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Das Digitale Logbuch: Vergoogelt

Wenn Ihre Tochter "Tata" zu jedem Baum sagt, darf sie das weiter sagen. Aber eine Linde und eine Buche heißen deswegen noch lange nicht Tata, auch wenn Ihre Tochter Tata dazu sagt. Es gehört mehr dazu, bis ein neues Wort in die Sprache findet. Es gehört Google dazu.

Von Maximilian Schönherr |
    Ein Freund erzählte mir in einem Café, dass er gerade einen Text schrieb, der so gut dahin floss, sich quasi von selbst schrieb, bis auf einmal etwas aus ihm herausschrieb, wo er inne hielt: der Ausdruck "ein Rätsel lüften". Während er die drei Worte "ein Rätsel lüften" schrieb, dachte er, mit dem Ausdruck "ein Rätsel lüften" stimmt etwas nicht. Weißt du, ungefähr so wie mit "Alle meine Entchen schwimmen auf dem Klee" etwas nicht stimmt, wenn auch nur etwas ganz Kleines.

    Um die Unsicherheit zu, ja, lüften, befragte er Google. Und das Orakel sprach also: ‚Kannst beruhigt sein. "Ein Rätsel lüften" gibt es, und zwar nicht zwei- oder dreimal als Tippfehler, sondern 120.000 Mal.’

    Ich sagte: 120.000 Mal, dann muss es ja stimmen. "Ein Rätsel lüften" kommt mir völlig okay vor. Auch der Mann am linken Nachbartisch nickte: "Ein Rätsel lüften" passiere ihm dauernd, er habe erst heute mehrere "Rätsel hintereinander gelüftet".

    Es musste eine Frau her, die rechts von uns saß, um das Rätsel unserer Unsicherheit endgültig zu lüften. Sie klärte kurz und bündig auf: Nur Geheimnisse kann man lüften, sozusagen die Decke heben und Luft reinlassen. Rätsel dagegen werden gelöst, wie Knoten, meine Herren.

    Ja, und die 120.000 Einträge? zum Beispiel beim Spiegel, wo "Forscher das Rätsel des Vogelgesangs lüfteten", oder beim Deutschen Schmerzkongress, der mit neuen Tests "die Rätsel um das Restless-Legs-Syndrom lüftete"; sogar die Archäologen des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe "lüfteten" schon Rätsel, nämlich das "um die Herkunft der Frauen".

    Natürlich sagt das alles überhaupt nichts aus. Die Frau in den Café hatte völlig recht, von Beruf Hotelkauffrau, während wir Männer des Texts uns um Kopf und Kragen redeten. Sie musste uns gar nicht vorhalten, wie wir die Sprache mit unseren Formulierungen aufweichten und diese Unschärfen mit einer pseudowissenschaftlichen Vergoogelung auch noch beweisfest machten. Wir wussten es selbst.

    "Tata" ist übrigens ein Auto, ein indisches, und keine Linde. 40 Millionen Einträge.