90. Geburtstag des Dalai Lama
Nachfolger gesucht

Der Dalai Lama macht sich Gedanken über die Zeit nach seinem Tod. Die Suche nach einem Nachfolger ist ein Politikum, denn China verlangt ein Mitspracherecht. Dagegen wehren sich die Tibeter.

    Buddhistische Mönche sitzen vor einem Fernseher und verfolgen eine Videobotschaft des Dalai Lama.
    In einer Videobotschaft verkündete der Dalai Lama, dass es einen Nachfolger geben soll (picture alliance / AP / Ashwini Bhatia)
    Im von China besetzten Tibet kann schon der Besitz eines Porträts des Dalai Lama zu ernsthaften Konflikten mit der Polizei führen. Peking setzt seinen Machtanspruch dort mit Härte und Entschlossenheit durch, doch das geistliche Oberhaupt des tibetischen Buddhismus ist dabei im Weg. Der Dalai Lama ist für China ein unbequemer Gegner, predigt er doch Frieden, Dialog und Gewaltverzicht und setzt Peking damit immer wieder moralisch ins Unrecht.
    Am 6. Juli 2025 wird der 14. Dalai Lama 90 Jahre alt. Es ist abzusehen, dass irgendwann ein Nachfolger bestimmt werden muss. Die wichtigsten Fragen und Antworten rund um den Dalai Lama, dessen Nachfolge und die Situation in Tibet.

    Inhalt

    Wer ist der Dalai Lama?

    Das religiöse Oberhaupt der Tibeter steht für Frieden und Menschlichkeit und wurde in der Vergangenheit weltweit gefeiert, als sei er ein Popstar. Für seine Landsleute ist er die wichtigste Identifikationsfigur – nicht nur in religiösen Fragen, sondern auch bei der Abwehr chinesischer Machtinteressen. Die Volksrepublik war 1950 in Tibet einmarschiert und beansprucht das Gebiet seitdem für sich.
    1935 war Lhamo Dhondup – das ist der bürgerliche Name des Dalai Lama – als Sohn einer Bauernfamilie im Nordosten von Tibet geboren worden. Als er zwei Jahre alt war, erkannten buddhistische Mönche in ihm die Wiedergeburt des verstorbenen Dalai Lama. Mit gerade einmal viereinhalb Jahren wurde er zum religiösen Oberhaupt der Tibeter.
    1950 marschierte die chinesische Armee in Tibet ein, zerstörte dabei Klöster und Tempel. Daraufhin wurde der Dalai Lama schon mit 15 Jahren auch zum politischen Oberhaupt des bis dahin unabhängigen Tibets. Nach einem erfolglosen Aufstand der Tibeter gegen die chinesischen Besatzer 1959 floh der Dalai Lama mit seiner Gefolgschaft über Nepal nach Nordindien.
    In einem Vorort von Dharamsala baute er eine Exil-Regierung auf. Für seine Botschaft von Mitgefühl und Versöhnung erhielt er 1989 den Friedensnobelpreis. Bis vor einigen Jahren reiste das religiöse Oberhaupt noch um die Welt und füllte oft ganze Stadien. Seine Auftritte in Sandalen und traditionellem Gewand sowie sein Humor machten ihn zum Liebling der internationalen Medien.
    2011 gab der Dalai Lama seine politische Macht ab, diese hat nun eine von Exil-Tibetern gewählte Regierung inne.

