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"Dann gibt es schon bewegende Momente"

Heute noch haben Soldatenfriedhöfe auch bei jungen Leuten eine "Verbreitungswirkung", sagt Reinhard Führer, Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK), anlässlich des 90. Geburtstages seiner Organisation. Der VDK findet und bestattet jährlich immer noch 40.000 Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg - und kämpft um Ruhestätten für die Toten.

Reinhard Führer im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Sie hören die "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Im Gedenkkalender ist der November der Monat der Toten. Am ersten Wochenende Allerseelen, der vergangene Sonntag war der Volkstrauertag und übermorgen folgt der Totensonntag. In diesem Jahr feiert eine Organisation ihren 90. Geburtstag, die sich die Bergung und Bestattung von Menschen zur Aufgabe gemacht hat, die in jungen Jahren gestorben, genauer gefallen sind. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge - und jetzt folgen ein paar Zahlen - sorgt für 827 Kriegsgräberstätten in 45 Staaten, Europa und Nordafrika zumeist, mit etwa zwei Millionen Kriegstoten. Reinhard Führer, vormals Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, ist der Vorsitzende des Volksbundes. Guten Morgen!

    Reinhard Führer: Einen schönen guten Morgen.

    Heinemann: Herr Führer, 65 Jahre nach Kriegsende sollte man meinen, die Toten seien alle bestattet. Von wegen! Ihre Mitarbeiter finden und bergen in jedem Jahr rund 40.000 ehemalige Wehrmachtsangehörige, überwiegend auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion. Wie geht das vonstatten?

    Führer: Wir müssen natürlich erst einmal die Informationen aus der ehemaligen Wehrmachtsauskunftsstelle, das heißt der deutschen Dienststelle, auswerten. In der Zeit des Krieges wurden diese Informationen von den Gräberoffizieren an die Wehrmachtsauskunftsstelle nach Berlin geschickt, wenn Soldaten gefallen sind und sie irgendwo bestattet wurden. Es gibt in der ehemaligen Sowjetunion 116.000 solche Meldungen, verschiedene Orte, wo Soldaten der Wehrmacht begraben wurden, und diese zu finden, das ist unsere Aufgabe.

    Heinemann: Wie gehen die Umbetter da vor?

    Führer: Es ist so, dass wir natürlich erst einmal die Unterlagen der deutschen Dienststelle haben. Da sind manchmal Ortsangaben, aber wenn dieser Ort überhaupt nicht mehr existiert, weil er früher nur aus mehreren Häusern bestand, dann ist es schon schwierig. Aber wir gehen in die Dörfer hinein mit unseren Umbettern. Das sind überwiegend ehemalige NVA-Offiziere, die natürlich aufgrund ihrer Russischkenntnisse dort für uns unschätzbaren Wert haben. Sie gehen in die Dörfer und fragen in der Bevölkerung nach. Es sind meistens alte Frauen, die Babuschkis, die uns die Antwort geben können und sagen, ja, an dieser Stelle war mal ein Soldatenfriedhof, und dann beginnt die Suche mit Sonden. Und wenn man dann feststellt, dass man doch an einer Stelle sagen kann, hier ist ein Grab, dann wird exhumiert, wird ausgegraben und dann können wir feststellen, manchmal anhand der Unterlagen der deutschen Dienststelle, dass es sich hier jetzt um einen Friedhof handelt, bei dem meinetwegen 30 Soldaten begraben sind, und wenn die die Erkennungsmarken haben, sind sie eindeutig identifiziert. Wenn die Erkennungsmarke nicht dabei ist, aber der neben ihm liegt die Erkennungsmarke trägt, dann kann manchmal aufgrund der Angaben eben auch dieser Tote identifiziert werden. 60 Prozent aller, die wir finden, können wir im Durchschnitt identifizieren.

    Heinemann: Und es werden bis heute - wir haben bisher über die Sowjetunion gesprochen - auch Jahr für Jahr noch Tote aus dem Ersten Weltkrieg geborgen.

    Führer: Das geschieht allerdings nicht in der normalen Suche, sondern die werden entdeckt bei Bauarbeiten, wie jetzt jüngst in dem Argonnerwald, wo 35 Soldaten des Ersten Weltkrieges gefunden wurden, die am 13. November bestattet wurden. Immerhin noch zwölf Angehörige konnten für zwei der Toten gefunden werden, die waren bei der Beisetzung dabei und wir haben von den 35, fünf mit Erkennungsmarken. Das heißt also, wir wissen von fünf nach 90 Jahren noch, wer es ist.

