Montag, 29. April 2024

Archiv


Damit die Chemie stimmt

Chemie. - Zum 20. Mal hat die Deutsche Forschungsgemeinschaft heute in Berlin die Leibniz-Preise verliehen. Mit dem höchstdotierten deutschen Förderpreis zeichnet die DFG alljährlich Wissenschaftler aus allen Fachgebieten aus und will ihnen mit dem Preisgeld von 1,55 Millionen Euro fünf Jahre lang unabhängige Forschung ermöglichen. Zu zehn den Laureaten, die sich diesmal über den Geldsegen freuen dürfen, gehört Jürgen Gauß, Professor für Theoretische Chemie an der Universität Mainz.

Von Uta Bilow | 02.03.2005
    Chemiker ist er, der frischgebackene Leibniz-Preisträger Jürgen Gauß. Aber Reagenzgläser und Glaskolben hat er schon lange nicht mehr angefasst. Stattdessen sitzt er tagelang in seinem Arbeitszimmer an der Universität Mainz vor Rechnern und Papier. Theoretische Quantenchemie heißt das Gebiet, dem sich der 44jährige widmet. Mit seiner sechs Mitarbeiter starken Arbeitsgruppe stellt Gauß keine chemischen Substanzen her, sondern berechnet ihre Eigenschaften am Computer.

    Früher galten die theoretischen Chemiker als Exoten, die in ihrer Nische selbstvergessen vor sich hin rechneten. Doch heute sind ihre Ergebnisse zunehmend gefragt, nicht zuletzt wegen der enormen Leistung moderner Computer.

    Mit den uns heute zur Verfügung stehenden Methoden und Computerressourcen kann man bei chemischen Fragestellungen entweder experimentelle Daten verifizieren, bei der Interpretation helfen, indem man fehlenden Datenmaterial durch theoretische Untersuchungen, durch Rechnungen zur Verfügung stellt, oder sogar Vorhersagen machen und damit neue Experimente initiieren.

    Häufig kommen Kollegen zu Gauß, die eine Substanz hergestellt haben, aber nicht genau wissen, welche, oder sie rätseln, welche dreidimensionale Form ihr Molekül hat.

    Die Kollegen mit den Experimenten kommen in der Regel auf uns zu, sprechen uns an, weil sie von unseren Arbeiten gehört haben, an der Theorie interessiert sind, und unterbreiten uns dann ein konkretes Problem und fragen, ob wir bei der Lösung behilflich sein können.

    So auch Professor Klaus Müllen vom Mainzer Max-Planck-Institut für Polymerforschung. In seinem Labor stellt der Chemiker kreisrunde scheibchenförmige Moleküle her. Das Besondere an diesen Molekülen: Sie türmen sich von selbst zu Stapeln übereinander, wie Eurostücke in einer Rolle Münzgeld. Innerhalb eines solchen Stapels können Elektronen sehr rasch von einem Scheibchen zum anderen fließen. Das Ganze ist also im Prinzip ein Strom leitender Draht, der auf Grund seiner geringen Abmessungen die Nanotechnologen begeistert. Entscheidend für die Leitfähigkeit eines solchen Drahtes ist allerdings, ob die Scheibchen exakt übereinander liegen oder leicht versetzt sind.

    Da konnten wir mit unseren Rechnungen eine sehr wichtige Hilfestellung leisten, denn in der Theorie ist es recht einfach, verschiedene Molekülanordnungen quasi im Computer zu konstruieren und dann die entsprechenden spektroskopischen Eigenschaften anzuschauen, zu berechnen.

    Jürgen Gauß hat verschiedene Stapelvarianten am Computer durchgespielt und deren Spektren berechnet. Der Vergleich mit den tatsächlich gemessenen Daten zeigte, wie die münzförmigen Moleküle im Stapel übereinander liegen und welchen Einfluss auf diese Anordnung bestimmte Baugruppen haben, die die Chemiker am Scheibchenrand anbringen können.

    Solche konkreten Berechnungen sind ein Teil der täglichen Arbeit von Jürgen Gauß. Seinen Schwerpunkt sieht er eher auf einem anderen Gebiet.

    Die Aufgabe in der Theorie ist zweigeteilt. Das erste ist vor allem die Methodenentwicklung, dass man diese Näherungsansätze formuliert und entsprechende Computerprogramme schreibt, die aus mehreren hunderttausend Zeilen Programmcode bestehen.

    Und das kann Jürgen Gauß ziemlich gut; seine methodischen Beiträge und die von ihm entwickelten Computerprogramme sind weltweit anerkannt.

    Die Theorie spielt mehr und mehr in allen Bereichen eine wichtige Rolle, weil die Theorie relativ kostengünstig ist. Das heißt, eine Rechnung durchzuführen, kostet relativ wenig, im Vergleich dazu, dass ich ein Experiment durchführe und die gleichen Eigenschaften darüber bestimme.

    Das ist beispielsweise für die großtechnische Chemie interessant, wo vor dem Bau eines Reaktors berechnet werden kann, wie viel Hitze bei der Reaktion entsteht. Auch in der Pharmaforschung sind die Theoretiker gefragt, die vorab am Computer durchspielen, ob ein potentieller Wirkstoff an einen Zellbestandteil andocken kann.