Nachmittags auf dem zentralen Prager Karlsplatz. Vor einem Holztor mit dem Schriftzug ‘Arbeit macht frei’ bildet sich eine immer längere Menschenschlange. Das Tor führt in ein nachgebautes Konzentrationslager, das die Bürgerinitiative Post bellum hier errichtet hat. Die mit einem Stacheldrahtzaun abgeschirmten Holzbaracken beherbergen eine multimediale Ausstellung über das Attentat auf Reinhard Heydrich, den ‘Henker von Prag’.
"Die meisten Tschechen verbinden mit dem Anschlag auf Heydrich nur zwei Namen: Gabcik und Kubis, die beiden Attentäter." Sagt der Journalist Mikulas Kroupa, der Kurator der Ausstellung. "Aber ohne die Hunderten Helfer und Helfershelfer wäre das Attentat niemals gelungen. An sie wollen wir hier erinnern. Nicht in historischen Büchern, sondern im öffentlichen Raum - vor einer starken Kulisse, die ihr Leiden und ihren Mut ins Gedächtnis ruft."
70 Biografien überlebender Widerstandskämpfer werden in den Holzbaracken dokumentiert - basierend auf Zeitzeugengesprächen, die die Journalisten um Post bellum geführt haben. Mit ihrem Oral-History-Projekt "Gedächtnis des Volkes" sind sie Vorreiter einer in Tschechien noch neuen Form der Erinnerungskultur. Bislang orientiert sich das öffentliche Gedenken weitgehend an Jahrestagen und einzelnen Helden, an die Jahr für Jahr mit stereotypen Kranzniederlegungen erinnert wird. Unhinterfragt und ohne historische Einordnung, kritisiert der Historiker Petr Koura von der Prager Karlsuniversität:
"Wir bauen Denkmäler für die Widerstandskämpfer, aber wir forschen nicht über diese Widerstandskämpfer. Wir haben keine kritische Biografie über Reinhard Heydrich in tschechischer Sprache und wir haben keine Fachliteratur zum Attentat."
Paradoxerweise, so Koura:
"Es war die größte Tat des tschechoslowakischen Widerstands, und ich meine wir können stolz darauf sein. Es war der erste Mordanschlag auf einen hohen Funktionär des Großdeutschen Reichs."
Zwar wurde das Heydrich-Attentat x-fach minutiös rekonstruiert, mehrere Filme darüber gedreht. Aber es war auch lange umstritten – wegen der grausamen Vergeltung, die es zur Folge hatte: Die Orte Lidice und Lezaky wurden von den Nazis dem Erdboden gleichgemacht, 1600 Tschechen im Konzentrationslager umgebracht. Der tschechoslowakische Widerstand war gebrochen. Einen Monat nach Heydrichs Tod, am 3. Juli 1942, hoben in einer Massenkundgebung über 150.000 Tschechen auf dem Wenzelsplatz den Arm zum Hitlergruß.
Eine schmerzhafte Lektion, mit der sich die Tschechen noch kaum auseinandergesetzt hätten, kritisiert Petr Koura:
"Das war nicht gut für die tschechische Gesellschaft, diese Schizophrenie: In der Öffentlichkeit werden wir mit Hitlergruß grüßen, aber privat werden wir auf Hitler schimpfen. Hier ist, meine ich, der Anfang von dieser Doppelmoral, an die dann die kommunistische Propaganda angeknüpft hat."
Die Frage, ob der Preis für das Heydrich-Attentat zu hoch war, stelle sich immer wieder aufs Neue, meint Kurator Mikulas Kroupa. Letztlich müsse sie jeder für sich entscheiden. Nach jahrzehntelangem kollektivem Erinnerungskult sei es heute höchste Zeit für eine individuelle Auseinandersetzung mit der jüngsten Geschichte:
"Wir sind die erste freie Generation, die ihre eigene Haltung zu der Vergangenheit sucht. Das ist unsere persönliche Aufarbeitung. Die Suche nach einer Antwort auf die Frage, ob es sich lohnt, sich einem scheinbar übermächtigen Bösen zu widersetzen. Ich persönlich meine, dank der Attentäter und ihrer Helfer haben wir eine Widerstandstradition, die uns auch heute Mut machen kann. Eine Ermunterung zur Zivilcourage. Darin sind sich auch fast alle Zeitzeugen einig: Das Attentat ist ein Appell an uns: Seid kein Volk von Loyalisten, sondern mutige Bürger."
