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Das DDR-Wirtschaftsimperium KoKo

Wirtschaftsstratege und Waffenhändler, Technologieschmuggler und Devisenbeschaffer: Alexander Schalck-Golodkowski, Chef des Sonderwirtschaftsbereichs Kommerzielle Koordinierung, hatte viele Gesichter. Der Wirtschaftshistoriker Matthias Judt stellt in seiner Studie Mythos und Realität gegenüber.

Von Thomas Moser | 24.06.2013
    "Das Bild, das von KoKo in der Öffentlichkeit vorherrschte, war, dass es also eher fragwürdige, illegale Geschäfte sind. Dass sie beteiligt sind am Handel mit Kunst und Antiquitäten, mit Waffen, an der Versorgung der Politbürosiedlung mit westlichen Erzeugnissen, mit dem Besorgen von Spionagetechnik für das MfS."

    Das Sensationelle und Skandalöse dominiert das Wissen über den Bereich Kommerzielle Koordinierung der untergegangenen DDR, kurz KoKo. Der Wirtschaftshistoriker Matthias Judt wollte tiefer hineinleuchten in diese Vergangenheit:

    "Was aber von Beginn an im Grunde genommen im Widerspruch zu den hohen Umsatz- und Gewinnzahlen für KoKo, die auch bekannt waren, stand. Das musste also auch mit rechten Dingen zugegangen sein. Und mich interessierte dann vor allen Dingen: Was ist das Normalgeschäft des Bereiches Kommerzielle Koordinierung, abseits der zweifellos fragwürdigen Geschäfte, die sie ja auch betrieben haben."

    Mit seiner Studie geht es Matthias Judt nicht darum, die zwielichtigen Geschäfte Alexander Schalck-Golodkowskis zu beschönigen, sondern eine differenzierte historische Gesamtschau und eine Einordnung in die Weltwirtschaft vorzunehmen.

    In Zeiten der außenpolitischen Isolation der DDR wurde KoKo 1966 als ein wirtschafts- und finanzpolitisches Instrument geschaffen, um im Westen, mitunter über Tarnfirmen, Embargogüter, Technologien und vor allem Devisen zu besorgen.

    Mit der internationalen Anerkennung der DDR in den 70er-Jahren normalisierten sich auch ihre Wirtschafts- und Handelsbeziehungen. KoKo brauchte man eigentlich nicht mehr und hätte sie auflösen können, so Judt.

    "Aber genau das Gegenteil passiert nun: KoKo hat eine immer größere Bedeutung in dem gesamten Außenhandel der DDR. Beim Einwerben von Krediten sind sie in der Pionierrolle."

    Warum? - KoKo hatte sich im Verkehr mit kapitalistischen Staaten und Unternehmen als Sonderinstrument mit Sonderrechten bewährt und etabliert. Sie verhielt sich international wie ein Global Player, betrieb eine "Politik des schnellen Geldes", wie Judt es ausdrückt, stand national über den formalen DDR-Gesetzen, wurde von der Einheitspartei kontrolliert und von der Staatssicherheit operativ abgesichert.

    KoKo war also nicht nur ein Instrument der DDR-Volkswirtschaft, sondern auch eines der SED-Schattenwirtschaft. Und letztendlich auch ein Instrument der SED-Herrschaftsausübung. Bestes Beispiel: die Freikaufgeschäfte mit DDR-Häftlingen. Über 30.000 Inhaftierte wurden ab den 60er-Jahren von der Bundesregierung gegen die Lieferung von Rohstoffen im Wert von über drei Milliarden D-Mark ausgelöst. Kein anderes Geschäft habe so viel Gewinn erbracht, weiß der DDR-Forscher. Die "Ware Häftling", die die SED verkaufte, hatte sie vorher selber produziert. KoKo wickelte die Freikaufgeschäfte ab und spielte damit eine wichtige Rolle innerhalb des Repressionsapparates.

    "Es ist eben natürlich ein Geschäft, wo nicht darüber geredet wird. Übrigens auch nicht in Westdeutschland darüber geredet wird. Es ist nicht im Interesse der Bundesregierung, dass darüber geredet wird, und auf der DDR-Seite gibt’s schon gar kein Interesse daran, darüber zu reden. Und da ist dann das Freikaufgeschäft das mit Abstand bedeutendste und wichtigste und einträglichste fragwürdige Geschäft, das KoKo gemacht hat."