    Heinemann: Wie wichtig ist es für Angehörige nach 65 oder 90 Jahren noch, Informationen über das Schicksal des Vaters, Onkels, Großvaters, Urgroßvaters zu bekommen?

    Führer: Wissen Sie, es gibt da sehr bewegende Elemente. Wenn dieser junge Mensch manchmal nicht mal 20 Jahre alt gewesen ist und gefallen ist, das war ein Riss in der Familie und das Leben ist sehr abrupt zu Ende gewesen. Es ist etwas anderes, wenn jemand mit 80 Jahren stirbt. Über den trauert man auch, aber der Schmerz ist doch nicht so groß wie bei einem jungen Menschen. Wenn dann die Angehörigen auf so einem Friedhof sind und das letzte Mal zumindest Abschied nehmen können an der Stelle, wo er begraben ist, dann gibt es schon bewegende Momente. Da wird Erde von zu Hause mitgebracht, da wird Erde mitgenommen. Wichtig ist es am ehesten für die Menschen, dass sie einen Ort der Trauer finden, und vor allen Dingen, dass der Name irgendwo erscheint. Deshalb haben wir gerade in Osteuropa, in Russland, den Versuch unternommen, auch die Namen der Vermissten, die wir nicht mehr bergen können, auf Stelen einzumeißeln, damit die Menschen einen Ort der Trauer haben.

    Heinemann: Welcher war für Sie der bewegendste Moment?

    Führer: Für mich war es auch ein wirklich sehr bewegender Moment, als die 86-jährige Frau Meyer an einem Grab stand und ich sie nachher gefragt habe, um wen es sich denn handelt, und sie sagte, das war meine erste große Liebe. Sie hatte nämlich den älteren Bruder dann nach dem Krieg geheiratet. Das war nicht unüblich in der Nachkriegszeit. Sie hat ihn geheiratet und als er dann vor drei Jahren starb und wir das zehnjährige Bestehen dieses Friedhofs begangen haben, fuhr sie noch einmal in die Ukraine nach Herkov, hat die große Reise auf sich genommen. Begleitet von ihrer Enkelin, gestützt mit der Krücke war sie auf diesem Friedhof und hat gesagt, ich wollte von meiner ersten großen Liebe noch mal Abschied nehmen.

    Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Wir sprechen mit Reinhard Führer, dem Vorsitzenden des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Herr Führer, für viele Kriegsteilnehmer, die mehr oder minder unversehrt aus dem Krieg heimgekehrt sind, war es früher Ehrensache, für die Gräber der toten Kameraden zu spenden. Diese Generation befindet sich jetzt im achten Lebensjahrzehnt. Was bedeutet das für die Unterstützung Ihrer Arbeit und wie sprechen Sie Kinder und Enkel an?

    Führer: Es ist natürlich nach wie vor in der Bevölkerung eine große Resonanz. Wir haben einen Gesamtetat von rund 42 Millionen Euro im Jahr. 80 Prozent davon erwirtschaften wir durch Spenden, Mitgliedsbeiträge und andere Zuwendungen, die wir von der Bevölkerung erfahren. Das heißt, in der Regel sind es jetzt die Kinder der gefallenen Soldaten, die den Hauptanteil der Spenden uns zuwenden. Die zweite Seite ist: Wir haben im Jahr etwa 20.000 junge Menschen unterschiedlicher Nationen, die in unseren Jugendbegegnungsstätten oder in den Jugendlagern sich zusammentreffen, dort arbeiten, dort lernen, und dann verstehen sie auch, was Krieg bedeutet, denn oft sind eben die, die auf den Grabsteinen stehen, die dort liegen, noch jünger als sie selbst. Das bewegt schon die jungen Menschen und so bekommen wir auch einen Zugang zu Jugendlichen. Natürlich muss man realistisch sagen, das ist ein kleiner Bruchteil von Jugendlichen, die wir erreichen, aber dieser Bruchteil ist wichtig, weil er hat natürlich auch eine Verbreitungswirkung. Wenn ich weiß, dass ein junger Schüler mit 14 Jahren beispielsweise auf einer Kriegsgräberstätte einige Tage mit der gesamten Klasse verbringt, der kommt anders wieder zurück, weil er gesehen hat, was Krieg bedeutet. Man muss sich nur vorstellen: wenn sie in Ysselsteyn in den Niederlanden sind und sie sehen 31.000 Kreuze und jedes ist ein Schicksal, dann geht das an den Jugendlichen nicht so vorbei, sondern das bleibt auf Dauer haften und das streut dann natürlich auch in die Klasse zurück, zu den Freunden, zu den Eltern, zu den Großeltern, Bekannten, Freunden.

