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Das Deutsche in der deutschen Kunst

1989, als der eiserne Vorhang aufging und damit die Teilung aufgehoben war, so dass die Deutschen wieder zusammenkamen, eine Nation zu werden - setzte, beinahe zeitgleich, die Globalisierung ein. Deren stark nivellierende Kräfte lassen seither abgeschirmten Nationen nur wenig Spielraum. Überdies begann sich die "junge" Nation rasch in der europäischen Gemeinschaft aufzulösen. Wo bleibt da das Deutsche, schien mancher, Identität suchend, zu fragen.

Von Krischan Schroth | 07.01.2005
    Entsprechend häufig taucht das Thema im kulturellen Bereich auf. Jörg Friedrich verwies in seinem Buch "Der Brand" darauf, dass im Bombenhagel des zweiten Weltkrieges ein Teil der historischen Identität ausgelöscht wurde. Das Deutsche Theater in Berlin widmet sich in dieser Spielzeit "Deutschen Stoffen", darunter: Kleists "Hermannsschlacht" und Müllers "Germania Tod in Berlin". Nun kommt noch ein Beitrag der Kunstgeschichte hinzu. "Das Deutsche in der deutschen Kunst" heißt die komplexe wie fundierte Untersuchung von Volker Gebhardt, der Kunstgeschichte am Warburg Institute in London studierte und einige Zeit Programmleiter bei DuMont war. Das faktenstarke, reich bebilderte Werk beleuchtet die deutsche Kunst der Karolingerzeit, der Romanik, der Gotik, des Barock, und der Romantik, sowie der Moderne des 20. Jh. und der Gegenwart.

    Um nicht im entfernten in den Ruch von Nationalismus oder sogar Nationalsozialismus und dessen gewaltsamen Kunstauslegungen zu geraten, entschied sich der 1962 geborene Autor für eine dezidiert analytische Sichtweise, die vor allem die Kunstwerke untereinander in Bezug setzt. Die Formgeschichte wird eingebettet in historische Zusammenhänge. Damit sind bestimmte Bereiche klar ausgeklammert. Begriffe wie: Landschaft, Geist, Volk, Klima oder Sprache erreichen uns nur über das Zitat von Kunstwissenschaftlern, die bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein wirkten, etwa Georg Dehio (1850-1932) und Wilhelm Pinder (1878-1947). Wo sie für Gebhardt erhellendes zum Thema beizutragen haben werden sie eingeflochten oder angeführt, um sich von ihnen abzusetzen.

    Doch was ist nun Deutsch in der deutschen Kunst? Diese Frage fällt bei Gebhardt in zwei Hauptstränge auseinander: Erstens - gibt es spezifisch deutsche Traditionen in Deutschland beziehungsweise dem Heiligen Römischen Reich? Und zweitens - gibt es spezifisch Deutsches in der deutschen Kunst, das sich in erster Linie durch eine Stilisierung des Deutschen ergibt?

    Für Gebhardt ist die ottonische Kunst "frühester Eigenbeitrag deutscher Kunstgeschichte". Sieht er doch in den Buchmalereien, welche er überaus anschaulich beschreibt, erste Ansätze für eine deutsche Kunsttradition. Bei dem Widmungsblatt eines Evangeliars, das um 1000 für Otto III. hergestellt wurde, ihn selbst nebst Klerus und Adel zeigend, fällt folgendes auf: Obwohl dem Blatt zwar die räumliche Bildtiefe fehlt, sind die noch schematischen Figuren stark gestisch ins Bild gesetzt. So dass expressionistische Bildhauer später darauf zurückkamen:

    In einem denkwürdig kurzen, nur etwa fünfzig Jahre dauernden Zeitraum schufen die ottonischen Buchmaler eine Bildsprache, die die deutsche Kunst in ihren entscheidenden Anfängen zwischen den Polen Abstraktion und linearer Expression zeigt, die aber genauso zu den heute unbestrittenen Höhepunkten europäischer Kunst zählt.

    Und auf die ottonische Skulptur bezogen fügt Gebhardt hinzu:

    In Gründungswerken der Bildkunst schlugen die Künstler damit ein drittes großes Thema deutscher Kunst an, das über die Jahrhunderte erstaunlich oft wieder begegnen wird: die Darstellung von Charakteren und menschlicher, individuell erfasster Physiognomien und Reaktionsweisen.

