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Das Abenteuer der neuen Farbe

Der italienische Unternehmer Marco Goldin konzipiert seit zehn Jahren Ausstellungen, von denen er sicher war, dass die Zuschauer an ihren Eingangstüren Schlange stehen würden: "Die Impressionisten und der Schnee" zum Beispiel. Erstaunlicherweise erhielt Goldin für diese Ausstellungen regelmäßig erstklassige Leihgaben. So auch jetzt wieder: "Das Abenteuer der neuen Farbe" heißt die neueste Goldin-Ausstellung, die gerade in Brescia eröffnet wurde. Thema ist vor allem die spannungsreiche Zusammenarbeit zwischen Vincent van Gogh und Paul Gauguin.

Von Thomas Migge |
    Der schmale Weg führt durch einen Garten. Einen privaten Garten, auf der rechten Seite des Bildes ist eine Mauer zu erkennen. Im linken Bildhintergrund erhebt sich ein typisch provenzalisches Haus: niedrig, aus hellem Stein und mit einem rostroten Dach. Zypressen und Blüten, verschiedene Grüntöne und ein sommerlicher Himmel. Vincent Van Gogh malte diese Sommeridylle mit dem Titel "Weg durch den Blumengarten" 1888. Der Eindruck des stillen Glücks eines Malers auf dem Lande trügt. Van Gogh litt unter schweren Depressionen. Zwei Jahre später, am 27. Juli 1890, verletzte er sich lebensgefährlich durch einen Revolverschuß. Zwei Tage später starb Vincent Van Gogh in den Armen seines Bruders Theo.

    Der Ausstellungsteil "Van Gogh in Saint-Remy" - in der seine intensivfarbenen Wildrosen-, Feld- und Landschaftsbilder zu sehen sind - zählt zu den schönsten der Bilderschau, die der Ausstellungskurator Marco Goldin diesmal zusammengestellt hat:

    " In der Provence, zwischen 1887 und 1888, erfahren die Farben Van Goghs einen epochalen Wandel: mit Farben will er seine Sujets nicht mehr exakt wiedergeben, sondern nur noch interpretieren. Das gilt auch für Paul Gauguin, der sich zur gleichen Zeit in der Provence aufhielt. Gauguins Farben sind Teil seines eher spirituellen und schon abstrakten Werdegangs. Van Gogh hingegen bleibt dem Sujet verbunden, abstrahiert nicht. "

    Marco Goldin, der mit seinen Mega-Ausstellungen zur impressionistischen Kunst die nordostitalienische Kleinstadt Treviso international bekannt machte und jedes Mal rund 500.000 Besucher anzog, präsentiert jetzt in Brescia, nicht weit von Mailand entfernt, "Gauguin - Van Gogh und das Abenteuer der neuen Farben". In 12 Sektionen werden 150 Gemälde und Zeichnungen gezeigt. Sie sind Teil eines Ausstellungsprojekts von insgesamt 17 Kunstschauen in Brescia von denen 12 in diesen Tagen öffnen. Im Zentrum dieses "Kunst-Supermarktes", so die Tageszeitung "la Repubblica", steht die Gegenüberstellung der Werke Gauguins und Van Goghs. Marco Goldin:

    " Zwischen beiden bestand eine konfliktreiche Beziehung, denn beide waren ausgeprägte Persönlichkeiten. In Arles wohnten und arbeiteten sie zusammen. Van Gogh wollte mit seinem Kollegen das Atelier del Sud' gründen, eine Art Schule, in der zwei Maler zusammenfinden sollten, die, so Van Gogh in seinen Briefen, am besten mit vier Händen malen. "

    Die Beziehung zwischen beiden Malern zeigte schon nach den ersten zwei Wochen des Zusammenlebens erste Brüche. Van Gogh und Gauguin hatten unterschiedliche Vorstellungen. Für Van Gogh mussten seine Bilder der gesehenen Landschaft verhaftet bleiben, weshalb er die Plein-air-Malerei in den Vordergrund stellte. Gauguin hingegen, erklärt Marco Goldin, sah in der Natur nur eine Inspiration, um sich anschließend in sein Atelier zurückzuziehen und dort Abstraktionen der Natur zu schaffen.

    " Dieser Unterschied zwischen beiden war gravierend und führte schließlich zur Trennung. Weihnachten 1888 kam es zum Eklat: nach einem heftigen Streit schnitt sich Van Gogh ein Ohr ab und Gauguin nahm den Zug nach Paris. Nur durch einen Briefwechsel blieben sie miteinander verbunden. "

    Goldins Ausstellung stellt auch die jeweiligen künstlerischen Werdegänge beider Maler vor ihrem Aufeinandertreffen in der Provence vor. Die erste Sektion zeigt Zeichnungen Van Goghs und Gauguins. Dabei wird deutlich, dass Van Gogh in dieser Kunstform seine ersten künstlerischen Schritte unternahm, während Gauguin in der Zeichnung ein Übungsfeld auf dem Weg zur stilistischen Vereinfachung seiner Sujets sah. Die Sektionen "Van Gogh in Holland", "Gauguin zwischen Paris und der Bretagne" und "Van Gogh in Paris" zeigen den künstlerischen Lebensweg beider Maler. Zentrum der Ausstellung ist jedoch ihre gemeinsame Zeit in Südfrankreich. Van Gogh schrieb in seinen Briefen immer wieder vom provenzalischen Licht und den Farben, die seine Malerei nachhaltig verändert hätten.
    Zeitgleich mit dieser großen Ausstellung zeigt Marco Goldin 60 Zeichnungen und Gemälde von Jean-François Millet aus dem Museum of Fine Arts in Boston:

    " Auf diese Weise ist es möglich, das Schaffen jenes Malers zu studieren, der für Van Gogh enorm wichtig war. In einem seiner Briefe nannte er Millet Eden wesentlichen modernen Maler, der in die Zukunft weist¹. Millets spätromantische Alltagsszenen einfacher Leute kamen Van Goghs ausgeprägter Überzeugung entgegen, dass die Kunst der Menschheit dienen, sie trösten und erheben solle. Der Einfluss Millets auf Van Gogh wird durch diese beiden Ausstellungen unübersehbar. "

    "Gauguin-Van Gogh - L¹avventura del colore nuovo"
    Brescia, Museo di Santa Giulia, 22.10.2005-19.3.2006
    "Millet", Brescia, Museo di Santa Giulia, 22.10.2005-19.3.2006
    Infos: www.lineadombra.it