Archiv


Das Bild des Bären

Urs, Ursus - Deutschland liebt Bären, das wissen wir nicht erst seit Knut. Aber überhaupt: Deutschland ist ein Bärenland, hier gibt es Bärenmarke, Gummibärchen und natürlich Teddybären. München hat jetzt Bruno, den Problembären. Der ist nun ausgestopft im Museum "Mensch und Natur" zu sehen.

Von Beatrix Novy |
    Ach Bruno

    Noch vor wenigen Jahren konnte man in Jagdgeschäften ausgestopfte Hasen im Jagdkostüm sehen, das Gewehr geschultert und frisch waldwärts schreitend. Ja, solch trübe Scherze waren früher selbstverständlich.

    Wenn es um Tiere ging, verstanden nur Tierethiker wie Arthur Schopenhauer keinen Spaß. Allein die Erwähnung eines tödlich verlaufenen Experiments mit einer Kreuzspinne versetzte ihn in höchste Erregung. Die Engländer rühmte er, weil sie als erste Nation den Tierschutz einführten. Die jüdisch-christliche Tradition klagte er an, die Sicht auf das Tier als bloße Sache begründet zu haben, der Sprache warf er vor, "jene einfache und über allen Zweifeln erhabene Wahrheit" zu verschleiern, "dass die Tiere in der Hauptsache und im Wesentlichen ganz das Selbe sind, was wir sind", nämlich in Essen und Trinken, Schwangerschaft, Geburt und Tod. Diese Vorgänge bei Tieren durch ganz andere Worte zu bezeichnen als beim Menschen, das, sagte Schopenhauer, "ist wirklich ein niederträchtiger Kniff".

    Da erübrigt sich wohl die Frage, ob Schopenhauer an diesem Wochenende ins Münchner Museum für "Mensch und Natur" geeilt wäre, um mit Heerscharen von Familien aus München und Umgebung Bruno zu schauen. Den ausgestopften, pardon : präparierten Problembären Bruno, gezeigt bei der mit einer der menschlichen Natur überaus verwandten Tätigkeit: er klaut den Bienen ihren Honig - wir honigessenden Menschen tun nichts anderes, das sei bei dieser Gelegenheit erwähnt - um sich einen Mundvoll zu genehmigen. Das ist eine realistische Szene aus Brunos Leben, die ihn, wie die Museumsleitung erklärt, weder als Kuscheltier zeigt noch als Bestie.

    Eben das ist die Aufgabe eines jeden Naturkundemuseums und seiner überaus versierten Kunsthandwerker, der Präparatoren: das Tier in einem gattungscharakteristischen Moment zu verewigen, ultimativ domestiziert für uns naturferne Zivilisierte, als lebensechte Momentaufnahme. Dafür muss es natürlich tot sein. Weil aber der Tierschutzgedanke seit Schopenhauer große Fortschritte gemacht hat, kommt es nicht mehr oft vor, dass große und geschützte Tiere den Weg zum Präparator finden; insofern ist jeder Adler, der einen Unfall hatte, ein Glücksfall, ein abgeschossener Braunbär ein Lottogewinn.

    Aber Bruno ist nicht irgendein toter Braunbär, er ist ein Star. Einer aus der Reihe prominenter Tiere, die in den letzten Jahren die Zeitungsseiten belebten, vom Entenwal in der Themse bis zu Elefanten- und Eisbärbabys. Brunos fataler Konflikt mit der Zivilisation, in die er geriet, mag ihn in der Wahrnehmung seiner Unterstützer herausheben. Das ändert nichts daran, dass die anteilnehmende Welt ein Herz für Tiere nur in besonderen, medial aufbereiteten Fällen hat. In diesem Widerspruch leben wir alle: Das eine Tier wird gehätschelt, die anderen gegessen. Und das einzig Neue an der alten Geschichte ist: je mehr gegessen wird, desto überschwänglicher die Liebe zum Einzelgeschöpf. Im Widerspruch zwischen den Extremen verdrängter millionenfacher Quälerei zugunsten günstiger Fleischpreise und unverhältnismäßiger Tierliebe liegt auch ihr Zusammenhang.

    Zu Schopenhauers Zeit war Mitgefühl mit einer verendenden Katze weitgehend unbekannt - so unbekannt wie Tierversuche für Kosmetik oder das Wort "Fleischproduktion". Heutzutage gibt es das Mitgefühl sogar im Internet zu bestellen: Als Bruno-Trauerflagge oder T-Shirt.