Das war 1999. Seitdem gehört das Magazin für Popkultur dem Münchener Piranha-Verlag, der neben anderen Musikzeitschriften auch das Burger King-Magazin herausgibt. Viele alte Mitarbeiter und Autoren haben das Magazin seitdem verlassen oder wurden von einer neuen Autorengeneration abgelöst. Obwohl Spex immer noch zu den besten Musikzeitschriften Deutschlands zählt, wirft man ihr vor, dass sie heute eine "ganz normale Musikgazette geworden" sei, wie die Wochenzeitung Jungle World schreibt. Radikalität und Einzigartigkeit sind der Spex zweifelsohne abhanden gekommen. Joachim Ody, seit der Spex-Gründung dabei und damit dienstältester Spex-Autor, sowie Uwe Viehman, heute Chefredakteur des Magazins, haben dafür Erklärungen:
" Die Spex war ja auch immer so ne Plattform, neue Hypes zu entwickeln, sie war irgendwie für alle neuen Strömungen, die zuerst in Amerika aufgetreten sind und dann in England aufgetreten sind und dann vielleicht auch in Deutschland, war das das einzige Magazin, was das zuerst aufgegriffen. Da so unglaublich vieles, neues Interessantes passiert ist, war das gar kein Problem, es gab immer wieder Stoff, das aufzuarbeiten. Momentan sieht das alles etwas so aus, dass das Heft gemacht werden muss, weil ganz andere Voraussetzungen einfach da sind. Es ist nicht mehr so unbedingt von sich aus etwas zu konzipieren, von sich aus etwas zu entdecken, sondern teilweise sind es heute Themen, die vorgegeben werden, und die Musik selbst ist einfach zu vertraut. "
" Bei allen großen Musikmagazinen, die es gibt, sitzen Menschen, die entweder mal was für Spex gemacht haben oder damit aufgewachsen sind, das total respektieren und auch diesen allgemeinen Umgang mit Musik, also nicht nur Fachwissen zu haben, nicht nur für eine Musikrichtung sich zu interessieren, sondern halt auch Anderes versuchen miteinfließen zu lassen, selbst wenn man ein Fachmagazin ist – das ist der große Unterschied heute. Und dann sind auch die Strukturen ganz anders geworden, man kann nicht mehr wie damals eine Ansammlung von Spezialisten dazu benutzen, ein Heft zu machen, was das ultimative Wissen vermitteln möchte. Heutzutage sind sehr viel mehr Leute in der Lage dazu noch viel mehr Wissen zu haben, wenn’s um Spezialdinge geht, spezielle Musikrichtungen undsoweiterundsofort, als das damals der Fall war. Da muss man jetzt nicht über das Internet groß reden, aber das ist eigentlich der Hauptknackpunkt daran. Außerdem ist es so, dass die ganze Musikwirtschaftslandschaft sich komplett geändert hat. 39 Es gibt auch keine echte Fanzine-Kultur mehr, das ist sehr sehr überschaubar, und wenn, dann verstricken sich meiner Meinung nach viele auch in so einer Unterhaltungsform als in einer radikalen Variante, weil sie auch merken, dass man mit der radikalen Variante, und das ist vielleicht auch ein Hinweis darauf, wie heutzutage die Musikwelt funktioniert unter den Konsumenten, man mit dieser radikalen Variante keinen Blumentopf mehr gewinnen kann. Es gibt einfach keine Käufer mehr dafür. "
Sicherlich ist Spex heute vom Bedeutungsverlust der Popmusik als einem gegenkulturellen Sprachrohr betroffen, ebenso wie von der Krise der Musikindustrie. Darüber hinaus muss sich Spex in einer stark veränderten Medienlandschaft und im Kontext einer extrem konsumistischen Download-Kultur behaupten. Dennoch könnte das Magazin, das den glorreichen Namen eben noch im Titel führt, auch weiterhin schlaue Diskurse in Gang setzen oder überraschende Zusammenhänge stiften. Letzteres wurde ja besonders von der mittleren Spex-Generation vertreten – zum Beispiel von Hans Nieswandt, der sich heute als Musiker, DJ und Buchautor einen Namen gemacht hat:
" Also für mich war Spex auch in den 90er Jahren, auch in den 80er Jahren, nicht nur in allererster Linie ein Informations-/Datenheft, wo man so über neue Veröffentlichungen informiert wurde, sondern vor allem auch sehr viel gedacht und Zusammenhänge erzeugt wurden oder auch Sachen gesetzt wurden. Eben gerade nicht weil sie sowieso von den Firmen gesetzt wurden, sondern die vom Magazin selbst gesetzt wurden. Also ein Beispiel, muss ich jetzt wieder sagen, in den mittleren 80ern Bob Dylan auf Cover zu nehmen fand ich echt stark. Ich hätte mich sonst niemals für Bob Dylan interessiert, und ich glaube, dass man all solche Sachen selbstverständlich immer noch tun kann. So ein Riesenunterschied ist es auch wieder nicht, es gab auch in den 80er Jahren und in den 90er Jahren schon Musikfernsehen und tausend verschiedene Medien usw. – das ist für mich alles kein Grund, sich letzten Endes in so ne Phalanx von gleichartigen Musikzeitschriften zu begeben. Ich hab mir gestern abend tatsächlich nochmal die aktuelle Spex durchgeguckt und hab mich wirklich gefragt: (...) wo ist etwas, was sich sozusagen die Redaktion selber ausdenken musste und nicht das Thema serviert bekommen hat. "
Die Funktion, die Spex früher mal erfüllt hat, haben heute zum Teil die Feuilletons der überregionalen Zeitungen übernommen, und oft sind dabei alte und neue Spex-Autoren am Werk. Und obwohl das 25-jährige Spex-Jubiläum eigentlich erst im Oktober ansteht, sieht es nicht danach aus, als ließe sich die alte, mittelalte und neue Spex-Generation dabei noch unter einen Hut bringen. Vielleicht braucht es einfach ein neues Organ, vielleicht sind die Zeiten für solche gegenkulturellen Projekte aber auch einfach vorüber, wie Spex-Gründer Peter Bömmels vermutet:
" Ich glaube, dass die Zeiten ganz andere geworden sind und es viel schwieriger geworden ist, sich zu unterscheiden von anderen, auch im Sinne von Zeitschriften. Also, wir hatten damals eben diese Idee noch von Gegenöffentlichkeit, oder überhaupt ne Öffentlichkeit herzustellen, und das ist ja jetzt bis zu genüge getan. Und ich glaub, die jüngeren Leute, die haben heute schon ein anders gelagertes Problem zu lösen und ich hoffe, dass sie wenigstens drüber nachdenken. "