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Darf es Patente auf Leben geben?

Wie können Pflanzen, die seit Jahrhunderten auf deutschen Äckern angebaut werden, wie können Tiere, die eine gefühlte Ewigkeit auf unseren Weiden stehen, als "neu” definiert und damit als Erfindung patentiert werden?

Von Britta Fecke | 19.07.2010
    Der Teufel steckt im Detail beziehungsweise in den unklaren Formulierungen des europäischen Patentrechts. Am 20. Juli wird in München ein Präzedenzfall am Europäischen Patentamt verhandelt - mit weitreichenden Konsequenzen für die Landwirtschaft.

    Was machen kleine Schweine am liebsten? Fressen? Vielleicht. Bullen jagen? Ganz bestimmt! Und Bauer Theo Schürmann will glückliche Ferkel, deshalb dürfen sie rennen, soweit sie die kleinen Beinchen tragen:

    "Hier können die Ferkel, die Sauen auch, aber vor allem die Ferkel Spaß haben, wenn die durch den großen Bullenstall flitzen und auch mal an den Bullenschwänzen knabbern, soziale Kontakte tun doch allen gut."

    Offensichtlich: 27 fröhliche Ferkel können nicht irren, nur die Bullen gucken etwas betreten, das liegt aber nicht an den Jungschweinen, sondern an den Kühen, die stehen nämlich im Nachbarstall und da wären die Bullen auch gern. Nur hat Bauer Theo - bei aller Toleranz - nicht unbegrenzt Platz für immer neue Kälbchen. Aber er probiert stets neue Variationen aus, wie ein Blick in den Stall gleich neben den Kirschbäumen zeigt.

    Theo Schürmann:
    "Ich hatte zwischenzeitlich die alte schwarzbunte Rasse, habe ein paar Tiere gekauft und damit gezüchtet, und dann hab ich mal von dem Bioland-Kollegen ein paar Limousin-Kreuzung-Kälber dazugeholt, und die Bullen sind da mit eingekreuzt, sodass das jetzt irgendwelche Kreuzungen sind."

    Seit Jahrhunderten paaren Landwirte, Züchter und auch Forscher die verschiedenen Rassen, um die bestangepassten Exemplare weiter zu züchten. So entstanden Rinder, die viel Milch geben und das Gras der ostfriesischen Weiden optimal verwerten. Es entstanden Rassen, die weniger Milch aber dafür besseres Fleisch produzieren und mit den irischen Witterungsverhältnissen zurechtkommen. Es sind Züchtungserfolge ganz ohne Gentechnik, nur mit genetischen Varianz, die die Natur selbst hervorgebracht hat. Konventionelle Züchtung à la Mendel. Und da die traditionellen Rassen erfolgreich sind, bedienen sich die großen Agrarkonzerne wie Monsanto oder Syngenta jetzt auch dieser konventionell gezüchteten Sorten und Rassen. Christoph Then, wissenschaftlicher Berater von Greenpeace und Leiter eines Instituts zur Folgenabschätzung in der Biotechnologie:

    "Wir haben einige tausend Patente auf gentechnisch-veränderte Pflanzen und Tiere bereits, und wir haben gesehen, dass die Zahl der Patentanträge in dem Bereich zurückgeht, und was jetzt steil ansteigt sind Patentanträge im Bereich der konventionellen Zucht. Man hat gesehen, dass die traditionelle Zucht viel besser geeignet ist für komplexe Züchtungsmerkmale wie Resistenz gegen Klimawandel, gegen bestimmte Krankheiten, höherer Ertrag. Da ist die normale, die traditionelle Züchtung der Gentechnik überlegen, und deswegen schwenken viele Konzerne zurück zur konventionellen Züchtung. Und da sieht man ganz stark einen Anstieg. Zwischen 2008 und 2009 hatten wir eine Verdoppelung der Patentantragswelle in dem Bereich. Und auch große Unternehmen wie Monsanto oder Syngenta melden inzwischen in dem Bereich verstärkt an."

