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Das Digitale Logbuch: Ausgeebayt

Keine Ahnung, wie gut die beiden New Economy-Riesen heute noch verdienen, Amazon und Ebay. Um ihre Chefin beziehungsweise den Chef muss ich mir schon seit lange keine Sorgen mehr machen.

Von Maximilian Schönherr | 28.10.2006
    Ich hatte immer Mitgefühl, wenn einer mit einem tollen Dotcom-Plan im Tecdax oder Nasdaq hochstieg wie eine Rakete und verglühte und in U-Haft landete wie eine Sternschnuppe, die natürlich nie in U-Haft landet, anders als all diese Zocker mit ihren windigen Ideen, mit denen ich nie auch nur einen Funken von Mitgefühl hatte.

    Bücher im Internet zu kaufen, war eine gute, dauerhafte Dotcom-Idee. Besonders in buchmäßigen Entwicklungsländern. Bestell mal ohne Amazon ein Buch in einem der Shopping Malls von Austin Texas. "Kommen Sie in drei Wochen wieder!" Was hab’ ich bei Amazon für fette schwere Bücher aus Frankreich und England bestellt, die dann prompt und portofrei vor meinem alten europäischen Scheunentor landeten! Was hab ich bei Ebay versteigert und ersteigert, mit Herzrasen in den jeweils letzten Sekunden. Gebrauchte Skistiefel, die Auto Motor & Sport vom September 1954 und diesen miesen Sofortkauf-mp3-Player, nur noch 233 Stück verfügbar, bei diesem idiotischen "Powerseller".

    Das ging nicht alles mehr oder weniger gut – das war schon ziemlich toll! Bis dann dieser Freitag kam, als ein Kollege von mir das Firmengelände verließ, einfach so. Ich hatte den Kollegen länger nicht gesehen, aber normalerweise trug er immer unterm Arm irgendwelche Abfälle von der Asbestsanierung. Plastikrohre, Klemmen, Schellen, Kabelbäume: "Mein Ebay-Kupfer", pflegte er zu sagen. An jenem Freitag kam der Kollege einfach so aus dem Haus, im T-Shirt, nichts unter dem Arm. "Kein Ebay-Kupfer heute?" rief ich ihm zu. "Man kann doch nicht sein Leben lang zur Post rennen und Bewertungen einstecken!" rief er zurück, stieg in seinen leeren Kombi und fuhr ins Wochenende.

    Ich ging nach Hause und dachte an meinen Keller mit den Marmeladen. Es gab nichts mehr zu versteigern. Ich dachte an mein prall gefülltes Bücherregal. Es gab kein fettes schweres Buch mehr online zu kaufen. Alles war da. Mir fiel nichts mehr ein. Wirklich nichts. Ich war offenbar am Ende dieses Wegs angelangt, genauso wie mein Kollege aus der Firma, genau wie wir alle. Vielleicht schau’n wir im nächsten Jahr mal wieder kurz bei Amazon oder Ebay vorbei. Ansonsten, danke, es war schön mit Euch beiden!