem Bett und bindet sich - in die Kamera blickend - die Schuhe zu. In seinem Rücken befindet sich eine Badezimmertür aus Milchglas, dahinter eine nackte Frau.

    "Gerade auf den Band, auf den wir uns beziehen, 'Über das Heilige', da geht es ja auch um die Jagd und um die Frau, also: Wo sind die großen Themen? Wir haben dann überlegt und uns diesen Gedichtband angeguckt und er kam uns auch ein bisschen entgegen und wies dann auch auf dieses Gedicht hin. Es geht darum, dass der Protagonist im Hotelzimmer ist mit einer Frau. Er sieht sie durch eine Milchglasscheibe. Sie wäscht sich - das ist ja auch ein ganz, ganz klassisches Motiv. Und in dieser Frau sieht er alle. Er nennt ja auch Petrarcas Laura, da ist Eva, da ist Batseba, da ist Judith. In diesem Gedicht hat er es aber anders genommen. Er hat da so Alltagsfrauen in diese hineinprojiziert."

    Doch die Projektionen setzten sich durchaus auch im Publikum fort.

    "Natürlich, die Bilder erzählen Geschichten und die erzählen aber auch in den Leuten Geschichten über sich selbst. Wir hatten eine Besucherin hier, sie hat gesagt: Genau, so ist das Leben. Da geht man mit einem ins Hotelzimmer und kaum ist man im Bad, geht er wieder."

    Momentum. Dichter in Szenen. Konzeption, Textauswahl und Nachwort: Jutta Kaußen, Fotografien: Alexander Englert. Verlag Wienand. Euro 24,80

    Ausstellung im Frankfurter Goethehaus: Momentum - Dichter in Szenen