    Um den Dalai Lama ist es ruhig geworden

    Inzwischen ist es um den Dalai Lama ruhig geworden. Doch in seinem Exil in Nordindien hält er immer noch Audienzen ab. Populär ist er auch wegen seiner Bescheidenheit: „Ich bin nicht der beste, aber auch nicht der schlechteste Dalai Lama. Ich bin ein ziemlich normaler Dalai Lama und eine ganz nette Person“, sagte er einmal.
    Er selbst sieht sich als "einfacher buddhistischer Mönch", seine Anhänger stellen ihn hingegen auf eine Stufe mit Freiheitskämpfern wie Mahatma Gandhi oder Martin Luther King.
    Das Image des Dalai Lama hat allerdings auch ein paar Kratzer: Im April 2023 ging ein Video viral, das ihn bei einer öffentlichen Veranstaltung zeigt. Das geistige Oberhaupt der Tibeter streckt dort seine Zunge heraus und fordert einen kleinen Jungen auf, daran zu lutschen.
    In den sozialen Medien wurde sein Verhalten sofort als pervers und pädophil kritisiert. Doch viele Tibeter verteidigten ihr Oberhaupt. Bei der Geste habe es sich um einen traditionellen tibetischen Brauch gehandelt. Viele vermuteten hinter der Skandalisierung eine Schmutz-Kampagne aus China.

    Was sagt der Dalai Lama zu seiner Nachfolge?

    Kurz vor seinem 90. Geburtstag hat sich der Dalai Lama mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit gewandt: Er will nicht das letzte geistliche Oberhaupt der Tibeter sein. Die jahrhundertealte tibetisch-buddhistische Institution werde auch nach seinem Tod weiterbestehen, sagte er. Die Suche nach dem nächsten Dalai Lama solle ohne Einmischung und in Übereinstimmung mit der Tradition erfolgen.
    Damit beendete der religiöse Führer jahrelange Spekulationen: Er hatte ehemals selbst angedeutet, dass er möglicherweise die letzte Person sei, die die Rolle des Dalai Lama innehat.
    Für das Finden seiner Reinkarnation und damit der Anerkennung des Nachfolgers soll eine Stiftung zuständig sein, die der Dalai Lama 2015 gegründet hatte. Die tibetischen Buddhisten glauben, dass der Dalai Lama den Körper wählen kann, in den er reinkarniert wird, was seit 1587 bereits vierzehn Mal geschehen sein soll.
    Die Suche nach der Reinkarnation beginnt erst nach dem Tod des Amtsinhabers. In der Vergangenheit wurde der Nachfolger von hochrangigen Mönchsschülern auf der Grundlage spiritueller Zeichen und Visionen bestimmt.

    Was sagt China zur Nachfolge des religiösen Oberhaupts der Tibeter?

    Peking will bei der Nachfolge des Dalai Lama mitreden, um die religiöse Autorität des obersten tibetischen Buddhisten für die eigenen Zwecke zu nutzen. Den derzeitigen Dalai Lama betrachtet die Kommunistische Partei als Separatisten.
    Die Reinkarnation großer buddhistischer Persönlichkeiten müsse durch ein Losverfahren bestimmt und anschließend von der Zentralregierung genehmigt werden, heißt es im chinesischen Außenministerium.
    Viele Exil-Tibeter befürchten, dass China versuchen könnte, durch die Ernennung eines Nachfolgers für den Dalai Lama die Kontrolle über Tibet auszuweiten. Die tibetische Exilregierung verwahrt sich deswegen deutlich gegen eine chinesische Einflussnahme.
    "Über die Wiedergeburt des Dalai Lama entscheiden die Tibeter allein", sagt Regierungschef Penpa Tsering: "Peking glaubt, dass es die Tibeter kontrollieren kann, wenn es den Dalai Lama kontrolliert."

    Das Verschwinden des Panchen Lama

    Eine Schlüsselfigur für die Bestimmung des nächsten Dalai Lama haben die chinesischen Behörden bereits vor rund 30 Jahren verschwinden lassen. Bis heute gilt der Panchen Lama, das zweitwichtigste geistliche Oberhaupt des tibetischen Buddhismus, als vermisst.
    Samt seiner Familie wurde der sechsjährige Gedhun Choekyi Nyima 1995 entführt. China ernannte dann einen eigenen Panchen Lama. „Dieser falsche Panchen Lama vertritt linientreu die Ideologie der Kommunistischen Partei und ist erkennbar nichts weiter als eine Marionette“, sagt Kai Müller von der „International Campaign for Tibet“.
    Menschenrechtsorganisationen und Tibet-Aktivisten fordern immer wieder Informationen über den genauen Aufenthaltsort des richtigen Panchen Lama. Doch die Kommunistische Staats- und Parteiführung kommentiert die Frage nach dem mittlerweile 36-Jährigen mit wiederkehrendem Wortlaut: Er sei nicht der rechtmäßige Panchen Lama, sondern nur ein gewöhnlicher chinesischer Bürger, der nicht gestört werden wolle.