    Wenn die Agrargiganten erfolgreich sind, gehört ihnen plötzlich das Patent auf eine Rinderrasse, ein Schwein oder eine Sonnenblume. Mit weitreichenden Konsequenzen: Jeder, der zum Beispiel diese Sonnenblume anbauen will, muss eine Lizenzgebühr an den Patentinhaber entrichten. Und damit nicht genug, wie Christoph Then beschreibt:
    "Das Patentrecht geht weit darüber hinaus, es kann den Anbau der Pflanzen mit umfassen, das heißt der Landwirt muss dann bestimmte Regeln einhalten, die der Patentinhaber angibt. Und das Patent kann zum Beispiel auch im Bereich der Tiere ausgeweitet werden. Da wäre der Landwirt dann auf einmal zustimmungspflichtig, wenn er zum Beispiel Kühe verkauft, die ein anderer Landwirt zur Zucht nutzen will. Also es gibt ganz viele rechtliche Fragen, die der Landwirt gar nicht überblickt, wo er auf einmal einem großen Konzern gegenübersteht, der seine Rechte mit Hilfe von Patentanmeldungen durchsetzen kann. Da werden neue Abhängigkeiten, neue Strukturen in der Landwirtschaft geschaffen, die eigentlich in diesem Zusammenhang nichts verloren haben."

    Als Landwirt, der nach den Regeln des Biolandbaus wirtschaftet, unterliegt Theo Schürmann ohnehin schon viel mehr Einschränkungen als seine konventionellen Kollegen. Denn sein Viehfutter darf nicht genetisch verändert sein, es wird zudem ohne chemische Düngemittel angebaut. Seine Tiere werden nicht mit künstlichen Wachstumspräparaten gemästet, sondern wachsen langsam, ihrer Natur entsprechend. Das kostet nicht nur mehr Zeit, sondern auch viel mehr Geld. Und auch wenn ihm seine Kunden die Produkte aus der Hand reißen, muss der Bauer aus Oer-Erkenschwick im Ruhrgebiet hart kalkulieren. Da bleibt keine Energie, um auch noch die Patente irgendwelcher ausländischer Agrarmonopolisten zu bedienen. Theo Schürmann krault ein Ferkel und versteht die Welt nicht mehr:

    "Find' ich eigentlich keine Worte für, find' ich unmöglich, traurig. Ackerbau und Viehzucht gibt es seit HundertTausenden von Jahren. Und dann geht es vor den Gerichtshof, aber genau wie bei der Gentechnik: ein paar Menschen entscheiden dann darüber, was sozusagen global passiert oder zumindest in Europa oder teilweise auch weltweit. Das kann eigentlich nicht sein."

    Mit seiner Empörung ist der Biolandwirt nicht allein: Die grundsätzliche Frage, wo die Patentierung ihre Grenzen hat, erhitzt europaweit die Gemüter. Denn warum sollen große Agrarkonzerne exklusive Rechte an konventionell gezüchteten Tierrassen und Pflanzensorten ihr Eigen nennen? Warum sollen sie an einer Pflanzensorte Geld verdienen, die sie nicht mit Hilfe der Gentechnik im Labor verändert haben? Die also im Sinne des Patentrechts nicht mal eine Erfindung ist? Im Artikel 52 des europäischen Patentübereinkommens heißt es, dass sich patentierbare Erfindungen dadurch auszeichnen, dass sie:

    "neu sind, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen und gewerblich anwendbar sind."

    Wie können Pflanzen, die seit Jahrhunderten auf deutschen Äckern angebaut werden, wie können Tiere, die eine gefühlte Ewigkeit auf unseren Weiden stehen, als "neu” definiert und damit als Erfindung patentiert werden? Der Teufel steckt im Detail beziehungsweise in den unklaren Formulierungen des europäischen Patentrechts: Denn es herrscht Unsicherheit bei den sogenannten mehrstufigen Züchtungsverfahren, die zudem technische Schritte, wie einfache Untersuchungen beinhalten. Diese zusätzlichen Arbeitsschritte nutzen Firmen wie Monsanto oder Syngenta geschickt aus. Indem sie konventionelle Sorten zum Patent anmelden, die sie selber nicht gezüchtet, die sie aber mit technischen Mitteln untersucht haben. Felix Prinz zu Löwenstein, vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft:

    "Dass diese Patentierung auf etwas geschieht, das gar nicht er-funden sondern nur ge-funden ist. Die Erfindung hat die Natur gemacht oder der liebe Gott, aber nicht derjenige, der das erkannt, beschrieben, isoliert hat und daraus seine Ansprüche ableitet. Das Problem ist, dass durch den Stoffschutz, der sich danach einschaltet und der aus der Patentierung von zum Beispiel chemischen Substanzen bekannt ist, dazu führt, dass die gesamte Kette nach dem patentierten Verfahren, das patentierte Tier, die daraus gewonnenen Produkte, dass dieses Weitreichen des Patentanspruches dazu führt, dass der Patentinhaber sehr weitreichende Kontrolle hat über die Frage, wie mit diesen Naturprodukten umgegangen wird und weitreichende Lizenzansprüche hat."

