Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Das Deutsche ist nie ein reines Deutsch gewesen"

Sprache, könnte man sagen, ist ein Fußabdruck menschlichen Denkens und Handelns; und so wie Paläontologen aus den versteinerten Fußspuren das Bild der ersten Menschen zu rekonstruieren suchen, so zeichnet der Sprachkritiker, der den Wortgebrauch in der Gegenwart untersucht, ein Bild vom kulturellen Zustand seiner Zeitgenossen.

Von Jochen Rack | 07.03.2006
    Dieter E. Zimmers "Beobachtungen am Deutsch der Gegenwart" geben in diesem Sinn Auskunft über die gesellschaftlichen Einflüsse, denen die Deutschen in den letzten Jahren ausgesetzt waren. Der Autor präsentiert seine Einsichten in der Form der Glosse, die kein Genre distanzierter Analyse ist, sondern eine polemisch-kritische Form, die den Deutsch-Sprechern einen Spiegel vorhält, in dem sie sich selber erkennen sollen. Sein Buch wolle "nicht schulmeistern", schreibt Dieter E. Zimmer im Vorwort, sondern "das Sprachbewusstsein trainieren", indem er "typische Ausdrücke und Ausdrucksweisen" unter die Lupe nimmt. "Wortlupe" ist daher ein schöner Titel für die Sammlung der 111 Glossen, die Sprachbeispiele aus den Jahren 1999 bis 2006 aufspießen. Unter Zimmers Vergrößerungsglas zeigt sich, "dass manche Ausdrücke nicht so unschuldig sind, wie sie tun, dass ein Wort beschönigen, verbrämen, vertuschen, denunzieren, in die Irre führen, uns für dumm verkaufen oder schlicht lügen kann".

    " In diesen letzten zwanzig, dreißig Jahren hat ein Sprachwandel stattgefunden, ein sehr sehr deutlicher, ich glaube sogar, es ist der größte Sprachwandel in der kürzesten Zeit, den die deutsche Sprache jemals durchgemacht hat, und dieser Sprachwandel, wenn man einzelne Einflussfaktoren nennen soll, würde ich sagen: Die Hauptsache war, was man unter dem Begriff Globalisierung zusammenfassen kann, also eine Internationalisierung, eine Globalisierung mit sehr intensiven Sprachkontakten, nicht nur zum Englischen, sondern zu dem, was international gesprochen wird und eine allmähliche, aber sichere und starke Angleichung des Deutschen, sowohl des Wortschatzes wie auch sozusagen des Begriffsschatzes des Deutschen an das Internationale, was vorwiegend aber nicht nur das Englische ist. "

    In einer Medienkultur, die unter Bedingungen der Globalisierung, ihren Umsatz an sprachlicher Kommunikation zu einem Schwindel erregenden Tempo gesteigert hat, ist die Sprache einem rasanten Wandel unterworfen. Da diese Welt unter der Dominanz der amerikanischen Kultur steht, wundert es nicht, dass die Anglizismen eine ungeheure Konjunktur erleben. Ja, man könnte geradezu von einer Kolonialisierung des Deutschen durch das Englische sprechen. Nicht wenige der Sprachglossen in Zimmers Wortlupe widmen sich daher dem, was der Autor auch "Denglisch" oder "Globalesisch" nennt.

    " Die Anglisierung des deutschen Schatzes an Redensarten ist ein eigenes Thema. Es gibt bei den Importen aus dem Englischen solche, die sind rundheraus Englisch und bleiben es: Wer "no problem" sagt, hat eine englische Redensart importiert. Aber es gibt dann eine andere heimlichere und leisere Art des Imports von Wörtern und auch von Redensarten, die überhaupt nicht als Englisch auffällt, weil es total Deutsch zu sein scheint. Früher sagte man für "once more" auf Deutsch ausschließlich und immer "noch einmal". "Noch einmal" findet man in den Medien heute so gut wie überhaupt nicht mehr. Was gesagt wird, ist "einmal mehr". Früher sagte man "eine Woche lang", heute sagt man "für eine Woche". Früher sagte man "das ergibt keinen Sinn", heute sagt man "das macht keinen Sinn". "Das ist kein Unterschied" heute: "Das macht keinen Unterschied." - Bis zu krasseren Anglizismen, "ich vermisse dich" statt "du fehlst mir" und dergleichen. "

    Aber was ist eigentlich schlimm an der maelstromartigen Vermischung der Sprachen? Haben nicht Avantgardisten der Literatur wie James Joyce und Arno Schmidt an einer mehrwertigen, vielfach konnotierten, palimpsestartigen Sprache gearbeitet, die einen Überschuss an Bedeutung und sprachlicher Entgrenzung bietet? Und ist die Grenzüberschreitung des Sprachlichen, - oder wie Adorno es einmal genannt hat: die Exogamie der Sprache, also ihre Neigung, in die Fremde zu heiraten - ist die Vermischung und Dissemination der Sprachen nicht schon ein altbekanntes Phänomen, etwa wenn man an den Einfluss des Französischen auf das Deutsche im 18. Jahrhundert denkt? Oder wenn man sich an die Mulilingualität eines barocken Autors wie Johann Gottfried Schnabel erinnert, der in seinem Roman "Insel Felsenburg" das Deutsche mit dem Lateinischen, Englischen und Französischen zu einem wunderbaren Stil verschmolzen hat? Was ist der ästhetische Maßstab, mit der Zimmer die Sprache unter die Lupe genommen hat?

