Archiv


Das Digitale Logbuch: AOL lässt die Hüllen fallen

Auf manche Medien ist Verlass. Der Playboy zeigt seit 50 Jahren "alles, was Männern Spaß macht". Auch auf seiner viel jüngeren Webseite. Genauso wie die nackte Frau auf der Titelseite der Bildzeitung sich online spiegelt und dort "Das Girl von Seite 1" heißt. Auch bei Fernsehsendern des Kalibers RTL setzt sich online konsequent fort, was schon immer war: Nach seinem busenreichen Start Mitte der 80er Jahre heute jeden Tag neu online: "Gesucht – die schärfste Filmheldin." "Schaumbad – Wer seift mich ein?" Ohne Print- oder Fernsehvergangenheiten - sozusagen online - geboren ist T -Online. Aber auch bei den so genannten neuen Medien herrscht Traditionsverbundenheit: Der Vorgängerdienst von T-Online war der Bildschirmtext Btx, womit man zwar Banküberweisungen tätigen konnte, aber vor allem schön pixelige nackte Frauen ansah. Heut zu Tage grüßt die Webseite von T-Online mit Tipps wie "So werden Fotos richtig scharf" und "Hände hoch und Hosen runter".

Von Maximilian Schönherr |
    Nur einer ist hier inkonsequent: AOL. America Online startete als The Source schon 1978, war dann Wiege von Querdenkern, Bollwerk gegen Macht und Dummheit und das Microsoft-Imperium. Wer Bild las oder T-Online-Kunde war, galt als blöd, reaktionär, langweilig. Dann wuchs AOL und wuchs und wuchs. Die Themen der Netzkultur wanderten nach hinten, Chats kamen nach vorn. Dann, 2001 verschluckte sich AOL an dem Filmriesen Time Warner. Mit 33 Millionen Mitgliedern und 26 Milliarden US-Dollar Schulden ging es rasant bergab. Was machen wir da? Back to the Roots – wieder klein und fein werden? Nein. Seit einigen Monaten lässt AOL zunehmend die Hüllen fallen. Redaktionsintern heißt das: "Ausbau des erotischen Contents". Aus dem einstmaligen "AOL unterstützt die Meinungsfreiheit im Internet" wird die "zuckersüße Lola", mit der die AOL-User "flirten können bis die Leitung glüht". Und zwar nicht irgendwo weit hinten in einem von tausend Nutzer-Foren, sondern auf der Leitseite, die sich jeder, der AOL nutzt, ansehen muss.

    Tagsüber sind die Models noch angezogen, abends startet das "AOL-Nachtprogramm, Erotik für Kenner. Fotogalerie: Jede Menge heiße Girls. Privat: AOL-Mitglieder zeigen Haut. Video: Strip-Clips zum Träumen. Strip Poker: Sexy Games. AOL-Shopping: Sexy Stringtangas. Das Wetter. Geisel geköpft. Unser freizügiges Heute-Girl". Der Pressesprecher von AOL Deutschland wundert sich über die Nachfrage, wie das mit der Vergangenheit zusammenpasst. Denn er kann sich gar nicht erinnern, dass das mal anders war. Kein Wunder, er ist noch nicht lange dabei. Und hat sein Handwerk gelernt beim Playboy. Der ja seit 50 Jahren all das zeigt, was wirklich wichtig ist.