"Es sind zwei Tafeln, die das erste Menschenpaar zeigen, Adam und Eva. Eva hat in der Hand schon den Apfel, der ihr von einer Schlange gereicht wird, und sie wendet sich halb dem Adam zu und er ist ein bisschen zögerlich, also die Situation vor dem Sündenfall wird hier geschildert nach dem berühmten Dürerschen Adam-und-Eva-Bild, was sich im Prado in Madrid befindet."
Auch die Kopie ist ein herausragendes Gemälde der frühen Renaissance, eines der Glanzstücke im Landesmuseum Mainz. Das Museum verdankt sie einem historischen Zufall, berichtet die Kunsthistorikerin Sabine Mertens, die die Geschichte ihres Hauses aufgearbeitet hat:
"Die kamen aus Nürnberg, wir können diese Tafeln nachweisen, die sich seit 1611 in Nürnberg im Ratssaal befunden haben, und wir wissen, dass sie 1801 im Zuge der napoleonischen Feldzüge aus Nürnberg geraubt wurden."
Raubgut auch die Madonna mit Kind, ein Meisterwerk des Renaissance-Malers Lorenzo di Credi, im Nachbarsaal.
"Es gibt also diese alten Listen, da erfahren wir, dass dort steht Cabinet du Roi, das heißt, es stammt aus den persönlichen Gemächern Ludwigs XIV. aus Versailles."
Wie konnte ein mittelgroßes deutsches Museum an solche Werke kommen? Dank sei Napoleon!
Napoleon hat auf seinen Feldzügen zu Beginn des 19. Jahrhunderts in halb Europa Kunstwerke mitnehmen lassen. Zuerst ließ er alle nach Paris bringen, denn er wollte die Hauptstadt seines Reiches endlich mit einem herausragenden Museum schmücken: Bis zur Revolution von 1789 hatte die französische Metropole wenig zu bieten.
"Man denkt, dass das erste öffentliche Museum – wenn man nicht gerade an London denkt - Paris war mit dem Musée Central des Arts, nein, Frankreich hatte die ganze Zeit im 18. Jahrhundert, während London, Rom, Florenz, während Dresden, Düsseldorf, Kassel, Potsdam, Braunschweig, während die alle öffentlich Museen hatten, hatte Frankreich nichts. Die waren noch rückständig."
Bénédicte Savoy, Professorin für Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule Berlin, hat die Entstehungsgeschichte der europäischen Museen erforscht. Das Resultat ist verblüffend: Während in Paris im 18. Jahrhundert endlos über ein nationales Museum debattiert wurde, hatten viele deutsche Fürsten ihre Kunstsammlungen in den Residenzstädten bereits dem Volk zugänglich gemacht, als öffentliche Museen. In Paris wurde erst nach der Revolution ein nationales Kunstmuseum eröffnet – Napoleons Ehrgeiz war es dann, das größte der Welt daraus zu machen.
In eroberten Ländern ließ er die erstrangigen Kunstwerke systematisch konfiszieren – neben Gemälden auch Skulpturen, Bücher, Bauschmuck. Unter den gebildeten Deutschen löste der Verlust der Kulturgüter einen schweren Schock aus, berichtet Savoy, ein lang anhaltendes Trauma.
Noch im Zweiten Weltkrieg glaubten Besatzungsoffiziere, sie könnten in Paris verschwundene Kunstwerke aus Deutschland finden. Andererseits erwies sich der Raubzug jedoch als erstaunlich fruchtbar: Die Präsentation in Paris weckte Aufmerksamkeit für lange vergessene Werke und inspirierte junge Künstler zu einem neuen Stil.
"Die Tatsache, dass durch die französischen Kriege der Revolution, aber dann auch durch Napoleon zum Beispiel die altdeutsche Kunst, Cranach, Dürer, Holbein, nach Paris kam und plötzlich eine unerhörte Sichtbarkeit im Musée Napoléon, also im Louvre hatte, hat diese ganze Maler-Generation – ob französische Maler wie Ingres oder auch deutsche Maler, die nach Paris kamen - das hat sie elektrisiert."