    So geschehen beim Patent mit der Nummer EP 1069819, dahinter versteckt sich das sogenannte Brokkoli-Patent. Diese gewöhnliche Kohlsorte enthält seit jeher Senfölverbindungen, denen nach jüngsten Erkenntnissen eine krebsvorbeugende Wirkung nachgesagt wird. 2002 wurde dann eine Methode, eine Untersuchungsmethode, patentiert, mit deren Hilfe die Genabschnitte im Brokkoli lokalisiert werden können, auf denen die biologische Information für diese Senfölverbindungen liegen. Die britische Firma "Plant Bioscience” hatte den Genabschnitt gefunden, sie hatte ihn aber nicht erfunden. Christoph Then, wissenschaftlicher Berater von Greenpeace sagt:

    "Brokkoli ist gentechnisch nicht verändert worden, es wurden keinen Gene eingebaut, man spricht in dem Zusammenhang von Marker-gestützter Selektion. Das bedeutet aber eigentlich nur, dass man eine Art Gendiagnose macht am Brokkoli und einfach nach bestimmten Genstrukturen sucht, von denen man denkt, dass sie mit bestimmten Leistungsmerkmalen zusammenhängen. Das ist einfach ein Verfahren, das die konventionelle Züchtung unterstützt, also ein Auswahlverfahren, ist aber in dem Sinne kein Herstellungsverfahren für Pflanzen oder Tiere, sondern einfach nur ein Hilfsmittel."

    Dieses Hilfsmittel wurde patentiert. Doch das Patent gilt eben nicht nur für die Methode, mit der der Brokkoli gezüchtet wird, sondern - und das ist der Stein des Anstoßes - auch für die Pflanze und ihre Samen. Und so steht plötzlich der ganz gewöhnliche, essbare Brokkoli vom Stiel bis zum Röschen unter Patentschutz. Diese Tatsache befremdet auch die deutsche Bundesregierung, die sich geschlossen gegen die Patentierung von Nutz-Pflanzen und -tieren ausspricht. Wie Stephan Harbarth von der Unionsfraktion im Bundestag in einer Debatte jüngst noch einmal betonte:

    "Auch in der Koalitionsvereinbarung der christlich-liberalen Koalition haben wir uns klar geäußert, dass wir auf landwirtschaftliche Nutztiere und Nutzpflanzen keine Patente wollen!"

    Auch die Opposition im Deutschen Bundestag warnt vor dieser Patentierung, Matthias Miersch (SPD):

    "Denn es geht um drei zentrale Bereiche, die uns alle als Menschen weltweit betreffen: das ist Energie, das ist Wasser und das ist die Ernährung. Wenn es gelingt, sich ein Recht zu sichern auf die Ernährung, und dieses Recht als Werkzeug zu nehmen und Ernährung zu steuern, wenn nicht sogar zu monopolisieren, dann haben wir nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein ökonomisches und vor allen Dingen ein soziales Problem."

    Aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium heißt es, Zitat:
    "Wir dürfen niemandem exklusive Rechte oder gar die Kontrolle über Nutztiere und Nutzpflanzen einräumen". Zitat Ende. Auch deshalb blickt das politische Berlin mit Spannung - mit Anspannung - in Richtung München, wo das europäische Patentamt sitzt.

    Christoph Then:
    "Am 20. Juli wird in München ein Präzedenzfall am Europäischen Patentamt verhandelt, da geht es um die Patentierbarkeit von Pflanzen und auch Tieren, die aus der konventionellen Züchtung stammen, also nicht gentechnisch verändert wurden, sondern ganz normal gezüchtet worden sind."

    Das Interesse an diesem Fall ist groß. Allein 23 Umwelt-, Entwicklungs- und Verbraucherorganisationen haben einen Amicus-Curiae-Brief, eine Stellungnahme Dritter, am Verfahren nicht direkt Beteiligter, an die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts geschickt. Ob der Brief in München Gehör findet? Christoph Then zweifelt:

    "Das Europäische Patentamt hat bereits im Mai einen ähnlichen Fall, es waren Sonnenblumen, die auch konventionell gezüchtet waren, entschieden, dass die Sonnenblumen selber und das Öl, das aus diesen Sonnenblumen gewonnen wird, als Erfindung anzusehen ist, obwohl in der Verhandlung im Einspruchsverfahren ganz klar gemacht worden ist, dass diese Sonnenblumen aus konventioneller, aus traditioneller Zucht eben, entstanden sind, hat das Patentamt trotzdem die Einsprüche zurückgewiesen, und ein Ähnliches Urteil erwarten wir jetzt auch zum Thema Brokkoli."

