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"Dann schafft doch einfach gleich den Nationalpark ab"

Die Tatra, das kleinste Hochgebirge Europas, ist eine abgelegene Ecke der Slowakei. Der Tourismus soll endlich den Aufschwung bringen für die landschaftlich reizvolle Region. Doch die geplanten Touristenprojekte gefährden die Schönheit der Natur - und damit den Nationalpark.

Von Kilian Kirchgeßner |
    Es ist Abend in Tatranska Lomnica. Die Dämmerung bricht über die imposante Bergkulisse herein. Unten im Tal, direkt neben der Sesselliftanlage, dringt Musik aus einer Hütte. Hier haben sich die Skifahrer zusammen gefunden, um feucht-fröhlich den Tag ausklingen zu lassen. Ein paar Schritte entfernt hat Bohus Hlavaty sein Büro. Er ist hier in der Tatra der Statthalter der Firma J & T, einer milliardenschweren Investmentgruppe aus der Slowakei, die die Region in ein Touristenparadies verwandeln will. Seit fünf Jahren arbeiten sie daran.

    "Damals haben wir das Potenzial erkannt: die Schönheit, den freien Raum, die Möglichkeiten. Die neue Piste für unser geplantes Skiareal hat ein Weltcup-Sieger mitgeplant. Er hat sein ganzes Know-how eingebracht. Das war eine Aufbruchsstimmung. Wir haben gesagt: Hurra, jetzt geht's los."

    Mehr als zwei Milliarden Kronen, umgerechnet fast 70 Millionen Euro, hat die Investorengruppe bis jetzt ausgegeben für neue Hotels und größere Kapazitäten auf den alten, langsamen Skiliften. Doch das war erst der Anfang: Die Pläne für die nächsten großen Projekte hat Bohus Hlavaty schon auf seinem Schreibtisch liegen.

    "Wir sind jetzt hier, und da sehen Sie die Station vom Skilift. Hier soll eine Dorfstraße entstehen mit lauter kleinen Häusern, in denen Platz ist für Cafés, Restaurants und Bars. Das alles fehlt hier noch, denn die Leute wollen abends etwas erleben. Und hier endet die Skipiste. Wenn das einmal fertig ist, kann man direkt vom Berg auf unseren neuen Dorfplatz runterfahren."

    Die Pläne sind ehrgeizig und ähnliche Projekte hat Bohus Hlavaty nicht nur für den Ort Tatranska Lomnica vorbereitet, sondern auch für die anderen Städte in der Umgebung. Irgendwann soll das alles hier einmal zu einem einzigen großen Skigebiet verbunden werden. Russen, Ungarn, Polen, Tschechen, Slowaken und auch Deutsche sollen kommen und hier in der Tatra ihren Urlaub verbringen. Der Bauboom ist jetzt schon zu sehen: Neue Häuser sind entstanden, alte Fassaden sind auf Hochglanz gebracht – und es gibt wieder Arbeitsplätze in der Region, an der in den vergangenen Jahren der slowakische Aufschwung vorbeigezogen ist. Eine Kehrseite hat dieser neue Boom allerdings auch: Die Tatra ist offiziell ein Nationalpark, eigentlich sollte der Umweltschutz hier Vorrang haben.

    "Ein Nationalpark ist wie eine Galerie, wie eine Kirche, sagt Tomas Vancura, der frühere Chef des Nationalparks. Man soll nicht reden, sondern nur zuhören. Man soll nichts machen, sondern sich umschauen, die Natur auf sich wirken lassen. Und was machen wir? Wir nennen die Tatra einen Nationalpark, und dann kommt man her und stellt fest, dass überall Skilifte sind. Dann schafft doch einfach gleich den Nationalpark ab und schreibt drauf: Skigebiet Tatra."

    Vor zwei Jahren wurde Tomas Vancura als Direktor des Nationalparks abberufen. Er sei, so hieß es, nicht aufgeschlossen genug für Infrastrukturprojekte. Die Infrastruktur, das ist in der Tatra eher ein Codename. Hinter dem Wort verstecken sich Development-Gesellschaften wie J&T, die immer neue Hotels, Appartements und Skilifte bauen wollen und denen Tomas Vancura mit seinen strikten Schutzvorschriften irgendwann zu lästig wurde. Seither kämpft er im Alleingang gegen den Bauwahnsinn, wie er es nennt.

    "Wir haben einfach kein Konzept, was wir mit unserer Tatra wollen. Es gibt so viele Leute, die hier Geld verdienen wollen. Da bewerben die einen ihre neuen Ferienappartements mit einem tollen Blick auf die Berge und wissen gar nicht, dass der nächste Investor seinen Appartementblock genau in die Sichtachse bauen will. Und vielleicht kommt danach schon gleich der Dritte."

    Immer weiter zieht sich die Bebauung in das Hochgebirge hinein, Stück für Stück werden Schutzkategorien aufgeweicht und Ausnahmegenehmigungen erteilt. Der Kommunismus, sagt Tomas Vancura, habe der Tatra eine 40 Jahre währende Verschnaufpause gegeben, weil niemand Geld hatte für Ferienhäuser, Skipisten und Standseilbahnen. Jetzt hole man alle Sünden innerhalb weniger Jahre nach – zumindest sah es bislang so aus. Nun aber stehen erstmal die Maschinen still, und Tomas Vancura seufzt kurz auf. Die Finanzkrise, sagt er dann, hat innerhalb weniger Wochen mehr für den Umweltschutz erreicht als wir in all den Jahren zuvor.