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Das Café als Hauptquartier

Wo wäre das Stück besser aufgehoben als in der einzigen Stadt, die in Deutschland noch als "bohèmefähig" gelten kann, in der sich noch Möchtegern-Künstler und alternde Punks die Cafés und S-Bahn-Stufen teilen - das könnte sich Andreas Homoki gedacht haben, als er Puccinis Werk auf den Spielplan der Komischen Oper in Berlin setzte.

Von Christoph Schmitz | 07.04.2008
    Andreas Homoki aktualisiert Puccinis Künstler- und Intellektuellenleben im Paris der 1830er Jahre, ohne zu politisieren. Er analysiert das Verhalten der Protagonisten, ohne sozialkritischen Stereotypen zu verfallen. Er verallgemeinert diese Geschichte über Liebe, Verrat und Tod, ohne die individuelle Psychologie der Figuren aus dem Blick zu verlieren.

    Der Dichter Rodolphe, der Maler Marcel, der Musiker Schaunard und der Philosoph Colline sind junge Männer von heute an einem unwirtlichen kahlen Ort. Die Bühne ist schwarz und leer, es schneit unablässig an diesem Heiligabend. Die Jungs sind zwar klamm, wärmen sich draußen am Feuer, haben aber beste Laune, weil das freie Leben schön ist, die Zukunft voller Möglichkeiten. Denn als Kreative trauen sie sich einiges zu, im Übermut eines Actionpainters attackiert Marcel eine Backsteinwand mit Farbe. In der deutschen Textfassung von Bettina Bartz und Werner Hintze, die komisch, derb und immer ganz heutig ist, sangen und spielten die Vier ihre Freundschaft unbekümmert vital.

    Eine gute Idee von Andreas Homoki ist es, von Anfang an die Figuren aus ihrer engen Bude über den Dächern von Paris heraus in den öffentlichen Raum zu platzieren. So kann er seine jungen Wilden mit der gezähmten Gesellschaft konfrontieren, die er allerdings nicht im antibürgerlichen Reflex diskreditiert. Er zeigt sie im Zustand ihrer festlichen Selbstinszenierung, an Weihnachten, symbolisiert durch einen riesigen Tannenbaum, der im zweiten Akt geschmückt wird.

    Mit diesem Motivmaterial arbeitet er dann stringent weiter: Während Rodolphe und Mimì sich an ihrer frischen Liebe berauschen, der Maler und Musette wieder zu einem Paar werden, eskaliert das Fest der Weihnachtsgesellschaft zu einer wütenden Konsumschlacht.

    Und im vierten Akt enden die Künstler genau dort, in der etablierten Konsumwelt. Sie spielen den Reichtum nicht nur, wie von Puccini eigentlich gedacht. Sondern sie haben erfolgreich publiziert und ausgestellt, sind Professoren geworden und lassen sich in einem Edelrestaurant bedienen.

    Mit den einstigen Freundinnen Mimì und Musette aus ihrer wilden Zeit haben sie längst Schluss gemacht. Die sind arm und krank geblieben. Halb erschrocken, halb sentimental greifen die Männer zum Portemonnaie. Am Ende bleiben die tote Mimì und ihre Freundin alleine zurück.

    Zu den starken szenischen Lösungen von Homoki gehört auch, wie er das Geschehen mitunter anhält. Wie viele seiner amerikanischen Regiekollegen steuert er an markanten Stellen die Handlung in die Zeitlupe oder friert das Bild plötzlich ein und gibt damit der Musik großen Raum.

    Der Dirigent des Abends, Carl St. Clair, der ab nächster Spielzeit seine Stelle als Generalmusikdirektor an der Komischen Oper antreten wird, nutzte nicht nur diese Passagen, um das Orchester aufblühen zu lassen. Die ganze Partitur lud er energetisch stark auf, ins Schwärmerische ebenso wie ins Schroffe und Tumultuöse. Die leisen Töne führte er zu ätherischer Transparenz.

    Brigitte Geller sang die Mimì sehr zart. Die Musette der Christiane Karg hatte den notwendigen robusteren Zugriff, und der Rodolphe von Timothy Richards war ordentlich, hatte aber etwas zu wenig Schmelz. Dennoch: Die Komische Oper wird ihrem Ruhm als Oper des Jahres 2007 gerecht.