    Heinemann: Das heißt, Kriegsgräberstätten könnten auch wirkungsvolle Lehrpfade für Rechtsextremisten sein, für Leute, die den Nationalsozialismus bis heute verklären?

    Führer: Wissen Sie, wir haben ja bei Berlin in Halbe den größten deutschen Soldatenfriedhof in Deutschland. Über 22.000 Wehrmachtsangehörige liegen dort, aber auch sowjetische Zwangsarbeiter und Opfer der NKPD-Lager. Wenn dort die Rechtsextremen - das versuchen sie ja immer wieder - einen Aufzug machen, dann kann ich denen nur sagen, dann schaut euch doch mal an, wie alt die Jungen waren, die dort gefallen sind. Ein solches Regime, ein diktatorisches Regime, wie es die Nazis waren, für die ist ein Menschenleben überhaupt nichts wert. Sonst würden sie nicht - und das sieht man in Halbe besonders - am 30. April noch junge Menschen im wahrsten Sinne des Wortes verheizen, indem sie sie noch in einen aussichtslosen Krieg schicken.

    Heinemann: Herr Führer, unter gewaltiger öffentlicher Anteilnahme ist vor kurzem der Torwart Robert Enke zu Grabe getragen worden. Wünschten Sie sich einen Bruchteil dieser Aufmerksamkeit gelegentlich für diese armen Jungs, die im Krieg fern der Heimat wegen eines verbrecherischen Regimes gefallen sind?

    Führer: Es ist klar, dass wir 60 Jahre nach dem Kriegsende - jetzt sind es ja bald 65 Jahre - diese Aufmerksamkeit nicht mehr haben können. Aber ich wünsche sie mir für jemand anders auch, nämlich für unsere Bundeswehrsoldaten, die im Einsatz ums Leben kommen. Da ist die Aufmerksamkeit zwar einigermaßen gegeben, aber doch bei Weitem weniger. Das macht einen schon manchmal traurig, weil diese jungen Menschen haben sich das nicht ausgesucht, sondern sie gehen ihrem Befehl nach, denn wenn sie den nicht ausführen, müssen sie den Dienst bei der Bundeswehr quittieren, und wenn sie dann fallen, in Afghanistan oder woanders, dann ist es schon wichtig, denke ich, dass die Öffentlichkeit weitaus mehr davon Resonanz nimmt. Ich würde mir wünschen, wenn die Medien das weitaus mehr aufgreifen würden.

    Heinemann: Kommen da auch neue Aufgaben auf den Volksbund zu?

    Führer: Wir haben uns massiv dafür eingesetzt, dass die Soldaten von der Bundeswehr, die im Auslandseinsatz fallen, auch ein dauerhaftes Ruherecht erhalten. Wir wollen den Toten nicht den Angehörigen wegnehmen. Der soll auf dem Friedhof bestattet werden, wo es die Angehörigen wünschen. Aber wir wollen, dass dieses Grab ein dauerhaftes Ruherecht erhält, so wie es die Soldaten des Ersten und Zweiten Weltkrieges haben.

    Heinemann: Und hat die Politik da schon Zustimmung signalisiert?

    Führer: Wir haben jetzt zumindest erreicht, dass die Bundeswehr die Kosten für die Begräbnisse übernimmt, die Kosten für die Liegezeit und auch die Kosten für den Grabstein. Ein weiteres Merkmal, was mir sehr wichtig ist: wenn die Angehörigen mit dem Wunsch einverstanden sind, dann bekommen sie auch eine Sondergrabplatte, wo draufsteht "Ehrengrab der Bundeswehr". Ich glaube, damit haben wir zumindest einen Teil dessen erreicht, was wir wollten, nämlich dieses dauerhafte Ruherecht zu sichern.

    Heinemann: Reinhard Führer, der Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Führer: Ich danke Ihnen.