    Das Brokkoli-Patent hat schon die erste Beschwerdekammer passiert und wurde dort nicht widerrufen. Wenn es nach der morgigen Anhörung auch in der zweiten Instanz Bestand hat, dann ist der Weg frei für alle erdenklichen weiteren Patente auf Nutzpflanzen und Tiere, so fürchten die Kritiker. Eine Entscheidung des Patentamtes wird frühestens im Oktober erwartet. Die Erfahrungen der Vergangenheit nähren aber die Zweifel der Kritiker, denn der Urheberschutz ist schon mehrfach für gewöhnliches Gemüse erteilt worden. Wie zum Beispiel auf Karotten, Blumenkohl, Sojabohnen, mexikanischen Mais usw. Ein weiterer Umstand kommt erschwerend hinzu, sagt Felix Prinz zu Löwenstein:

    "Der Trick scheint ja ganz offensichtlich der zu sein, man bombardiert das Patentamt mit Patentanträgen, da gehen genügend durch, denn das Patentamt verdient ja daran, dass Patentanträge erteilt werden, nicht daran, dass sie abgelehnt werden. Und das Kalkül ist: am Schluss bleibt dann noch genug für uns übrig, damit wir kassieren können."

    Bei der Zuteilung eines Patents gewinnen also beide Seiten, die Industrie, weil sie Lizenzgebühren erheben kann auf die von ihr patentierte Pflanze, und das Europäische Patentamt. Denn die Behörde in München lebt von Gebühren, und ein Großteil ihres Etats ist an die Vergabe von Patenten gebunden. Das kritisiert auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft. In einem Gutachten aus dem Jahr 2007 heißt es:

    "Ein Großteil der Einnahmen des Patentamtes ist somit an die Verteilung und Verlängerung gekoppelt, die arbeitsintensiven Prozesse von Recherche und Prüfung selbst werden hingegen aus den nachgelagerten Einnahmen quersubventioniert."

    Und so wird dem Amt unter anderem von Umweltverbänden vorgeworfen, es sei nur ein "Dienstleister der Industrie”. Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft bläst ins gleiche Horn und empfiehlt in seinem Gutachten:

    "Die Anreize für die Mitarbeiter des EPA müssen neu ausgerichtet werden. Solange die Zurückweisung einer Patentanmeldung mehr Aufwand für den Prüfer bedeutet als eine Patentgewährung, (..) läuft das EPA Gefahr, eine mengenorientierte Erteilungspolitik zu unterstützen."

    Wie schnell Patentanträge durchgewunken werden, zeigt die folgende Statistik. Felix Prinz zu Löwenstein sagt:

    "70 Prozent aller vom Europäischen Patentamt in dieser Richtung erteilten Patente werden nach einem Einspruch zurückgenommen. Das Problem ist nur, herausfinden, welche Patente werden gerade angemeldet, ist sehr aufwendig. Einen Einspruch durchfechten kostet zwischen 10.000 und 15.000 Euro. Heute sind das Organisationen wie Greenpeace oder Misereor, die sich darum kümmern. Das kann ja nicht sein, die haben nicht die nötigen Mittel, um diese Dinge ständig immer wieder durchzufechten."

    Und auch die mittelständischen Züchter haben Probleme, den Überblick zu behalten. Zudem fehlen auch ihnen die Mittel, einen Einspruch beim Europäischen Patentamt einzureichen. In Deutschland haben wir eine mittelständisch geprägte Züchterlandschaft, erklärt Prinz zu Löwenstein:

    "Jeder, der seinerseits züchten möchte, kann sich von allem was es gibt, das Material nehmen und damit kombinieren und zu züchten anfangen. Wir haben also sozusagen ein Open-Source-System, nicht, dass Computerfreaks wissen, was damit gemeint ist, man kann sich bedienen an allem, was da ist, um Neuerung hervorzubringen. Das war der Motor unserer Pflanzenzüchtung, die über alle Maßen erfolgreich war die letzten Jahrhunderte!"

    Danach greifen nun die großen Konzerne wie Monsanto und Syngenta. Sie waren zu einer Stellungnahme über ihre Patentanmeldungen gegenüber dem Deutschlandfunk nicht bereit. Carl-Stephan Schäfer, Geschäftsführer beim Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter sieht die Entwicklung auf dem Patentmarkt kritisch. Für seine Branche könne es nicht gut sein, wenn sich große Agrargiganten wie Syngenta oder Monsanto immer mehr Patente sichern:

    "Dann ist der Zugang zu genetischer Diversität nicht mehr möglich, und wir hätten somit nur noch eine eingeschränkte Varianz, mit der wir eben züchten könnten."

