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Das Digitale Logbuch: Digitale Wahrheiten

Ist schon einfacher geworden, die Knipserei. Früher, da hat der Fotograf ja richtig denken müssen, bevor er den Auslöser gedrückt hat. Und deswegen ist einem auch so manche Peinlichkeit erspart geblieben. Beispielsweise das Konfirmandenfoto im strahlend weißen Hemd, vor der frisch gekalkten Hauswand. Durch unzähligen Tantenhände drohte es zu wandern. Und jede der Tanten hätte angemerkt, dass man in dem schönen Anzug doch schon aussieht wie ein richtiger Mann. Schauderhaft! Aber die Gnade eines zu großen Kontrastumfangs in Verbindung mit jener der zu kleinen väterlichen Fotografierkenntnisse hat sich ja wie ein dunkler Schleier über das verlegene Gesicht des Fotografierten gelegt.

Von Achim Killer |
    Unterbelichtet! Heute mit einer Digitalkamera wäre es kein Problem, das Gesicht des Verschämten doch noch ans grelle Licht zu zerren und das Bild nachträglich aufzuhellen. Und noch ganz andere Sachen macht man heute mit Fotos. Mit denen von Politikern. Vom Stoiber beispielsweise. Dieser missglückten Inkarnation bayerisch-barocker Lebensfreude. Auf den Plakaten sieht der immer aus wie ein Spezl und wird gewählt. Oder die Merkel. Die Angela. Wie kriegt man die so hin, dass die JU im Wahlkampf Angie spielen kann? Angie, I still love you, baby, everywhere I look I see your eyes. Ist schwierig. Sehr schwierig. Aber der Grafiker weiß: Weichzeichnungsfilter, und zwar das ganz große Kaliber. Und dann unser Bundespräsident, der sagt, dass wenn die Sachsen Neonazis wählen, dass das "ein Signal der Bürger in einer lebhaften, lebendigen Demokratie" sei. Auch der bekommt die Aura staatsmännischer Weisheit halt im Post-Production-Prozess.

    Oder der Bundeskanzler, der braucht für’s Wahlkampffoto gelegentlich Bürger, denen er die Sache mit den dringend notwendigen Reformen erklären kann. Weil das aber bald wirklich niemand mehr hören kann, hilft es ihm doch sehr, dass man die Leute ja auch nachträglich ins Bild setzen kann, die Oma, die glücklich ist, dass man ihr die Rente zusammengestrichen hat, und den Arbeitslosen, der unbedingt gefordert werden will. Ach ja, die Konfirmandenfotos damals. So peinlich waren die eigentlich auch wieder nicht.