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Das Attentat von Nacka (Schweden)

Wenn man Peter und Katarina einlädt, dann muss man immer mit der doppelten Anzahl von Gästen rechnen und die beiden Polizisten mitzählen. Peter und Katarina sind Journalisten, die von den Neonazis bedroht sind, und deshalb Polizeischutz brauchen. Ihre Vornamen stimmen zwar, die richtigen Nachnahmen aber geben sie nicht preis. Es war vor einem Jahr im Stockholmer Vorort Nacka. Peter wollte seinen achtjährigen Sohn zum Freizeitheim bringen, auf das das Kind sich schon sehr freute. Doch kaum saßen die beiden im Wagen und fuhren an, da gab es eine fürchterliche Explosion. Wie sie aus dem Auto herausgekommen sind, weiß Peter heute nicht mehr. Es müsse wohl die Druckwelle gewesen sein. Der Sohn hatte glücklicher- weise nur zwei kleine Verletzungen im Gesicht, aber Peter hat es schwer erwischt. Wirbelbrüche und schwere Schäden an den Beinen machten zahlreiche Operationen notwendig. Peter war früher ein guter Sportler. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Und wie ist es mit den psychischen Folgen des Attentats?

Wolfgang Bombosch |
    "Ja, das Psychische, da braucht man eine längere Zeit. Das ist schlimm. Ich hatte im vorigen Sommer sehr viele Alpträume. Dann wurde es etwas besser. Ich wache allerdings immer noch aus Alpträumen auf. Es ist schwer, darüber zu reden."

    Und das merkt man den beiden auch deutlich an. Peter und Katarina sind freie Journalisten, die in verschiedenen Zeitungen über den Neonazismus in Schweden geschrieben haben. Keine Meinungsartikel, wie Peter sagt, sondern sie haben Fakten zusammengetragen über die Organisationen und deren Hintergründe oder über die sogenannte Weißmacht-Musik, die bisher vom schwedischen Gesetz geschützt war und mit deren Hilfe sich die Nazigruppen finanzieren. Das Attentat gehörte in die Reihe von Aktionen, die deutlich machen, dass die Rechts- extremen die Gewaltschraube stärker angezogen haben und die in der Ermordung des linken Gewerkschafters Björn Söderberg im Herbst vorigen Jahres ihren vorläufigen Höhepunkt fan- den, der ganz Schweden aufrüttelte. Die Polizei ahnt zwar, wo die Täter von Nacka zu suchen sind, aber die Verdachtsmomente reichen nicht für einen Prozess. Das bedrückt die beiden zusätzlich.

    "Das Schlimmste ist, dass da Menschen sitzen, die über Leben und Tod bestimmen."

    Die sitzen in einem Raum und entscheiden, dass Menschen aus irgendeinem Grund sterben müssen. Das ist ein sehr schlimmes Gefühl, dass man nicht mehr selbst über sein Leben befinden kann."

    Peter und Katarina waren vorher nicht bedroht worden, wie viele andere Journalisten in Schweden, die sich kritisch mit der rechtsextremen Szene auseinandersetzen und die die Nazigruppen in regelrechten Todeslisten aufgeführt haben. Peter und Katarina sollten sich offenbar sicher fühlen, wurden aber wohl sehr genau über ihre Gewohnheiten ausgeforscht, bevor die Täter zuschlugen.

    In Schweden hat man lange die Nazizeit und die neue Nazibewegung unterschätzt und verdrängt. Das meint auch Haakan Carlsson, der Vorsitzende des schwedischen Journalistenverbandes, der übrigens demnächst ein Handbuch für Redakteure über die Neonazis heraus- bringen wird.

    "Ja, ich glaube, man hat lange versucht, die Geschichte zu verdrängen. Und ich glaube, dass es wichtig ist, die vollständige Entwicklung zu sehen. Auch wie wir uns in den vierziger Jahren benommen haben. Das muss man im Bewusstsein behalten, damit diese Gruppen nicht zu sehr anwachsen."

    Lange Zeit hat man in Schweden die rechte Szene nicht ernst genug genommen und ihre Aktionen unter Hinweis auf die meist jüngeren Leute als Jugendsünden abgetan, für die Justiz und Polizei immer wieder mildernde Umstände fanden. Vor kurzem noch hat die Justizministerin Laila Freivalds vor einer Überschätzung der Szene gewarnt, die nur einen lockeren Zusammenhang habe. Peter widerspricht und verweist darauf, dass sie trotz der öffentlichen Proteste nach wie vor ihre Veranstaltungen durchführe.

    "Das zeigt auch, wie gut organisiert die schwedischen Nazis heute sind. Das ist kein lockeres Netzwerk. Ganz im Gegenteil! Das ist eine gut funktionierende Organisation, die in 15 Jahren entstanden ist, hier und da den Namen gewechselt hat, aber die Führung ist die ganze Zeit die gleiche geblieben."

    Peter und Katarina geben zu, dass die Versuchung groß ist, vor dieser Macht zurückzuweichen, wie es manche Journalisten unter dem Eindruck von Drohungen bereits getan haben.

    "Wir schreiben weiter! Natürlich ist man vorsichtiger geworden und man schreibt schon etwas anders. Nicht mehr so spektakulär. Aber andererseits möchte man nicht, dass die bestimmen, wann Journalisten zu schreiben aufhören. So kann die Gesellschaft nicht funktionieren."