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Das DDR-Bild von Schülern in Ost und West

Wie war die DDR? Die Antwort Jugendlicher ist sehr unterschiedlich, je nachdem ob sie aus Ost oder West kommen. Wissenschaftler der Freien Universität Berlin haben Tausende von Schülern in den neuen sowie in den alten Bundesländern befragt. Sie sind zu alarmierenden Ergebnissen gekommen und fordern vor allem die Bildungspolitiker auf, etwas dagegen zu tun. "Soziales Paradies oder Stasi-Staat?" heißt ihr Buch.

Von William Vorsatz |
    Die DDR wird immer schöner. Zumindest in den Augen der Ostdeutschen. Dies gilt nicht nur für die Älteren. Professor Klaus Schroeder von der Freien Universität Berlin:

    "Erwartet haben wir, dass bei den jüngeren Generationen das Geschichtsbild sich annähert, vermittelt über die Schule, über die allgemeinen Diskussionen, und deshalb sind wir so überrascht gewesen, dass die jüngeren noch weiter auseinander liegen als die älteren Generationen im Geschichtsbild. "
    Der Soziologe und Politikwissenschaftler Klaus Schroeder hat über 5000 Schüler befragt, zusammen mit seiner Frau, der Politologin Monika Deutz-Schroeder. Die Schüler waren zwischen 16 und 17 Jahre alt und gingen in die neunten bis elften Klassen. Herausgekommen ist ein 750 Seiten dickes Buch zum DDR-Bild von Schülern im Ost-West-Vergleich. Die Studie belegt: die meisten Schüler aus Ostdeutschland verklären die DDR:

    "Die jüngeren sind noch weniger kritisch gegenüber der DDR-Diktatur als die älteren Schüler. Die soziale Dimension wird überhöht, stark überhöht, während die diktatorische Dimension überhaupt nicht bekannt ist. Das heißt: Das Wesentliche eines Systems, der Demokratie- oder Diktaturcharakter, wird diesen Schülern nicht vermittelt, und sie erfahren das auch nicht in den Familien, und wenn ihnen erzählt wird, wie sozial toll die DDR war, dann glauben sie das einfach, ohne zu hinterfragen, wie hoch die Renten waren, wie die Arbeitsbedingungen waren u.s.w. "

    So wissen diese Schüler zwar von dem Recht auf Arbeit in der DDR, aber kaum jemand hat Kenntnis davon, dass es auch eine Arbeitspflicht gab und für sogenannten asozialem Lebenswandel Gefängnis oder Erziehungslager drohten. Die Autoren haben für ihre Studie außerdem gefragt, welches Gesellschaftssystem die Schüler besser finden. Während zwei von drei Schülern im Westen das bundesrepublikanische favorisierten, war es im Osten nur jeder Dritte. Aber:

    "Je mehr die Schüler wissen, umso kritischer sehen sie die DDR. Das hätten wir in dieser sozusagen Eindeutigkeit, nicht erwartet, dass mehr Wissen vor Verklärung schützt."

    Mit diesem Wissen ist es allerdings im Schnitt nicht allzu weit her im Osten. Die Autoren haben beispielsweise nach Politikern aus Ost und West gefragt.

    "Und hier zeigt sich, dass zum Beispiel bayerische Schüler mehr DDR-Politiker kennen als ostdeutsche Schüler. Aber auf der anderen Seite, jeder dritte ostdeutsche hält Konrad Adenauer für einen DDR-Politiker. "

    Allerdings gibt es starke Unterschiede. Zwischen den einzelnen westlichen und zwischen den östlichen Bundesländern ebenso. So wissen die Bayern am besten über die DDR Bescheid. Dort wird sie in der Schule ausführlicher behandelt. Am schlechtesten schneidet im Westen Nordrhein-Westfalen ab. Es liegt weit weg und ist mittlerweile bevölkerungsreicher als die ehemalige DDR. Viele Schüler und Lehrer dort argumentieren: Warum sollen wir uns gerade mit der DDR beschäftigen. Sie begreifen das lediglich als Regionalgeschichte. Im Beitrittsgebiet weisen Brandenburgische und Ostberliner Schüler besondere Wissenslücken auf. Kein Wunder, meint Klaus Schroeder:

    "Es sind die gleichen Lehrer zumeist, die auch vorher unterrichtet haben, und denen fällt es sehr schwer, nun die Seiten zu wechseln, und selbst wenn sie sich geändert haben und heute das neue Gesellschaftssystem anerkennen, dann fällt es ihnen doch schwer, den Schülern zu erklären, wie sie sich damals verhalten haben, insofern hätte man mehr junge, neu ausgebildete Lehrer einstellen müssen, zumindest für die sensiblen Fächer."