    Wie leben die Tibeter im von China besetzten Tibet?

    Kritiker werfen der chinesischen Regierung in Peking die Unterdrückung der Tibeter und Assimilationspolitik gegen die tibetische Kultur und Sprache vor. Nach einem Bericht der Vereinten Nationen werden rund eine Million Kinder in Tibet in Zwangsinternaten unterrichtet und von ihren Eltern getrennt. Zudem gibt es Berichte über Zwangsarbeit.
    Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch protestiert gegen „erzwungene Massenumsiedlungen“. In Tibet gebe es keine Meinungsfreiheit, keine Versammlungsfreiheit, keine Vereinigungsfreiheit und keine Religionsfreiheit. Repressionen zielten darauf ab, „die einzigartige Kultur, Sprache und Identität der Tibeter*innen auszuhöhlen und auszulöschen“.
    Unter dem aktuellen Staats- und Parteichef Xi Jinping habe sich die Politik in Chinas Minderheitengebieten verändert, betont auch der Politikwissenschaftler André Laliberté: „Früher konnten muslimische Uiguren, Tibeter und andere Minderheiten noch weiter ihre Sprache und Kultur erlernen. Aber Xi Jinping vertraut nicht darauf, dass die Minderheiten in China dem Staat treu sein können, während sie ihre eigene Kultur behalten.“

    Welche Vorstellungen hat der Dalai Lama für Tibet?

    Der Dalai Lama setzt sich für gewaltfreien Protest gegen China ein: „Gewaltlosigkeit ist der richtige Weg. Der Erfolg in der Konfliktlösung führt nur über den Dialog. Dafür braucht man große Entschlossenheit und viel Zeit und Geduld. Aber es ist die einzig richtige Methode“, betont er.
    Die Tibeter bestehen auf ihrer von China unabhängigen Geschichte, der eigenen Sprache, Kultur und Religion. Etwa sechs Millionen Menschen leben in Tibet im Himalaya, dem „Dach der Welt“. Lange haben die Tibeter die Unabhängigkeit von China zurückgefordert.
    Doch in den vergangenen Jahren hat der Dalai Lama seinen Kurs geändert und propagiert nun einen Mittelweg. Die Welt habe sich verändert, meint er: „Wenn wir Tibeter das Recht bekommen, unsere Kultur, unsere Spiritualität und unsere Umwelt zu bewahren, dann hilft es unserer wirtschaftlichen Entwicklung mehr, wenn wir ein Teil Chinas bleiben.“

    Wunsch nach kultureller Autonomie

    Die Vorstellungen des Dalai Lama gingen nun in Richtung kultureller Autonomie, sagt Carsten Klein vom Regionalbüro Südasien der Friedrich-Naumann-Stiftung. Bereiche wie Religion, Kultur, Bildung und das Gesundheitswesen könnten in tibetischer Hand sein, Außen- und Sicherheitspolitik in chinesischer Hand bleiben.
    China betont allerdings immer wieder, dass Tibet ein Teil der Volksrepublik sei. Seit 2010 hat China nicht mehr offiziell mit tibetischen Vertretern verhandelt, heißt es. Bisher wollte Peking von allen Vorschlägen des Dalai Lama zum verfahrenen Tibet-Status nichts wissen. Die chinesische Regierung weiß: Die Zeit arbeitet für die Besatzer; die Welt gewöhnt sich an den Status quo.

    Online-Text: ahe
    Quellen: Hörfunk-Feature von Charlotte Horn und Eva Lamby-Schmitt, Agenturen