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Das Beste aus der Weltpresse auf Französisch

Es ist eine eher ungewöhnliche Zeitung: Die Ausgaben des "Courrier International" setzen sich ausschließlich aus Artikeln der ausländischen Presse zusammen. Jede Woche werden dafür Hunderte Zeitungen und Zeitschriften aus der ganzen Welt gesichtet. Im Februar soll die erste Ausgabe von "Courrier Deutschland" erscheinen.

Von Johannes Kulms |
    Die Stille in den Redaktionsräumen des "Courrier International" wirkt zunächst irritierend. Es fehlen die ständigen Telefonanrufe und das eifrige Tastaturgetippe. Stattdessen sitzen in dem Großraumbüro im Pariser Osten die Redakteure vertieft über Zeitungen aus aller Welt oder lesen Artikel am Rechner. Der "Courrier International" gehört zu den bekanntesten Zeitungen Frankreichs. Dabei verfassen die Redakteure der Wochenzeitung keinen einzigen Artikel. Redaktionsdirektor Philippe Thureau-Dangin erklärt das Konzept des "Courrier":

    "Das Beste aus der weltweiten Presse veröffentlichen und auf Französisch zu übersetzen. Der Kerngedanke ist: Wenn es um Russland geht, ist es interessanter, die russische Presse zu lesen, als einen französischen Journalisten dorthin zu schicken. Um die chinesische Mentalität zu verstehen, muss man die chinesische Presse lesen."

    Woche für Woche entsteht so eine Ausgabe, die sich ausschließlich aus Artikeln der ausländischen Presse zusammensetzt. Rund 30 Redakteure im Pariser Büro und 25 Korrespondenten vor Ort sichten dafür jede Woche Hunderte Zeitungen, Zeitschriften und Webmagazine aus der ganzen Welt – von der renommierten "New York Times" bis zu "Utrinski Vesnik" aus Mazedonien deren Auflage 5000 Exemplare beträgt.

    "Wir versuchen bei jedem Thema die Zeitung zu finden, die am dichtesten dran ist. Manchmal ist es natürlich so, dass die Presse der Zensur unterliegt. Dann greifen wir auf die Presse der Nachbarländer zurück."

    Man wolle möglichst verschiedene Meinungen abbilden und dem Leser erlauben, sich ein eigenes Urteil zu bilden, erläutert Philippe Thureau-Dangin. Nicht selten bringt das sehr starke Gegensätze zutage. Ousmane Ndiaye, der beim "Courrier" für die afrikanische Presse zuständig ist, nennt den Tod Muammar al-Gaddafis als Beispiel.

    "Die westliche Presse hat ja Gaddafi als Diktator gesehen. Die afrikanischen Zeitungen waren da ganz anderer Meinung. Es gab Artikel, in denen Gaddafi als Held gefeiert wurde oder seine Verdienste für den Panafrikanismus hervorgehoben wurden, seine Entschuldungsprogramme, seine Bauprojekte – der Standpunkt war also völlig anders."

    Die "Courrier"-Redakteure wählen nicht nur die Artikel aus. Sie fügen auch Hintergrundinformationen in Form von kleinen Kästen und Grafiken hinzu, um den Lesern eine bessere Einordnung zu ermöglichen. Ins Französische übertragen werden die Artikel dann von den zehn hauseigenen Übersetzern. Isabelle Boudon ist für englisch- und deutschsprachige Texte zuständig. Meistens dauert die Übersetzung eines Artikels zwei bis drei Stunden, doch manchmal brüte sie den ganzen Tag an einem Text, erklärt Boudon. Besonders schwierig findet sie den Stil der FAZ und der NZZ:

    "Das ist schon eine sehr komplizierte Ausdrucksweise, die nicht einfach zu übersetzen ist, gerade wegen der vielen Metaphern. Das ist deprimierend. Entweder man versteht gar nichts oder man versteht alle Wörter, aber nicht die Bedeutung."

    Gerade hat der "Courrier" seinen 21. Geburtstag gefeiert. Mit vielen großen Zeitungen hat der "Courrier" feste Verträge über die Verwendung von Artikeln abgeschlossen. Derweil hat es aber auch Vorwürfe gegeben, der "Courrier" veröffentliche Texte ohne das vorherige Einverständnis der Autoren. Das räumt auch Redaktionsdirektor Thureau-Dangin ein, der versichert, dass man heute viel stärker auf die Abdruckrechte achte:

    "In 21 Jahren haben wir die Artikel von rund 30.000 verschiedenen Journalisten gedruckt. Und natürlich kommt es da manchmal zu Problemen. Wir müssen schnell sein und dann kann so was passieren. Aber unser Ziel ist es nicht, die Texte umsonst abzudrucken."

    Rund 200.000 Exemplare verkauft der "Courrier", der jede Woche mit einer anderen Geschichte aufmacht. Ob die prekäre Situation von Praktikanten, Skandale in der chinesischen Lebensmittelherstellung oder die Zukunft der Presse – der "Courrier" ermöglicht einen Blick auf ganz unterschiedliche Themen – immer durch die Augen der Weltpresse. "Courrier"-Chefredakteur Eric Chol sieht seine Zeitung nicht nur als Spiegel der Entwicklung des weltweiten Journalismus, sondern auch als Gradmesser der Pressefreiheit:

    "Nehmen wir zum Beispiel China: die Arbeit der Zeitungen lässt ja Rückschlüsse auf die Meinungsfreiheit, den Zustand der Demokratie und die Pressefreiheit zu. Der 'Courrier' ist also ein guter Vektor um zu sehen, wie es um die Freiheit in einem Land steht."

    Ousmane Ndiaye ist erst seit einem halben Jahr beim "Courrier". Zuvor war der Senegalese zehn Jahre als Journalist in Afrika und Europa tätig. Auch wenn er plant, eines Tages wieder selber zu schreiben, ist er mit seinem neuen Job sehr zufrieden. Ousmane Ndiaye findet, man könne sich hier mehr auf die eigentliche Kernaufgabe von Journalisten konzentrieren – nämlich zu informieren:

    "Du musst hier sehr genau arbeiten: Texte auswählen, übersetzen, gewichten, Erklärungen liefern, schreiben, umschreiben, aber dein Name taucht nicht auf! In anderen Redaktionen sind die Redakteure egoistischer, jeder möchte seinen Stil pflegen. Hier beim 'Courrier' aber herrscht eine Bescheidenheit, die man woanders so nicht findet. Wir sind keine Starreporter. Wir sind einfach nur Journalisten."

    Neben der Version in Frankreich betreibt der "Courrier" auch Ausgaben für Portugal und Japan. Nun möchte der "Courrier" den Sprung nach Deutschland wagen: Im Februar soll die erste Ausgabe veröffentlicht werden. Name: "Courrier Deutschland".