    Interesse an KoKo-Deals hatten aber auch die westlichen Geschäftspartner. Auch für sie bewährte sich dieser Kanal. Zum Beispiel bei der sogenannten Gestattungsproduktion. Hunderte von Westfirmen stellten ihre Markenprodukte auch in den staatlichen Betrieben der DDR her: Salamander-Schuhe, Nivea-Creme, Varta-Batterien.

    "Wenn man in die Gestattungsproduktion geht, dann werden auch Erzeugnisse produziert, von denen man weiß, dass sie im Westen absetzbar sind. Also es ist ja nicht so, dass DDR-Schokolade auf einmal im Westen auf dem Markt aufgetreten ist. Also ein DDR-Produkt, eine DDR-Entwicklung, auch mit einer DDR-Marke, angeboten wird, sondern es wird ein Westprodukt, das in der DDR hergestellt ist, angeboten."

    Die sozialistische DDR wurde zur verlängerten, lukrativen Werkbank kapitalistischer Firmen - mit niedrigen Löhnen, fehlenden Gewerkschaften, Streikverbot.

    Eine der aufsehenerregendsten Operationen von KoKo war die Beschaffung von zwei Milliardenkrediten in den 80er-Jahren in der Bundesrepublik. Eingefädelt von Alexander Schalck-Golodkowski und - ausgerechnet - dem erklärten Antikommunisten Franz-Josef Strauß.

    "Im Moment der höchsten Verschuldung bekommt die DDR keinen weiteren Kredit. Sie war zu diesem Zeitpunkt längst schon dazu übergegangen, Kredite mit neuen Krediten zu bezahlen. Und wenn Sie dann im Grunde keinen Kredit mehr bekommen, kann das wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Und da kommt dann KoKo, managt die Kreditkrise und darin ist auch die eigentliche Bedeutung der Kredite zu sehen: Strauß ist sozusagen der Türöffner für die DDR. Sie kriegt danach auch Kredite von anderen Banken."

    Die beiden Milliardenkredite wurden unter der Kanzlerschaft Helmut Kohls gewährt. Es waren aber nicht die ersten. Der Wirtschaftshistoriker Judt erinnert daran, dass KoKo schon Anfang der 70er-Jahre über den Umweg einer Bank in Zürich Geld aus der Bundesrepublik beschaffte – beteiligt: die Landesbank von Rheinland-Pfalz, der Ministerpräsident hieß: Helmut Kohl.

    Für die Verschuldung der DDR macht Judt nicht zuletzt den Bereich Kommerzielle Koordinierung verantwortlich: Dessen Importgeschäfte überstiegen die Exporte der Planwirtschaft. Kurz: KoKo machte Miese. Judt ist so konsequent und wirft die finale Fragestellung auf: Geschah der Niedergang der DDR trotz KoKo oder vielleicht sogar wegen KoKo? Sein Urteil: Weil mehr Ressourcen für die Herstellung von Westprodukten verwendet wurden, verloren die eigenen DDR-Produkte an Güte und waren nicht mehr konkurrenzfähig.

    "Und insofern haben sie sich kräftig am wirtschaftlichen Niedergang der DDR beteiligt. Und dann heißt die Bilanz: KoKo war nicht gut für die DDR."

    Eine bemerkenswerte Analyse. - Was bleibt? Auch mit der Untersuchung von Matthias Judt sind noch immer nicht alle Lücken geschlossen. Es bleiben Fragen zur KoKo-Firma IMES, die Waffenhandel betrieb. Und es bleiben Fragen an die alte Bundesrepublik: Wie liefen die deutsch-deutschen Geschäfte aus Sicht der Westfirmen ab? Und auch zum Freikaufhandel: Die Unterlagen der Bundesregierung dazu bleiben verschlossen. Matthias Judt analysiert und beschreibt KoKo aus ihrer eigenen Perspektive, aus Ostsicht sozusagen. Die Westsicht fehlt bisher weitgehend. Dann wäre das KoKo-Porträt komplett.

    Matthias Judt: Der Bereich Kommerzielle Koordinierung.
    Das DDR-Wirtschaftsimperium des Alexander Schalck-Golodkowski. Mythos und Realität.
    Ch. Links Verlag, 304 Seiten, 29,90 Euro