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Das Dach der Zukunft

Der gegenwärtige Aufschwung an erneuerbaren Energien hat eine lange Vorgeschichte: Vor 35 Jahren wurde Solar One, das erste mit Sonnenenergie versorgte Haus, in den USA der Öffentlichkeit präsentiert. Hauptideengeber und -konstrukteur war der Deutsche Karl Wolfgang Boer, der seine Ideen auch im Privatleben umsetzte.

Von Mathias Schulenburg | 11.06.2008
    Schön war es nicht gerade, das weltweit erste fast vollständig von Solarenergie wohnlich gehaltene Haus, das die University of Delaware an der Ostküste der Vereinigten Staaten von Amerika am 11. Juni 1973 der Öffentlichkeit vorstellte. Aber es war zukunftsweisend.

    Denn auf dem Dach trug es Platten, die an der Oberseite mit einer dünnen Spezialschicht belegt waren - einer Verbindung aus Kupfer, Cadmium und Schwefel. Es waren die ersten in der Praxis erprobten Dünnschicht-Solarzellen. Die machten aus Licht Strom, der - wenn er im Überschuss anfiel - ins Netz des lokalen Elektrizitätswerks gespeist wurde. Umgekehrt half im Mangelfall das Elektrizitätswerk dem Solarhaus. Das Prinzip ist bis heute unverändert aktuell.

    Doch das war noch nicht alles. Damit die Solarzellen nicht zu heiß wurden, wenn die Sonne schien, befanden sich darunter Kammern, durch die Ventilatoren kühlende Luft leiteten. Die Luft wurde dabei warm und im Bedarfsfall in das Haus gelenkt, um es zu heizen. Solar One schlug viele Fliegen mit einer Klappe. Heute steht es unter Denkmalschutz.

    Und es passte in die Zeit: Wegen politisch bedingter Ölengpässe war die sichere Versorgung mit Energie zum Thema geworden. Präsident Jimmy Carter stimmte seine Landsleute auf harte Zeiten ein und forderte:

    "Wir müssen jetzt unkonventionelle Energiequellen für das nächste Jahrhundert erschließen."

    Die Weitsicht des damals glücklosen Präsidenten wurde später hoch geschätzt. 1993 erhielt Jimmy Carter von der University of Delaware die hoch dotierte Karl-Wolfgang-Boer-Medaille für Verdienste um die Entwicklung der Solarenergie. Karl Wolfgang Boer wiederum, ursprünglich ein Deutscher, war der Hauptideengeber und -konstrukteur von Solar One. Der Preis war zu seinen Ehren von der Delaware University gestiftet worden.

    Boer setzte seine Ideen auch im Privatleben um. In einem Podcast des "Greenworks radio" gab Boer Auskunft über Einzelheiten seines ab 1975 mit großem Aufwand solartauglich gemachten Eigenheims. So wird das Haus im Bedarfsfall mit der Wärmeenergie des Swimming Pools beheizt. Die wiederum wurde von Solarkollektoren auf dem Dach geliefert, und das nicht zu knapp:

    "Wir wollten uns im Pool nicht verbrühen, deshalb verteilen wir die Wärme mit flächig in die Wand integrierten Heizkörpern im ganzen Haus. So kommt eine Heizwassertemperatur von nur mehr 28 Grad zustande."

    Der Werdegang Karl Wolfgang Boers war einigermaßen abenteuerlich. Als 1961 die Berliner Mauer gebaut wurde, hatte er eine Professur an der Ost-Berliner Humboldt-Universität, wo er sich unter anderem mit Dünnschicht-Solarzellen befasst hatte. Zum schicksalsschweren Datum des 13. August aber befand er sich gerade auf einer Vortragsreise in den USA. Boer entschied sich, dort zu bleiben, nahm eine Professur an der Delaware University an und wurde so zum Hauptinitiator von Solar One. Die Fachwelt kennt ihn auch als bedeutenden Festkörperphysiker.

    Einer der sicherlich schwerwiegendsten Beiträge dieser Disziplin: Die Fotovoltaik, die Gewinnung von Strom aus Licht mit Halbleitern. Die Branche hat derzeit Wachstumsraten von bis zu 100 Prozent pro Jahr, was bedeutet, dass sie sich in zehn Jahren vertausendfacht hätte - wenn die etablierten Energieversorger das zulassen.

    Die ersten Schritte in eine sonnige Zukunft hatten die Erbauer von Solar One getan, darunter Karl Wolfgang Boer. Der meinte einmal: Wenn er eines Tages - was schließlich aller Menschen Schicksal sei - nicht mehr aus seinem Bett herauskäme und die Kinder ihn fragten: Daddy, was hast Du eigentlich für unsere Zukunft getan, ja, dann könnte er...

    "...auf mein Dach zeigen. Das war doch was."