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Das Auge verführen

Die britische Künstlerin Bridget Riley hat in Siegen den Rubenspreis erhalten. Im Museum der Gegenwartskunst der Stadt sind ihre Werke zurzeit ausgestellt. Christiane Vielhaber hat die Ausstellung der "Lasse-Malerin" besucht.

    Burkhard Müller-Ullrich: Und wir, Christiane Vielhaber, sprechen jetzt über eine 81-jährige Künstlerin, die weltberühmt geworden ist, indem sie Sehstörungen erzeugt, nämlich Bridget Riley. Nach Kollegen wie Giorgio Morandi, Francis Bacon, Antoni Tàpies oder Lucian Freud bekam sie jetzt in Siegen den nur alle fünf Jahre vergebenen Rubenspreis. Und im Museum für Gegenwartskunst der Stadt Siegen gibt es eine Retrospektive, bei deren Anblick, nehme ich an, es einem ein bisschen schwindlig wird - oder wie ging es Ihnen?

    Christiane Vielhaber: Weil es keine wirkliche Retrospektive ist, weil die, ich sage jetzt mal, wichtigen Schwarz-Weiß-Bilder aus den 70er-Jahren, wo es einem wirklich schwindlig werden konnte, weil die hier fehlen, sondern weil man sich darauf konzentriert hat, Bridget Riley als die Malerin, die sie nicht ist, denn sie lässt malen, also diese Lasse-Malerin der Farbe zu präsentieren, ist mir selten schwindlig geworden. Aber was passiert ist, ist, dass diese Irritation von früher subtiler geworden ist und ich vor den Bildern und Wandgemälden und Skizzen - bei den Skizzen weniger - gestanden habe und mich gefragt habe, wie ist das eigentlich gemacht: Wie ist das komponiert, was ist eigentlich der Clou, was ist der Witz dabei, was ist das, was unsere Sehnerven nicht mehr so wie bei den schwarz-weißen Bildern, aber was unsere Sehnerven heute noch reizt, oder was uns fragen lässt, wie intelligent ist das Auge, also auf was fallen wir rein.

    Müller-Ullrich: Ich habe das jetzt alles so als bekannt vorausgesetzt, wir müssen es vielleicht ein bisschen genauer beschreiben. Bridget Riley, Vertreterin der Op-Art (und unter Op-Art versteht man "Optical Art") ...

    Vielhaber: Die Verwirrung des Auges.

    Müller-Ullrich: ... , die Verwirrung des Auges. Es sind Linien, feine Schlangenlinien beieinander, Carrés manchmal, also ich rede jetzt auch von dieser Schwarz-Weiß-Periode.

    Vielhaber: Damals waren das ja auch mehr so Muschelformen, die sich rausdrehten, oder ...

    Müller-Ullrich: Man guckt drauf und man hat wirklich das Gefühl, das geht wie ein Testbild immer kleiner ineinander und irgendwie buha!

    Vielhaber: Ja irritierend und wo man auch gedacht hat, das möchte ich jetzt nicht den ganzen Tag überm Sofa haben.

    Müller-Ullrich: Es haben sich ja Museumswächter beschwert in den 70er-Jahren, dass sie irgendwie epileptische Anfälle bekämen.

    Vielhaber: Ja, aber nicht nur Museumswächter. Auch Frau Riley hat sich beschwert, weil man diese schwarz-weißen, sehr dekorativen Motive genommen hat, um zum Beispiel Schaufenster zu dekorieren, oder Stoffe daraus zu machen. Das war ja damals so diese Zeit der Miniröcke und so. Damit ist sie auch sehr erfolgreich gewesen und dann hat sie sich darauf ...

    Müller-Ullrich: Das Vasarely-Schicksal auch?

    Vielhaber: Ja, ja. Der frühe Vasarely und die frühe Bridget Riley könnte man jetzt vergleichen. Aber dann hat sie sich doch auf die Kunstgeschichte besonnen, auch durch viele Reisen möglicherweise, und sie hat vieles gesehen, und hat dann erkannt, dass die Impressionisten sehr intuitiv auf das Licht und auf die Farbe reagiert haben, dass die Pointillisten wie jemand wie Seurat, dass der das alles wissenschaftlich untersucht hat, und letztlich liegt das ihrer ganzen Kunst zugrunde.

    Sie stehen zum Beispiel vor Bildern, die, um es mal ganz salopp zu sagen, aussehen wie Tapetenmuster - Streifen neben Streifen, von oben nach unten, rosa, hellblau, hellgrün. Und dann merken Sie aber doch, da ist kein Rapport, da wiederholt sich nichts, da ist kein Raster, keine Systematik, sondern das ist dann doch ihr Gefühl, und dann schreibt sie diese Farben auf und sie nimmt auch nie reine Farben, sondern immer Farbengemische und die werden dann aufgetragen. Das sind vielleicht die Bilder, die in dieser Ausstellung am langweiligsten sind, weil diese Streifen und noch mal Streifen und diese Farben, das wiederholt sich. Aber dann bemerkt sie, dass etwas in ihrer Kunst fehlt, und das ist etwas Rundes, das ist die Kurve. Mich hat das so ein bisschen erinnert an gotisches Maßwerk, wo man ja mit dem Zirkel bestimmte Formen rausholt, Passformen. Das tut sie auch und jetzt mischt sie das, sie mischt also diese vertikalen Streifen und macht dann diese Diagonalen mit diesen Kurven, und dann haben Sie manchmal das Gefühl, das ist wirklich richtig plastisch, da dreht sich ein Stück Papier. Oder Sie denken, wenn es so fleischfarben ist, an die Tänzer bei Matisse, oder die Badenden bei Seurat. Also diese Nähe zur Wirklichkeit, die Nähe zur Realität ist viel, viel größer als die Nähe zur konkreten Abstraktion oder zur Abstraktion schlechthin.

    Müller-Ullrich: Sie hatten ja gerade gesagt, Sie hätten sich gefragt, wie hat die das eigentlich gemacht. Was hat bei Ihnen diese Frage ausgelöst, weil es so perfekt ist, oder? Ich meine, es sieht ja ein bisschen aus wie Computerkunst avant la lettre.

    Vielhaber: Sehen Sie, genau das habe ich jetzt auch in dieser Ausstellung gefragt - bei der letzten Ausstellung ist mir das gar nicht so vor zehn Jahren in Krefeld aufgefallen -, dass sie erstens alles malen lässt, zweitens, dass sie nichts am Computer herstellt, sondern sie macht (das sehen Sie auch) auf so einer Art Karopapier Farbauszüge und sie guckt, welche Kurve nimmt sie, also welchen Segmentbogen von diesem Zirkelschlag, und das wird dann von diesen Assistenten gemacht, von denen sie sehr viele haben muss, denn sie hat auch sehr viele Ateliers, nicht nur in England, sondern auch in Südfrankreich, die das dann herstellen.

    Müller-Ullrich: Also eine staunenswerte Kunst, nicht Tapete, nicht Computer, aber das Ganze im Museum für Gegenwartskunst der Stadt Siegen. Bridget Riley wird dort ausgestellt und sie bekam dort auch den Rubenspreis. Danke, Christiane Vielhaber.