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Das Digitale Logbuch: Jagen und sammeln

Die Menschen sind Jäger und Sammler. Während die Männer, mit kleinen Lendenschürzen ausgestattet, im Wald die Wildschweine jagen, sammeln die Frauen zu Hause vor ihren Höhlen die Nüsse, die von den Bäumen fallen. Kommen die Männer ermattet von der Jagd nach Hause, jammern ihnen die Frauen vor, dass ganz oben die leckersten Nüsse sind, die sie nicht sammeln können, weil sie, die Frauen, so klein sind und nicht an sie herankommen. Da nehmen die Männer Pfeil und Bogen und schießen jede Nuss einzeln herunter.

Von Maximilian Schönherr |
    So blieb das ungefähr bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Dann kam die Frauenbewegung und sagte: "Die Jagd ist schlecht, sie ist menschlich, moralisch, gesellschaftlich verwerflich; Tiere kommen dabei sinnlos um, Frauen werden geschändet, und das in einer Zeit, wo die Schweinefilets und die Nüsse in den Regalen der Supermärkte liegen und jeder sie sich leisten kann." Also, sagte die Frauenbewegung den Männern, die keine Bewegung hatten: "Schluss mit Jagen. Geht, wenn ihr wollt, von uns aus auch sammeln, oder bleibt, wo der Pfeffer wächst."

    Die Jäger wussten nie, wo der Pfeffer wächst, also gingen sie, verschmäht, ja, entjagt von den Frauen, wie sie nun einmal waren, eben sammeln. Sie sammelten das, was man damals so sammelte: Briefmarken in Briefmarkenalben und Telefonnummern, Adressen, Geburtstage in kleinen Notizheften, die sie schnell wegsteckten, wenn eine Frau in der Nähe war. Die Frauen hatten inzwischen das Interesse am Sammeln verloren. Sie tratschten und zickten lieber, und wenn sie mal lustig drauf waren, bekamen sie ein Retrogefühl und ließen sich von einem ihrer vielen Jungs auf der Kirmes eine Plastikblume schießen. Das war übrig geblieben von der guten alten Jagd.

    Der für beide Seiten nicht ganz glückliche Zustand änderte sich Ende des letzten Jahrtausends, als ein SPD-Innenminister – ein Leitbild, ein Leithengst sozusagen – verschärften Appetit aufs Jagen entwickelte. Er verspürte große Lust, zu jagen. Aber es gab keine Wildschweine mehr zu jagen, also machte er eine Jagd aus dem, was er vorher ganz im Stillen gesammelt hatte: Daten. Er jagte Daten. Sein Nachfolger im Amt des Innenministers, ein besonders stiller Jäger, setzte diese Jagd fort und jagte vielerorts sogar nach Daten, die gar nicht da waren. Wenn er Daten sah, rief er vom Pferd herab: "Freeze, alle Daten bleiben wo sie sind." "Wie lange?" fragten die Daten zitternd. "So lange, bis wir die Terroristen zu Ende gejagt haben!"

    Es müssen die Frauen gewesen sein, die, früher frauenbewegt, jetzt höchste Richterinnen, den Männern in höchst richterlichen Beschlüssen sagten: "Schluss jetzt mit dem ganzen Unsinn. Jagt wieder in Euren Wäldern." Weil aber die Wälder alle abgeholzt sind, sieht man jetzt ehemalige Jäger still auf den Baumstümpfen herumsitzen und still in ihr Kalenderbüchlein Herzchen kritzeln.