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Das Auge des 20. Jahrhunderts

"Ich bin kein Künstler, sondern ein Bilderfabrikant" sagte der Photograph Thomas Hoepker schon vor über 40 Jahren. Dabei suchte er stets nach einem ästhetischen Zugriff auf die Welt des Krieges, des Leidens, des Hungers, der gleichzeitig nicht die Sensation im Ausdruck hat, sondern die menschliche Geste. Heute leitet er die Photoagentur Magnum in New York. Das Münchner Stadtmuseum zeigt jetzt eine Retrospektive seines photografischen Werkes: Bilder von 1955 bis 2005.

Von Stefan Koldehoff | 30.11.2005
    Das eine Foto ging um die Welt – weil es so anders war. Thomas Hoepker nahm es an jenem 11. September 2001 auf, an dem sich vielleicht so sehr wie niemals zuvor die Macht der Bilder bewies. Wer nicht im Fernsehen, wer nicht wenigstens auf einem Foto sah, was an jenem Tag in New York geschah, mochte es lange nicht glauben. Das Unvorstellbare der Terroranschläge auf das World Trade Center wurde erst vorstellbar durch seine bildliche Manifestierung.

    Thomas Hoepkers berühmtes Foto vom 11. September zeigt etwas anderes. An einem Pier am East River in Queens sitzen fünf junge Menschen. Eine Frau sonnt sich, ein junger Mann hält sein Fahrrad fest. Alle fünf reden miteinander. Die, deren Gesichter man sieht, lachen. An den Schatten erkennt man, dass es kurz nach Mittag sein muss. Im Hintergrund sind die Brooklyn Bridge und Manhattan zu sehen Über der Stadt steht die riesige dunkle Rauchsäule. Die beiden Türme des World Trade Center sind bereits eingestürzt. Die Katastrophe ist da – unter strahlend blauem Himmel. Und trotzdem lachen die jungen Menschen – ein unerhörtes Foto.

    Als er von den Anschlägen im Radio gehört habe, erzählt Thomas Hoepker in seiner Münchner Ausstellung, habe er von seinem Haus im Norden von New York aus sofort versucht, Ground Zero zu erreichen. Manhattan war für den Verkehr schon gesperrt, deshalb nahm er den Weg über Queens und Brooklyn und sah schließlich die Gruppe junger Menschen, die vor der brennenden Skyline saß und sie einfach ignorierte – weil sie wusste, dass sie ohnehin nichts tun konnte.

    Aber der Ansatz dahinter ist typisch für die Arbeit von Thomas Hoepker. Er ist Journalist durch und durch, hat für verschiedene Illustrierte gearbeitet, war als Art Director einige Jahre lang verantwortlich für die Fotografie im Magazin "stern". Sein Ansatz war dabei immer ein zurückhaltender. Hoepkers Aufnahmen, das zeigen die in München ausgestellten Werkgruppen sehr eindrucksvoll, geben nie bloß anonyme Großereignisse wieder. Sie rücken immer deren Auswirkungen auf den Menschen in den Fokus: die Gruppe von Menschen am Pier von Brooklyn; den einzelnen Mann, der glücklich durch das gerade geöffnete Brandenburger Tor läuft; die Nonne, die sich liebevoll um ein Lepraopfer kümmert.

    Einen eigenen Block in der Ausstellung bilden jene Aufnahmen, die entstanden, als Hoepker Mitte der 70er-Jahre als einer der ersten westdeutschen Journalisten in der DDR fotografieren durfte. Natürlich hat er die Plattenbauten dokumentiert, natürlich die Schaufenster, die statt mit Lebensmitteln mit Parolen der deutsch-sowjetischen Freundschaft dekoriert waren. Auch in jenen drei Jahren, die Hoepker selbst im Nachhinein als "beklemmende Erfahrung" bezeichnet, interessierte ihn aber nicht in erster Linie die Politik. Er fotografierte auch dort wieder, welche Auswirkungen der staatlich verordnete Sozialismus auf die real existierenden Menschen hatte, die mit ihm leben mussten. Heute wirken diese Aufnahmen von versteinerten Funktionären vor winkenden FDJ-Pionieren ebenso absurd wie die kleine Gruppe Jugendlicher, die an einem diesigen Tag durch eine trostlose Häuserschlucht paradiert. Damals aber waren sie Teil einer Wirklichkeit, die abzubilden Thomas Hoepker sich vorgenommen hatte. "Stille Dramen im Alltag" hat der ehemalige Chefredakteur des "Stern", Rolf Winter, Hoepkers Fotos einmal genannt.

    Es ist dieser Ansatz, der sich wie ein roter Faden durch sein Werk und damit auch durch die Münchner Retrospektive zieht: Er wolle die Welt so zeigen, wie sie ist, erklärt Thomas Hoepker und lacht: nicht mehr und nicht weniger habe er als Anspruch. Das sei bei seiner Reportage aus einer US-Militärakademie, bei Reisen nach Lateinamerika und nach Indien so gewesen, bei seinen Künstlerporträts - damals, in den 60er-Jahren, als er eine Zeitlang erst Willy Brandt in Deutschland und dann Muhammad Ali in Chicago fotografisch begleitete, und das sei auch heute noch so bei seiner späten Serie über amerikanische Landschaften. Als Kunst, sagt der heute 69-Jährige dann, habe er seine Arbeit nie verstanden. Das tue er auch heute nicht. Gebrauchsfotografie seien seine Bilder – mal besser, mal schlechter gelungen, aber immer mit dem Ziel aufgenommen, damit eine eigene Geschichte zu erzählen.

    Sein Foto vom Pier in Brooklyn zeigt, zu welcher Meisterschaft es Hoepker dabei gebracht hat. Ground Zero hat der Fotograf am 11. September 2001 nicht mehr erreicht. Er musste es auch gar nicht. Was Thomas Hoepker auf seinem Weg dorthin fotografierte, erzählt mehr als viele Bilder der einstürzenden Türme und der gigantischen Staubwolken zusammen. Sein Problem sei nur, sagt Hoepker zum Schluss, dass es heute kaum mehr Magazine gebe, die gute journalistische Fotos noch drucken wollten.