    Während der Untersuchung waren die beiden Autoren immer wieder an Schulen in Ost und West. Dabei haben sie atmosphärische Unterschiede empfunden. Die Schulleitungen in den westdeutschen Schulen und in Westberlin nahmen sie als offener war. Im Osten und ganz besonders in Ostberlin sind sie dagegen häufig reglementiert worden. Das hat sich im Schulunterricht fortgesetzt, erinnert sich Autorin Monika Deutz-Schroeder:

    "Konkret sah das so aus, dass also gerade in Ostberliner Schulen die Lehrer eigentlich damit gerechnet hatten, dass wir kamen, und das vorbereitet haben, indem sie den Schülern gesagt haben, sie sollten sich besonders gut anstrengen, und wenn eben wir in anderen Klassen waren als vorgesehen war, merkten wir, dass doch etwas Unruhe von Seiten der Lehrer entstand und sie versucht haben, eben die Antworten der Schüler zu beeinflussen. "

    Und das, obwohl die Untersucher ihnen erklärten, dass es nicht um Kenntnisse, sondern vor allem um Meinungen gehe. Die beiden Autoren haben sich genauso für den Einfluss des Elternhauses interessiert. Und erfahren, dass da viele persönliche Kränkungen erlebt wurden. Diese tragen dazu bei, die DDR zu glorifizieren. Zusammen mit einer Retro-Welle aus Büchern und Filmen, die die DDR als schrulliges, aber doch ganz heimeliges Zerrbild darstellen. "Sonnenallee", "NVA" oder "Goodbye Lenin" waren meinungsprägend. Der Einfluss des kritischen Stasi-Films "Das Leben der Anderen" dagegen ist nicht mehr in die Untersuchung eingeflossen, weil die Datenerhebung beim Start des Films schon beendet war. Der Trend zur Glorifizierung der DDR hat Mitte der 90er Jahre angefangen. Just in dem Moment, als sich der Lebensstandart im Osten nicht mehr sprunghaft nach oben entwickelt hat. Die Autoren sehen einen unmittelbaren Zusammenhang. Und fordern Gegenmaßnahmen des Bildungssystems. Denn die Eltern können es nicht richten, meint Klaus Schroeder:

    " Ursache für die Verklärung oder Verharmlosung der DDR-Diktatur sind Milieu und Elternhaus, Familien, aber hier hätte die Schule gegen wirken müssen. Und das hat sie nicht getan. Insofern hat auch die Schule versagt, sie hätte den Schülern viel mehr Kenntnisse vermitteln müssen, Diskussionen vermitteln müssen, damit sie auch mit ihren Eltern diskutieren können, die Familien neigen, egal, ob in Ost- oder Westdeutschland, zu einer Verklärung der Vergangenheit. Hier haben die Schulen einen Bildungsauftrag, dem sie bisher nicht nachgekommen sind in Ostdeutschland. "

    Die beiden Autoren fordern die Bildungspolitiker vor allem in Ostdeutschland auf, der Zeitgeschichte und Aufklärung über die DDR in der Schule mehr Raum zu schenken. Die nächsten zwei Jahre stehen runde Jahrestage an. Zwanzig Jahre Fall der Mauer und zwanzig Jahre Wiedervereinigung. Hier könnte über Projektwochen sehr viel geschehen. So sollten beispielsweise Zeitzeugen eingeladen werden, um Geschichte von der Basis her zu vermitteln.

    " Also wir sollten diese beiden Jahre nutzen, um, wenn ich es positiv formuliere, Demokratie-Erziehung zu betreiben, und das ist gleichzeitig eine Ablehnung von Diktaturen jedweder Art. "