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Das andere Griechenland

Auch die alten Griechen haben offenbar eine Art Mittelalter erlebt. "Zeit der Helden - Die dunklen Jahrhunderte Griechenlands 1200 bis 1700 vor Christus", so lautet der Titel einer neuen Ausstellung im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe. 1200 vor Christus wurde ganz Griechenland von einer Welle ungeklärter Katastrophen überzogen, in deren Folge die mykenische Hochkultur verschwand.

David Eisermann im Gespräch mit Doris Schäfer-Noske |
    Doris Schäfer-Noske: Nach dem Untergang der Mykener brach dann eine Zeit an, von der alle schriftlichen Aufzeichnungen fehlen. Es gab weder Städte noch monumentale Tempel, und das ist die Zeit, vor deren Hintergrund Homer seine Helden der "Ilias" und "Odyssee" agieren lässt. In der Ausstellung in Karlsruhe geht es nun um das Leben solcher Helden und ihre Zeit. David Eisermann, was hat es denn nun mit diesen Helden auf sich. Hat es damals überhaupt so Helden wie Odysseus oder Agamemnon denn gegeben?

    David Eisermann: Na, die Karlsruher, die überraschen Sie erst mal. Wenn Sie in die Ausstellung reinkommen, in dem großherzoglichen Schloss in Karlsruhe, dann werden Sie mit Oliver Kahn und Regina Halmich konfrontiert. Das heißt, sie zeigen Ihnen erst mal Helden von heute. Da zeigen sie Ihnen Brad Pitt schon mit dem Schild, das ist ein ganz archaischer Schild, der aus so zwei Halbäxten zusammengesetzt zu sein scheint von der Form her und dann sind sie so langsam bei dem Mythos von Troja. Und sie wollen Ihnen etwas erklären. Was wir so unter Helden verstehen, das ist etwas ganz anderes als zum Beispiel Homer noch in seiner "Ilias" oder in der "Odyssee" als Helden schildert. Diese Heroen, das sind Leute ohne eine Moral nach unserem heutigen Verständnis, die vor allen Dingen Anführer ihrer Männer sind, Anführer ihrer Leute und die Schutz bieten. Und das ist die steile These dieser Ausstellung "Zeit der Helden" in Karlsruhe, dass sie eben sagen, diese Idee von diesen starken Männern, von diesen Kämpfern, Kriegerfürsten, das ist eine Idee, die aus den dunklen Jahrhunderten stammt. Warum? Weil sie bei Homer aufscheint in diesen beiden großen Epen. Und Homer steht am Ende dieser Zeit, mit Homer ist die Zeit vorbei, diesen Dunklen Jahrhunderte.

    Schäfer-Noske: Diesen dunklen Jahrhunderte sind ja eine bei uns vergessene Zeit. Was wollen uns denn die Ausstellungsmacher davon vermitteln?

    Eisermann: Stellen Sie sich vor, die Griechen kennen wir alle, die alten Griechen als die cleversten Leute der Antike, die Philosophie und Kunstwissenschaft und Technik gehabt haben. Da hat ihnen keiner was vormachen können. Und diese Griechen, die wir so zu kennen meinen, die hat es da nicht gegeben. Das war eine völlig andere Zeit, wie Sie sagen, ohne Tempel, ohne Städte. Geschrieben worden ist auch nicht, weil die Griechen buchstäblich ihre griechische Schrift, die wir mit ihnen verbinden, gar nicht erfunden hatten, die hat es noch gar nicht gegeben. Die haben sie sich dann später erst zusammengebastelt. Und das ist eine der großen Kulturleistungen, von denen die Forscher sagen, die aus diesen dunklen Jahrhunderten, dieser Chaoszeit kommt. Das griechische Alphabet, das ist die Grundlage eigentlich, die Zündung der westlichen Kultur, wie die Karlsruher sagen. Und das ist eine Transferleistung. Sie übernehmen das von den Phönikern. Die Phöniker haben das erfunden mit der Alphabetschrift, geniale Erfindung. Es gibt viele Schriftsysteme, aber es gibt eben nur diese eine Erfindung der Alphabetschrift, ganz zentrale Erfindung. Aber die Griechen setzen noch eins drauf und die finden dann für die Laute, die sie nicht aussprechen können, nehmen sie die Vokale. Und so ergänzen diese reine Konsonantenschrift der Phöniker und haben das griechische Alphabet und wuchten sich selbst aus ihrer Chaoszeit, in der die Leute wirklich Angst haben mussten, in der alles zerstört war, was Sie beschreiben, die großen Paläste der Mykener. Und man kann sich natürlich auch vorstellen, dass Homer eigentlich über die Zeit davor hat schreiben wollen, über die Zeit von Mykene, das waren die großen Königspaläste, die Könige, die Königtümer der alten Griechen. Das geht alles zu Ende im trojanischen Krieg. Aber wir sehen nun in Karlsruhe, wie die Götter entstehen beispielsweise, die griechischen Götter, die wir so kennen und wie auch die griechische Kunst langsam Formen annimmt.

    Schäfer-Noske: Was kann man denn aus so einer Zeit überhaupt zeigen? Sie haben ja schon gesagt, Aufzeichnungen gibt es nicht.

    Eisermann: Es gibt zum Beispiel die Kunst, die ganz anders ist, als wir die griechische Kunst kennen. Es ist eine fast abstrakt anmutende Kunst. Wir denken da an Giacometti oder an Picasso, je nachdem, wie souverän der Künstler mit seinem Material umgeht, sind das ganz perfekte kleine Werke. Es gibt Schwerter, bei denen Sie zum Beispiel lernen, dass Sie die Schwertformen aus Mittel- und Westeuropa übernommen haben, offenbar zwischen den Völkern, die hier im heutigen Deutschland und Frankreich gelebt haben, eine Transferleistung zu den alten Griechen. Und dann auf jeden Fall wunderschöne Elfenbeinarbeiten, in denen Sie sehen, was der Orient zu der Zeit drauf gehabt hat. Und Sie sehen, dass zum Beispiel auf Zypern die dunklen Jahrhunderte gar nicht so dunkel gewesen sind, dass man dort eigentlich diese rechteckige Stadtform mit den rechteckigen Straßenblocks und Straßen erfunden hat, die dann in der antiken Welt so prägend geworden ist.

    Schäfer-Noske: Sie haben schon gesagt, der Einstieg ja sehr populistisch mit Oliver Kahn. Wie wird denn diese Ausstellung gemacht? Wie ist sie aufgeteilt?

    Eisermann: Sie kommen da ganz dunkel rein, dann brennt es regelrecht, dann brennen die Paläste nieder. Und dann durchschreiten Sie verschiedene Stationen, bis Sie am Ende dann das Licht sehen, das Licht dann der klassischen Antike, wo Sie dann nicht mehr die Helden haben, die vorher in großen Schattenrissen und Videos miteinander kämpfen, sondern dann haben Sie Menschen, die vernünftig miteinander diskutieren, die Verfassungen niederlegen. Das sind dann die Griechen der klassischen Antike, wie wir sie kennen.

    Schäfer-Noske: Die dunklen Jahrhunderte Griechenlands sind Thema einer Ausstellung im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe. David Eisermann war im Studio.