    " Ich bin ja gegenüber diesen ganzen Importen überaus lax, das würde mir ja jeder Sprachkritiker übel nehmen. Mit dem Verein "Deutscher Sprache" habe ich nichts zu tun, und diese Eindeutschung, die da ständig vorgeschlagen werden, finde ich zum größten Teil albern, hoffungslos, weil sich doch niemand daran kehren, und teilweise auch einfach falsch, weil der Sinn des englischen Wortes nicht mit dem Sinn des entsprechenden deutschen Worts deckt. Ein "kid" ist in der Tat etwas anderes als ein "Kind", das kann man nicht gegeneinander austauschen; ich glaube also, dass die Sprache durch den Import von Fremdsprache bereichert wird, dass sie gewinnt, und das möchte ich nicht missen. Das Deutsche ist nie ein reines Deutsch gewesen, so etwas wie ein reines Deutsch hat es noch nie gegeben. Jede Sprache, die im Kontakt mit andern Sprachen steht, nimmt Fremdes auf und gibt Eigenes an das Fremde ab, das Lateinische, das Griechische, dann später das Italienische, dann das Französische, das fast ein ganzes Jahrhundert lang stark präsent war im Deutschen, das alles hat es gegeben, vieles ist davon übrig geblieben und ist heute Teil der deutschen Sprache und lässt sich aus der überhaupt nicht mehr wegdenken.

    Im Prinzip nichts anderes ereignet sich heute mit dem Englischen, nur es geht sehr schnell, es wird sehr allgemein, und es irritiert das Sprachgefühl, die Sprachintuition, auf die wir alle angewiesen sind.

    Die wirkliche Alarmglocke geht bei mir, wenn die Sprachimporte angreifen und verunsichern, das Deutsche als System, die Wort- und die Satzgrammatik des Deutschen. Diese ganzen Renovierungen im Wortschatz ist etwas Oberflächliches, die Wörter kommen und gehen, aber ernst wird die Sache, wenn nicht mehr feststeht, welches eigentlich die Spielregeln sind, die im Deutschen gelten sollen. Es hat angefangen zum Beispiel im Bereich der Adjektive, wo viele Formen eindringen nach dem Vorbild des Englischen, wo das Adjektiv unflektiert gelassen wird: etwa nachgestellt "Kultur kompakt" und "Zirkus total" und "Wodka absolut" usw. Das ist etwas, das unter dem Einfluss des Englischen sich ausbreitet.

    Manchmal wandern diese unflektierten nachgestellten Adjektive schon nach vorne, das kommt auch einer Verlegenheit des Deutschen entgegen. Wenn diese Adjektive nach vorne gestellt werden, kommt das Deutsche als System in Schwierigkeiten, Diese Schwierigkeiten hat es, wenn irgendein Substantiv nicht attributiv, sondern prädikativ gebraucht wird, was wir sehr gerne tun: "Diese Aufführung war Klasse", das "Essen war Mist" usw. Im prädikativen Gebrauch steht es unflektiert gut. Was macht man damit, wenn man es nach vorne holt? "Eine klasse Aufführung", "ein klasser Film"? Ein "Spitzenkonzert" oder ein "spitze Konzert"? Das finden Sie alles, und ich glaube an dieser Stelle, geht in der Tat dem Deutschen die Sicherheit in der Behandlung von Adjektiven verloren. "

    Ein anderes Thema für einen Sprachkritiker des Deutschen sind die Schatten der nationalsozialistischen Geschichte über der Sprache. Natürlich ist das in diesem Sinn ideologiekritische Abhorchen der deutschen Sprache für die Aufarbeitung der Vergangenheit wichtig gewesen, aber es führt zuweilen zu einer politischen Korrektheit, die ans Absurde grenzt, wenn man etwa an die Diskussion des Begriffs "Heuschrecke" denkt, die Franz Münteferings Bemerkung über die Hedge-Fonds auslöste:

    " Ich hab mich darüber geärgert, wie die Sache damals in den Medien behandelt worden ist. Das, was Müntefering sachlich sagen wollte, ist ein Thema, das jeder aufbringen kann, das sogar diskutiert werden muss, nämlich ob die internationalen anonymen Kapitalbewegungen der produzierenden Wirtschaft immer gut tun. Das ist aber nicht diskutiert worden, weil alle Welt sich auf der Stelle auf Münteferings Vergleich "Heuschrecken" gestürzt hat, und schon am nächsten Morgen konnte man im Radio hören, da hat er Menschen mit Tieren verglichen, das war zum letzten Mal bei den Nazis so…

    Und die Insinuation war, Müntefering ist ein Nazi, ich fand, das ging zu weit. Müntefering hat überhaupt nicht von Menschen gesprochen, die wie immer behandelt werden sollen, sondern er hat ausdrücklichst von anonymen Kapitalbewegungen gesprochen, und er hat es in einen volkstümlichen, aus der Bibel stammenden Vergleich gehüllt. Also wenn ich sage: "Sie ist eine Ziege" oder "sie ist eine Adlerin", dann habe ich auch einen alten Tiervergleich gebraucht, aber ich habe Menschen damit nicht Tieren gleich gesetzt oder gar zur Ausrottung dieser Menschen aufgerufen, diese Konsequenz finde ich unhaltbar, ich finde sie gefährlich und ich finde sie lächerlich. Und gefährlich finde ich sie, weil die Diskussion um das Wort "Heuschrecke" war, das angebrachte war, die nötige Diskussion um das Thema verhindert hat. "

    Dieter E. Zimmers "Wortlupe" lehrt das genaue Hinsehen auf sprachliche Gewohnheiten und Neuerungen. Die 111 Fußabdrücke der deutschen Gegenwartssprache, die er untersucht, ergeben in der Summe ein Bild einer Sprachgemeinschaft, die sich im rasanten gesellschaftlichen Wandel befindet. Mit Zimmers Hilfe lernt man einen Schritt zurückzutreten, um zu sehen, wohin der Weg der Veränderung führt. Sprachkritik erweist sich als Medium der Aufklärung im striktesten Sinn.