Literaten der deutschen Frühromantik wie Wackenroder, Tieck oder Friedrich Schlegel hatten zwar schon über die altdeutschen Werke geschrieben – aber kaum jemand kannte sie. Sie waren in den Depots der Museen versteckt und wurden erst von den französischen Kunstkommissaren wieder ans Licht geholt.
Bald zeigte sich, dass Napoleons unersättliche Kommissare mehr hatten mitgehen lassen, als sie in Paris ausstellen konnten. Schließlich hatte schon die Säkularisation der Klöster und Kirchen dem Louvre eine Fülle neuer Gemälde und Skulpturen beschert. Also beschloss die Regierung, andere Städte an dem Segen teilhaben zu lassen.
"Das ist eine sehr paradoxe und noch aktuelle Geschichte, könnte man sagen. 1802 gab es das berühmte Décret Chaptal, wo der Innenminister Chaptal die Gründung von zwölf Museen in den Provinzstädten angeordnet hat und diese Provinzstädte waren tatsächlich auch Mainz, Genf und Brüssel. Und dorthin wurden Kunstwerke entsandt, Dominique-Vivan Denon nannte das den "Überfluss"."
Neben Orten wie Caen, Lyon oder Bordeaux kamen auch Mainz, Genf und Brüssel in den Genuss der "französischen Schenkung", weil sie Hauptstädte neuer, an Frankreich angegliederter Provinzen waren.
Nach Napoleons Niederlage wollten die Sieger ihre Kunst zurück. Da die Franzosen den Raub detailliert protokolliert hatten, ließen sich die Eigentümer leicht identifizieren. Der größte Teil der Werke wurde zurückgegeben und oftmals in Triumphzügen der heimischen Bevölkerung präsentiert: in Berlin in einer großen Ausstellung, in Köln in einer Prozession durch die Straßen. Bei allem Hass auf den ehemaligen "Kaiser der Franzosen" waren die deutschen Fürsten aber von seinem spektakulären Zentralmuseum so beeindruckt, dass sie ihm nacheiferten und neue Museen gründeten: in Berlin etwa das Alte Museum, in München die Pinakothek.
"Die große Frage, die dahinter steckt, ist, kann erzwungener Kulturtransfer einen tieferen positiven fruchtbringenden Transfer bedeuten?"
Bénédicte Savoys Antwort fällt zwiespältig aus: Auf der einen Seite steht das Trauma des Verlustes, das in vielen Ländern einen anhaltenden Hass auf das lange bewunderte Frankreich auslöste. Auf der anderen Seite sorgte der Raubzug für eine Belebung der Malerei und eine Welle neuer Museumsgründungen. In Deutschland entstanden die neuen Häuser allerdings in den großen Residenzstädten: Man bemühte sich um quasi-nationale Museen – ein Ergebnis der Französischen Revolution, die die Präsentation der Kunst erstmals zu einem nationalen Anliegen gemacht hatte.
Der deutschen Provinz dagegen gingen viele Kunstwerke verloren: In Salzdahlum bei Braunschweig war das Galeriegebäude zwischenzeitlich abgerissen worden, in Schwerin fehlte das Geld, um die Ausstellung wieder zu eröffnen, aus Düsseldorf wanderten viele Kunstwerke nach München.
Das Landesmuseum Mainz dagegen konnte den "Überfluss" des Louvre behalten, denn außerhalb von Paris kümmerte man sich weniger gründlich um die Rückgabe an die rechtmäßigen Eigentümer. Und so präsentiert Sabine Mertens heute mit Stolz die Spitzenwerke der "französischen Schenkung".
"Diese 36 Bilder bilden den Grundstock unserer Gemäldegalerie. Wir sitzen vor den Gemälden, wie zum Beispiel die 'Heilung eines Besessenen', die aus einer Kirche in Lüttich stammt, oder dieses Riesenbild 'Die Marienkrönung', die ursprünglich mal im Kapitelsaal von Notre Dame in Paris hing, also wir befinden uns überall in bester Gesellschaft."