    Abstraktion, Expression und Realismus sind die drei Begriffe, deren sich der vorsichtig tastende Wissenschaftler bedient, geht es um deutsche Kunst. Und es ließe sich beinahe ein viertes Charakteristikum hinzufügen, das Geflecht. Gebhardt stellt diese Form immer prägnant heraus, ohne sie jedoch dezidiert als der deutschen Kunst eigen zuzuweisen. Das liegt sicher auch an der unterschiedlichen Herkunft der Geschlinge. Die vegetabilen Linien, welche die ottonische Kunst umrankten, waren Relikte der Völkerwanderungszeit, germanische Flechtornamente. Bei der Gotik kann man eine Übersteigerung von Formen aus Frankreich vermuten - die deutsche Kunst ist ja ohne den Stilimport aus Frankreich und Italien undenkbar. Und so konstatiert Gebhardt, fast erstaunt, für die Spätgotik:

    Die Natur drang von allen Seiten in die Architektur ein. Die Baumeister schlossen Kirchen mit Schlinggewölben, die sich zu pflanzlichen Schmuckformen ergänzten. Im Ingolstädter Liebfrauenmünster überwölbte man die Seitenkapellen mit komplizierten, freischwebenden Luftrippen aus Astwerk.

    Dieser Art…

    …ergibt sich das merkwürdige Bild von Kirchenräumen, die förmlich zuwucherten.
    Das Geflecht fehlt auch in der Renaissance nicht. Albrecht Altdorfers Bilder sind von Wäldern zugewuchert, welche überdies mit Flechten behangen sind. Gebhardt hat für dieses Geflecht eine einleuchtende Erklärung, die aber zugleich zeigt, wo seine Untersuchung die Grenzen setzt. Da im 16. Jahrhundert der deutsche Wald wegen des aufstrebenden Bergbaus stark abgeholzt wurde, könne man in Altdorfers Bildern eine frühe Mythologisierung des Waldes sehen. Altdorfers Wald hätte der unberührte, urwüchsige Wald der "Germania" von Tacitus Pate gestanden. In den Werken der Renaissancekünstler kommt damit schon die Metaebene Deutschsein vor. Gespeist durch ein aufkeimendes Nationalgefühl. Man arbeitet nicht mehr nur "unbewusst" aus deutschen Traditionen heraus, man exponiert jetzt noch das Deutsche selbst als wesentliches Element des Kunstwerkes. Es tritt eine Romantisierung des Deutschen hinzu, wofür exemplarisch Caspar David Friedrich steht. Der Verweis auf Tacitus hat seine volle Berechtigung. Doch wäre hinzuzufügen, dass die Natur im 16. Jahrhundert noch derart mühevoll zu unterwerfen war (mit Axt und Säge), dass sie, als stetig wuchernde Bedrohung der Kultur, eine Lebenswirklichkeit Altdorfers darstellte, die es lohnte festgehalten zu werden.

    Seit der Renaissance bildete sich demnach ein kompliziertes Netz von Rückbezügen auf Formen und Motive, das bis in die Moderne reicht. Nicht zuletzt sind Anleihen der Expressionisten an altdeutsche Meister zu nennen. Dürers Druckgrafik hatte Einfluss auf Kirchners Holzschnitte, Grünewalds "Farbensturm" des Isenheimer Altars auf die Farbwahl bei Dix’ Bildern, die den ersten Weltkrieg abarbeiteten. Nur müsste man sich bei Dix auch wieder (man erinnere sich an Altdorfer) fragen, ob diese unheimlichen Farbtöne nicht ebenso gut Erfahrungswerten entsprechen könnten. Da Gebhardt vor allem der Form- und Motivgeschichte verhaftet bleibt.

    Max Beckmann, wie Dix Kriegsteilnehmer, schilderte exemplarisch die Fronterlebnisse: "Ungeheure brandgelbe Sprengtrichter, darüber der fahlviolette, heiße Himmel und die kalt rosafarben skelettierte Kirche eines Dorfes". Die Farben in Beckmanns oder Dix’ Bildern können also sowohl aus den Kriegslandschaften eingeströmt sein, als auch von Grünewalds Altar herrühren. So macht Gebhardts Studie einmal mehr deutlich, wie schwer es auseinander zu halten ist, ob ein Motiv, eine Farbwahl der eigenen Erfahrung oder einem fremden Kunstwerk zuzuordnen ist - beziehungsweise beides kunstvoll verwoben wurde.