Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Das dänische Märchen

Der Lebensweg Hans Christian Andersens gleicht einem Märchen. In ärmlichsten Verhältnissen aufgewachsen, versucht er nach dem Tod des Vaters - als 14-jähriger in die Hauptstadt Kopenhagen sein Glück. Als Schauspieler scheitert er. Doch als Schriftsteller wird Andersen zum heute meistgelesensten Märchendichter der Welt. In mehr als 100 Sprachen wurden seine Texte übersetzt.

Von Marc-Christoph Wagner | 02.04.2005
    "Das arme Entlein wusste nicht, wo es stehen noch gehen sollte; es war so betrübt, weil es so häßlich aussah und vom ganzen Entenhof verspottet wurde. So ging es den ersten Tag, und später wurde es immer schlimmer. Das arme Entlein wurde von allen gejagt, selbst seine Geschwister waren so böse zu ihm und sagten immer: "Wenn die Katze dich nur fangen möchte, du häßliches Stück!" Und die Mutter sagte: "Wenn du nur weit fort wärst!" Und die Enten bissen es, und die Hühner schlugen es, und das Mädchen, das die Tiere füttern sollte, stieß es mit den Füßen. Da lief es und flog über den Zaun."

    Das hässliche junge Entlein, welches am Ende der Geschichte zu einem Schwan wird, dem schönsten weit und breit! Viele von Andersens Märchen haben autobiographische Züge, doch selten sind sie so offensichtlich wie hier.

    Hans Christian Andersens Lebensweg gleicht selbst einem Märchen. Geboren am 2. April 1805 im dänischen Odense, aufgewachsen in ärmlichsten Verhältnissen, bricht er - nach dem Tod des Vaters - als 14-Jähriger auf in die Hauptstadt Kopenhagen. Berühmt will er werden - zunächst als Sänger, Tänzer oder Schauspieler am Königlichen Theater, dann, als ihm die Aufnahme an der Bühne verwehrt wird, als Dichter.

    Und berühmt wird er - mit Märchen wie "Des Kaisers neue Kleider", "Die Prinzessin auf der Erbse", "Däumelinchen" oder auch "Die Kleine Meerjungfrau", nicht allein in seiner Heimat Dänemark, sondern in Europa, auf der ganzen Welt. Jens Andersen, Autor einer opulenten und preisgekrönten Biographie über seinen berühmten Namensvetter:
    "Was ihn antrieb, war er selbst, sein unvergleichliches Inneres, seine geistigen, psychischen, stellenweise auch körperlichen Kräfte. Er hatte so viel Mut, er hatte so viel Talent, und es bedarf ja des Mutes, Talent zu haben - das Talent, das man in sich trägt, auch zu verwirklichen. Sein Leben lang hat Andersen die Chancen ergriffen, die sich ihm boten. Im Märchen über die Schneekönigin drückt er dies ja wunderbar aus - Gott hat uns Nüsse gegeben, aber er knackt sie nicht für uns!"

    Insgesamt zehn Jahre seines Lebens verbringt Hans Christian Andersen auf ausgedehnten Reisen - ein Nomade, der an Königshöfen empfangen und gefeiert wird und viele seiner berühmten Zeitgenossen persönlich kennt. Dennoch sind Demütigungen, Traurig- und Einsamkeit sein ständiger Begleiter. Auf viele Zeitgenossen wirkt sein gefühlsbetontes Naturell befremdend, er selbst bezeichnet sich in seinen Tagebüchern als ein seltsames Wesen. Andersen vermag sich nicht zu binden, und auch in seinen Texten fühlt er sich vom Publikum immer wieder mißverstanden:

    "Ich gab ihnen mein volles Herz
    Und meine ganze Seele mit,
    Gelächter fand mein tiefer Schmerz,
    Und meine Seele traf ihr Tritt."

    Jens Andersen: "Diese Zweiseitigkeit ist so typisch für Hans Christian Andersen. Er weiß und erinnert uns permanent daran, daß ein Teil unseres Lebens kein Zuckerschlecken ist, aber dann gibt es eben den anderen Teil - den müssen wir genießen und entfalten. Und diese beiden Seiten hatte er stets in sich, seine Tagebücher sind voll von diesen Beobachtungen, wo er versucht herauszufinden: "Warum bin ich zwischen Trauer und Freude so hin und her gerissen?" Er findet nie eine endgültige Antwort - und das erklärt vielleicht auch sein so fruchtbares Schaffen. An einer Stelle schreibt er: "Was bin ich mir doch für ein Rätsel?" Und so guckte er immer weiter in sich hinein und hörte nicht auf, zu schreiben."Unserer Körper stirbt, aber unsere Seele kann nicht sterben" steht auf Andersens Grabstein auf dem Kopenhagener Assistens-Friedhof geschrieben. Schon zu Lebzeiten hatten ihm seine Märchen, die für Kinder und Erwachsene gleichermaßen geschrieben wurden, einen Hauch von Unsterblichkeit verliehen. Als er am 4. August 1875 stirbt, folgen Zehntausende seinem Sarg, darunter gekrönte Häupter aus ganz Europa.
    ""Nein!" sagte der Rosenstock. "Ich blühte vor Freude, weil ich nicht anders konnte. Die Sonne schien so warm, die Luft war so erfrischend, ich trank den klaren Tau und den kräftigen Regen. Ich atmete, ich lebte! Aus der Erde stieg eine Kraft in mich hinauf, von oben her kam eine Kraft, ich empfand ein Glück, ein immer neues, wachsendes Glück, und deshalb musste ich immer blühen; das war mein Leben, ich konnte nicht anders!"