Bénédicte Savoy: "Kunstraub. Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen". Böhlau-Verlag 2011. 49 Euro.
Auch die Kopie ist ein herausragendes Gemälde der frühen Renaissance, eines der Glanzstücke im Landesmuseum Mainz. Das Museum verdankt sie einem historischen Zufall, berichtet die Kunsthistorikerin Sabine Mertens, die die Geschichte ihres Hauses aufgearbeitet hat:
"Die kamen aus Nürnberg, wir können diese Tafeln nachweisen, die sich seit 1611 in Nürnberg im Ratssaal befunden haben, und wir wissen, dass sie 1801 im Zuge der napoleonischen Feldzüge aus Nürnberg geraubt wurden."
Raubgut auch die Madonna mit Kind, ein Meisterwerk des Renaissance-Malers Lorenzo di Credi, im Nachbarsaal.
"Es gibt also diese alten Listen, da erfahren wir, dass dort steht Cabinet du Roi, das heißt, es stammt aus den persönlichen Gemächern Ludwigs XIV. aus Versailles."
Wie konnte ein mittelgroßes deutsches Museum an solche Werke kommen? Dank sei Napoleon!
Napoleon hat auf seinen Feldzügen zu Beginn des 19. Jahrhunderts in halb Europa Kunstwerke mitnehmen lassen. Zuerst ließ er alle nach Paris bringen, denn er wollte die Hauptstadt seines Reiches endlich mit einem herausragenden Museum schmücken: Bis zur Revolution von 1789 hatte die französische Metropole wenig zu bieten.
"Man denkt, dass das erste öffentliche Museum – wenn man nicht gerade an London denkt - Paris war mit dem Musée Central des Arts, nein, Frankreich hatte die ganze Zeit im 18. Jahrhundert, während London, Rom, Florenz, während Dresden, Düsseldorf, Kassel, Potsdam, Braunschweig, während die alle öffentlich Museen hatten, hatte Frankreich nichts. Die waren noch rückständig."
Bénédicte Savoy, Professorin für Kunstgeschichte an der Technischen Hochschule Berlin, hat die Entstehungsgeschichte der europäischen Museen erforscht. Das Resultat ist verblüffend: Während in Paris im 18. Jahrhundert endlos über ein nationales Museum debattiert wurde, hatten viele deutsche Fürsten ihre Kunstsammlungen in den Residenzstädten bereits dem Volk zugänglich gemacht, als öffentliche Museen. In Paris wurde erst nach der Revolution ein nationales Kunstmuseum eröffnet – Napoleons Ehrgeiz war es dann, das größte der Welt daraus zu machen.
In eroberten Ländern ließ er die erstrangigen Kunstwerke systematisch konfiszieren – neben Gemälden auch Skulpturen, Bücher, Bauschmuck. Unter den gebildeten Deutschen löste der Verlust der Kulturgüter einen schweren Schock aus, berichtet Savoy, ein lang anhaltendes Trauma.
Noch im Zweiten Weltkrieg glaubten Besatzungsoffiziere, sie könnten in Paris verschwundene Kunstwerke aus Deutschland finden. Andererseits erwies sich der Raubzug jedoch als erstaunlich fruchtbar: Die Präsentation in Paris weckte Aufmerksamkeit für lange vergessene Werke und inspirierte junge Künstler zu einem neuen Stil.
"Die Tatsache, dass durch die französischen Kriege der Revolution, aber dann auch durch Napoleon zum Beispiel die altdeutsche Kunst, Cranach, Dürer, Holbein, nach Paris kam und plötzlich eine unerhörte Sichtbarkeit im Musée Napoléon, also im Louvre hatte, hat diese ganze Maler-Generation – ob französische Maler wie Ingres oder auch deutsche Maler, die nach Paris kamen - das hat sie elektrisiert."
Literaten der deutschen Frühromantik wie Wackenroder, Tieck oder Friedrich Schlegel hatten zwar schon über die altdeutschen Werke geschrieben – aber kaum jemand kannte sie. Sie waren in den Depots der Museen versteckt und wurden erst von den französischen Kunstkommissaren wieder ans Licht geholt.
