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"Dann heul doch!"

Feminismus war gestern. Judith Butler hat ihm den Boden entzogen: denn was ist schließlich das Weibliche, wenn es potentiell unzählige Geschlechter gibt, nicht mehr Frau und Mann? Heute gibt es die eine feministische Bewegung nicht mehr, meint zumindest Regisseurin Friederike Heller. Kritiker interpretieren den Titel "Heul doch" als Aufforderung zur angemessenen Reaktion auf die missglückte Inszenierung.

Von Michael Laages | 01.03.2009
    Anno 1996 bemüht sich der auf unheimlich entlarvende Interviews spezialisierte Journalist André Müller um ein Gespräch mit der deutschen Oberfeministin Alice Schwarzer. Das heißt: Er hat dieses Interview dem Wochenblatt "Die ZEIT" versprochen und trifft sich nun mit ihr, um mit ihr "ins Gespräch" zu kommen. Vier Stunden lang. Der Versuch misslingt, wird erfolglos abgebrochen - Schwarzer ignoriert mit unbeirrbarer Beharrlichkeit Müllers schwerst penetrante Versuche, die in (damals) zwei Jahrzehnten "Emma"-Kampf ideologisch fest vermauerte Bastion ins Wanken zu bringen, sie konterkariert das Bemühen des Befragers, dem wie auch immer verletzten Selbst der Streiterin Schwarzer auf die Spur und auf den Grund zu kommen; und so, mit dem Griff ins Private, das Politische zu entwerten. Die Absicht ist unübersehbar, und Schwarzer hält ihr stand. Müller, der manchen als Genie, anderen eher als Nachtmahr des Interview-Journalismus in Deutschland gilt, steht gegen Ende eher als jammerlappiges Sensibelchen (also potenziell eher weiblich) da, Schwarzer hat in der Konsequenz des Streitens derart viel ursprünglich männlich kodierte Qualitäten (oder auch bloß Eigenschaften) angenommen, dass bei diesem Treffen eindeutig sie die Hosen anhat.

    Das ist eine nette Geschichte, in der "ZEIT" übrigens nicht erschienen; einzusehen aber auf Müllers Website - die Regisseurin Friederike Heller und ihr Dramaturg Benjamin von Blomberg meinten, wie nun in Hamburg zu sehen ist, in diesem Nicht-Gespräch offenbar eine Ansammlung von Kern-Behauptungen im bis heute anhaltenden Streit um Schwarzers historischen Feminismus entdecken zu können. Jüngere Frauen (die sich ebenfalls "Feministinnen" nennen) halten ja das Konzept des Kampfes gegen den Mann und seine Domänen in Wirtschaft, Politik und Sozialgefüge für lange überholt, dieser Kampf ist ihnen nur noch Krampf - die "Alpha-Mädchen" (nicht mehr -männchen, wie sonst meist in der Biologie) halten im Gegenteil Schwarzers Beharren auf den alten Frontlinien für eher hinderlich; derlei strukturelle Stütze meinen sie nicht mehr zu brauchen.

    Und so mischen sich nun, bei Heller auf der Bühne, Jana Hensel und Elisabeth Raether ins Rencontre zwischen Schwarzer und Müller, später dann aber auch Eva Hermann, das neo-barocke Muttertier, und Charlotte Roche, die schrill-verkreischte Erotik-Muse aus den "Feuchtgebieten" der Privat-Glotze; schließlich gar die alle Welt versöhnende Kanzlerin, eine Propagandistin der "Kontrasexualität" und der frauenverbrauchende Rapper Bushido. Sie alle haben irgendwann irgendwelche Bücher geschrieben, oder sie kommen in Büchern anderer vor - nach Hellers Mischmasch allerdings unter dem mächtig aufgebrezelten Titel der "szenischen Installation" ist immerhin klar, dass all diese Bücher, alle!, in den Bücherschränken aufgeklärter Zeitgenossen von heute vernünftigerweise nichts (oder nichts mehr) zu suchen haben.

    Auch die Regisseurin scheint übrigens dieser Ansicht zu sein. Denn alle Stimmen des Abends sind Karikatur, sind Fratze; grob, sehr grob gestrichelt - kein Gedanke in diesen zwei Stunden, der nicht durch irgendeine Form von szenisch-gestischer Überhöhung praktisch von vornherein denunziert wäre. Nur wenn schon die Macher das denken - warum dann die ganze Mühe? Dass sich da gelegentlich die Geschlechter vertauscht zu haben scheinen, metro-sexuell sozusagen (um auch mal ein Mode-Wort zu benutzen!) ist ja inhaltlich auch nicht weiter der Rede wert; derlei Männlein-Weiblein-wechsel-Dich-Spielereien bieten bloß Futter für Darsteller. Immerhin. Sonst gibt's davon ja nicht eben viel.

    Zunehmend fordert zudem das Theater sein Recht - weder Interview- noch Reportage- oder gar Pamphlet-Texte sind für die Bühne geschrieben; und einfach nur vorgetragen in einem mehr oder minder gut gemachten kleinen Rollenspiel verlieren sie durchweg noch von der Kraft und eventuell gar Tiefe, die sie beim bloßen Lesen womöglich noch behaupten könnten. Auf der Bühne definitiv nicht. Und das liegt überhaupt nicht an den Thalia-Schauspielern, die sie sprechen - es ist vertane Energie, auch für sie. Wer eine ernsthafte Debatte über den Postfeminismus im Theater haben will, weil er oder sie das gerade für ein brennend wichtiges Thema hält, soll gefälligst eine möglichst hochklassig besetzte Podiumsdiskussion arrangieren. Und meinetwegen eine ganze Tagung noch dazu. So aber lässt das "Projekt" die ganze Debatte perfiderweise als das erscheinen, als was sie auch schon der Interviewer Müller gern sehen und gesehen haben wollte: als weit entfernten Nebenkriegsschauplatz auf der Landkarte aktueller Konflikte.

    Noch auf diesem Nebenkriegsschauplatz aber ist (um in der generell männerdominierten Sprache des Militärs zu bleiben) diese "szenische Installation" nichts als ein Rohrkrepierer.