    Und das in einer Zeit, in der ein großer Bedarf an neuen Züchtungen besteht. Vor allem, weil sich im Zuge des Klimawandels auch die Bedingungen für die Landwirtschaft verändert haben: Starkregen ruiniert vor allem im Westen die zarte Saat; weiter im Osten Deutschlands stehen die Landwirte dagegen immer öfter vor ihrer vertrockneten Ackerkrume. Sie würden Neuzüchtungen wie hitzeresistenten Getreidesorten bestimmt den Vorzug geben. Für diese neuen Herausforderungen sollten die Züchter eigentlich aus dem Vollen schöpfen können, aus dem, was auch Naturerbe genannt wird. Aber, so Prinz zu Löwenstein:

    "Die Inhaber der Patente bestimmen nun, wer darf mit diesem Pflanzenmaterial arbeiten, wie darf er das, oder darf er das überhaupt. Sie dürfen auf allen Stufen Lizenzen erheben und haben damit dieses Open-Source-System ausgehebelt. Und das ist ein dramatischer Verlust an Handlungsfreiheit und ein dramatischer Verlust an Fortschrittsfähigkeit, den wir da erleiden."

    Viele Patente beschränken sich zudem nicht nur auf die Pflanze und ihre Samen, sondern erstrecken sich auf ihre Früchte und alle Produkte, die aus ihnen gewonnen werden. Das heißt, auf alle Stufen der Verarbeitungskette können Lizenzgebühren erhoben werden: vom Weizen bis zum Tortenboden; von der Kuh bis zum Sahnepudding! Das hat weitreichende Folgen, nicht nur für die Landwirte, wie Felix Prinz zu Löwenstein beschreibt:

    "Wenn jemand, der eigentlich gar nichts leistet, für die Entstehung eines Produktes mitkassiert, dann kann man an drei Fingern abzählen, dann wird das Produkt teurer, und damit muss der Verbraucher noch jemanden miternähren, der, wie gesagt, eben gar keine Leistung mit beisteuert."

    Auch deshalb erhoffen sich viele Interessengruppen Klarheit von der Entscheidung der großen Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts. Vielleicht wird am Beispiel des Brokkoli-Patents deutlich, wie weit der rechtliche Schutz auf Züchtungsverfahren reichen darf. Und ob, über den Schutz des technischen Verfahrens, die Nutzpflanzen und Tiere sozusagen durch die Hintertür gleich mitpatentiert werden dürfen. Es muss geklärt werden, wie es um die sogenannten "mehrstufigen Züchtungsverfahren” steht. Ob es tatsächlich schon reicht, ein konventionelles Zuchtverfahren mit technischen Elementen aufzuwerten, wie zum Beispiel mit der schlichten Untersuchung des Ölgehaltes einer Pflanze. Ob das schon ausreichen kann, um dieses Zuchtverfahren zum Patent anzumelden? Carl-Stephan Schäfer vom Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter:

    "Trotzdem möchte ich einmal klar herausstellen, dass Patente per se nicht schlecht sind, mit Patenten versuchen wir, Innovationen zu fördern und eine Refinanzierung zu gewährleisten. Denn derjenige, der in Forschung und Entwicklung investiert, der braucht auch eine Refinanzierung dieser Investition."

    Das will auch die deutsche Politik: Forschern soll es möglich sein, ihre biotechnischen Verfahren schützen zu lassen. Aber so ein Verfahrenspatent dürfe nicht auch noch für die damit erzeugten Pflanzen und Tiere gelten. Die Züchtung der heute verbreiteten Nutztiere und Pflanzen sind eine gemeinsame Kulturleistung der vorangegangenen Generationen, da sind sich Umweltschützer, Landwirte, die Bundesregierung und die Opposition einig. Die Natur gehört allen und nicht in die Hände von Monopolisten. Christoph Then:

    "Unsere Sorge ist, dass die Besitzansprüche, die Monopolansprüche, die wir in der Gentechnik schon sehen, ausgeweitet werden auf die konventionelle Züchtung, und dass Landwirte, Züchter und auch Verbraucher hier in eine Abhängigkeit kommen von internationalen Konzernen, die viel eher an ihre Aktienkurse denken, als an eine nachhaltige Landwirtschaft oder an eine Sicherung der Welternährung."

    Europäisches Patentamt