Bald zeigte sich, dass Napoleons unersättliche Kommissare mehr hatten mitgehen lassen, als sie in Paris ausstellen konnten. Schließlich hatte schon die Säkularisation der Klöster und Kirchen dem Louvre eine Fülle neuer Gemälde und Skulpturen beschert. Also beschloss die Regierung, andere Städte an dem Segen teilhaben zu lassen.
"Das ist eine sehr paradoxe und noch aktuelle Geschichte, könnte man sagen. 1802 gab es das berühmte Décret Chaptal, wo der Innenminister Chaptal die Gründung von zwölf Museen in den Provinzstädten angeordnet hat und diese Provinzstädte waren tatsächlich auch Mainz, Genf und Brüssel. Und dorthin wurden Kunstwerke entsandt, Dominique-Vivan Denon nannte das den "Überfluss"."
Neben Orten wie Caen, Lyon oder Bordeaux kamen auch Mainz, Genf und Brüssel in den Genuss der "französischen Schenkung", weil sie Hauptstädte neuer, an Frankreich angegliederter Provinzen waren.
Nach Napoleons Niederlage wollten die Sieger ihre Kunst zurück. Da die Franzosen den Raub detailliert protokolliert hatten, ließen sich die Eigentümer leicht identifizieren. Der größte Teil der Werke wurde zurückgegeben und oftmals in Triumphzügen der heimischen Bevölkerung präsentiert: in Berlin in einer großen Ausstellung, in Köln in einer Prozession durch die Straßen. Bei allem Hass auf den ehemaligen "Kaiser der Franzosen" waren die deutschen Fürsten aber von seinem spektakulären Zentralmuseum so beeindruckt, dass sie ihm nacheiferten und neue Museen gründeten: in Berlin etwa das Alte Museum, in München die Pinakothek.
"Die große Frage, die dahinter steckt, ist, kann erzwungener Kulturtransfer einen tieferen positiven fruchtbringenden Transfer bedeuten?"
Bénédicte Savoys Antwort fällt zwiespältig aus: Auf der einen Seite steht das Trauma des Verlustes, das in vielen Ländern einen anhaltenden Hass auf das lange bewunderte Frankreich auslöste. Auf der anderen Seite sorgte der Raubzug für eine Belebung der Malerei und eine Welle neuer Museumsgründungen. In Deutschland entstanden die neuen Häuser allerdings in den großen Residenzstädten: Man bemühte sich um quasi-nationale Museen – ein Ergebnis der Französischen Revolution, die die Präsentation der Kunst erstmals zu einem nationalen Anliegen gemacht hatte.
Der deutschen Provinz dagegen gingen viele Kunstwerke verloren: In Salzdahlum bei Braunschweig war das Galeriegebäude zwischenzeitlich abgerissen worden, in Schwerin fehlte das Geld, um die Ausstellung wieder zu eröffnen, aus Düsseldorf wanderten viele Kunstwerke nach München.
Das Landesmuseum Mainz dagegen konnte den "Überfluss" des Louvre behalten, denn außerhalb von Paris kümmerte man sich weniger gründlich um die Rückgabe an die rechtmäßigen Eigentümer. Und so präsentiert Sabine Mertens heute mit Stolz die Spitzenwerke der "französischen Schenkung".
"Diese 36 Bilder bilden den Grundstock unserer Gemäldegalerie. Wir sitzen vor den Gemälden, wie zum Beispiel die 'Heilung eines Besessenen', die aus einer Kirche in Lüttich stammt, oder dieses Riesenbild 'Die Marienkrönung', die ursprünglich mal im Kapitelsaal von Notre Dame in Paris hing, also wir befinden uns überall in bester Gesellschaft."
Bénédicte Savoy: "Kunstraub. Napoleons Konfiszierungen in Deutschland und die europäischen Folgen". Böhlau-Verlag 2011. 49 Euro.