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Das Debütalbum von Kelela
Über die Grenzen des R&B hinaus

Kelela aus L.A. gilt als neue große R'n'B-Hoffnung in den USA. Die Modewelt von Calvin Klein bis Louis Vutton hofiert sie auch schon, und Kollegen von Solange bis Gorillaz laden sie zu Feature-Auftritten ins Studio. Hält nun ihr Debütalbum, was der Hype verspricht?

Von Ann-Kathrin Mittelstraß | 30.09.2017
    Die US-amerikanische R&B Sängerin Kelela.
    Die US-amerikanische R&B-Sängerin Kelela (imago / ZUMA Press)
    2013 war da auf einmal dieses Mixtape: "Cut 4 Me". 13 eigenwillige Songs. Zärtlicher R'n'B-Gesang über teils düsteren Dance-Tracks. Als hätte man Aaliyah mit einer Horde Underground-Produzenten ins Studio gesteckt. Aber Aaliyah – einer der größten R'n'B-Stars der 90er - ist schon lange tot. Dieser Sound hier stammt von Kelela. Sie gilt seit diesem Mixtape als die große neue R'n'B-Hoffnung aus den USA. Aber von vorne:
    Kelela lebt in Los Angeles. Ihre Eltern stammen aus Äthiopien. Als Kind nahm ihre Mutter sie mit in die äthiopische Kirche, ihr Vater in Jazz-Clubs. Später sang Kelela selbst Jazz-Standards in Cafés. Dann probierte sie sich als Sängerin einer Indie-Band. Aber am Ende war es die elektronische Musik, die sie am meisten anzog. Über Myspace kam sie damals mit einigen Produzenten in Kontakt. Sie suchte sich Instrumentals und nahm ihren Gesang darüber auf. So kamen die ersten Gastauftritte auf Songs zustande. Und dann wurde Solange auf sie aufmerksam – die Schwester von Beyoncé. Sie nahm Kelela schon 2012 mit auf Tour - und im letzten Jahr auch auf ihre gefeierte Platte "A Seat at the Table".
    Entwicklung als Musikerin und Mensch
    Kelela ist kein junges R'n'B-Sternchen, das merkt man ihr und ihrer Musik an. Wenn jetzt im Oktober ihr Debütalbum rauskommt, wird sie Mitte 30 sein. Sie hat sich Zeit genommen, sich zu entwickeln, nicht nur als Musikerin: als Mensch. Als queere schwarze Frau. Im Soziologie-Studium hat sie die Werke afro-amerikanischer Feministinnen wie Angela Davis gelesen. Zu verstehen, wie die rassistische und sexistische Gesellschaft tickt, hat ihr geholfen, sich zu behaupten – im Leben und auch immer wieder in der Musik. Das spiegelt sich zwar nicht direkt in ihren Texten wider – hier geht es vor allem um Liebe und Beziehungen. Aber allein, dass sie jetzt kompromisslos diese Musik machen kann, geht auf ihre Erfahrung zurück.
    "Es war harte Arbeit – ich meine nicht nur die vielen Stunden, die ich in die Musik stecke, sondern allein sich das anzutun! Wenn ein weißer Typ ankommt und sagt, hey, ich hab da eine super Idee, ich weiß noch nicht genau, wie's klingen soll, aber es wird gut. Dann werden viele sagen, ja, klar, let's do it. Das wird großartig. Wenn du eine schwarze Frau bist, heißt es immer reflexartig: Weißt du wirklich, was du vor hast? Dass die Leute mal sagen würden: Ja, ich vertraue dir, dass das gut wird, wenn du es sagst – das passiert nicht. Ein Großteil meiner Arbeit bestand also darin, mir ein gewisses Selbstvertrauen aufzubauen, um sagen zu können: So machen wir's.
    Musik zum Tanzen und Sex haben
    Kelela weiß, wie sie klingen will. Als 2015 der Song "Rewind" erscheint, von ihrer EP "Hallucinogen", nimmt die New York Times ihn in eine Liste auf: "25 Songs, die uns zeigen, wo die Musik in Zukunft hingeht". Bei Kelela heißt das: Die Grenzen des R'n'B werden weiter aufgebrochen. Bei ihr finden sich sowohl Anleihen von Grime, dem schnellen, harten Elektro-Rap aus London, als auch Trap, dem langsamen drogigen Hip-Hop-Sound aus dem amerikanischen Süden.
    Kelela ist etwa zur selben Zeit in den Musikblogs hochgespült worden wie die Britin FKA Twigs, die auch für den "neuen", elektronischen R'n'B steht. Aber während FKA Twigs mit ihren dekonstruierten Sounds und ihrem gehauchten Gesang immer sehr ätherisch bleibt, ist Kelela allein durch ihre Stimme viel greifbarer. Und direkter: Das ist Musik zum Tanzen und Sex haben. Schwül und zärtlich, aber auch stark. Die Songs auf ihrem Album "Take Me Apart" sind zwar poppiger als zuletzt auf EP und Mixtape. Was aber nicht heißt, dass sie es einem einfach macht – oder machen will.
    "Wenn jemand zum ersten Mal mein Album hört, dann würde ich mir wünschen, dass die Musik gleichzeitig ankommt, aber auch fordert. Das merke ich bei mir selbst: Wenn ich beim ersten Mal Hören so empfinde, bin ich danach oft besessen von dieser Musik. Und diese Musik bleibt. Das gibt ihr Tiefe, weil sie dich nicht ganz befriedigt, aber dich auch nicht loslässt."