"Die meisten Tschechen verbinden mit dem Anschlag auf Heydrich nur zwei Namen: Gabcik und Kubis, die beiden Attentäter." Sagt der Journalist Mikulas Kroupa, der Kurator der Ausstellung. "Aber ohne die Hunderten Helfer und Helfershelfer wäre das Attentat niemals gelungen. An sie wollen wir hier erinnern. Nicht in historischen Büchern, sondern im öffentlichen Raum - vor einer starken Kulisse, die ihr Leiden und ihren Mut ins Gedächtnis ruft."
70 Biografien überlebender Widerstandskämpfer werden in den Holzbaracken dokumentiert - basierend auf Zeitzeugengesprächen, die die Journalisten um Post bellum geführt haben. Mit ihrem Oral-History-Projekt "Gedächtnis des Volkes" sind sie Vorreiter einer in Tschechien noch neuen Form der Erinnerungskultur. Bislang orientiert sich das öffentliche Gedenken weitgehend an Jahrestagen und einzelnen Helden, an die Jahr für Jahr mit stereotypen Kranzniederlegungen erinnert wird. Unhinterfragt und ohne historische Einordnung, kritisiert der Historiker Petr Koura von der Prager Karlsuniversität:
"Wir bauen Denkmäler für die Widerstandskämpfer, aber wir forschen nicht über diese Widerstandskämpfer. Wir haben keine kritische Biografie über Reinhard Heydrich in tschechischer Sprache und wir haben keine Fachliteratur zum Attentat."
Paradoxerweise, so Koura:
"Es war die größte Tat des tschechoslowakischen Widerstands, und ich meine wir können stolz darauf sein. Es war der erste Mordanschlag auf einen hohen Funktionär des Großdeutschen Reichs."
Zwar wurde das Heydrich-Attentat x-fach minutiös rekonstruiert, mehrere Filme darüber gedreht. Aber es war auch lange umstritten – wegen der grausamen Vergeltung, die es zur Folge hatte: Die Orte Lidice und Lezaky wurden von den Nazis dem Erdboden gleichgemacht, 1600 Tschechen im Konzentrationslager umgebracht. Der tschechoslowakische Widerstand war gebrochen. Einen Monat nach Heydrichs Tod, am 3. Juli 1942, hoben in einer Massenkundgebung über 150.000 Tschechen auf dem Wenzelsplatz den Arm zum Hitlergruß.
Eine schmerzhafte Lektion, mit der sich die Tschechen noch kaum auseinandergesetzt hätten, kritisiert Petr Koura:
"Das war nicht gut für die tschechische Gesellschaft, diese Schizophrenie: In der Öffentlichkeit werden wir mit Hitlergruß grüßen, aber privat werden wir auf Hitler schimpfen. Hier ist, meine ich, der Anfang von dieser Doppelmoral, an die dann die kommunistische Propaganda angeknüpft hat."
Die Frage, ob der Preis für das Heydrich-Attentat zu hoch war, stelle sich immer wieder aufs Neue, meint Kurator Mikulas Kroupa. Letztlich müsse sie jeder für sich entscheiden. Nach jahrzehntelangem kollektivem Erinnerungskult sei es heute höchste Zeit für eine individuelle Auseinandersetzung mit der jüngsten Geschichte:
"Wir sind die erste freie Generation, die ihre eigene Haltung zu der Vergangenheit sucht. Das ist unsere persönliche Aufarbeitung. Die Suche nach einer Antwort auf die Frage, ob es sich lohnt, sich einem scheinbar übermächtigen Bösen zu widersetzen. Ich persönlich meine, dank der Attentäter und ihrer Helfer haben wir eine Widerstandstradition, die uns auch heute Mut machen kann. Eine Ermunterung zur Zivilcourage. Darin sind sich auch fast alle Zeitzeugen einig: Das Attentat ist ein Appell an uns: Seid kein Volk von Loyalisten, sondern mutige Bürger."
