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Das Digitale Logbuch: Video-Handys

Mobiltelefone sind diese netten High-Tech-Teile mit den lieblichen Klingeltönchen. Gefertigt aus handschmeichlerischem Kunststoff und Metall, ausgestattet mit lauter netten Knöpfchen, eingepackt Winters wie Sommers in lauschigen Täschchen, selbst gehäkelt oder in China produziert.

Von Maximilian Schönherr | 06.01.2007
    Jetzt mit dieser netten Kamera, die Fotos aufnimmt, von Jan-Peter mit diesem irrsinnig netten Cowboyhut. Und Filmchen vom Baby beim ersten Stillen. Was haben wir gelacht, geschmunzelt, gekichert über die schönen Geräte und ihre netten "Features".

    Und jetzt, kurz vor Neujahr, bricht ein irakischer Henker einem Ex-Henker namens Saddam Hussein das Genick. Einer der zahlreichen Zuschauer stellt sich in prima Position schräg unter das Schafott, hält seine Handykamera drauf und stellt das Zwei-Minuten-Filmchen ins Netz. Das irakische Staatsfernsehen hat Saddam Hussein bis zum Anlegen der Schlinge offiziell gefilmt, dann reißt der Film ab.

    Jetzt aber, mit diesem schnuckeligen Handy von BenQ, Motorola, Nokia oder welcher Hightech-Schmiede auch immer, die entscheidende Szene, unplugged. Was hat das wohl für einen süßen Klingelton? Lustige Schwenks und am Ende, nach dem Fall des schweren Körpers vom Galgen, schnell vor zu dem frisch toten Schädel, dessen Augen noch geöffnet sind. Eine Weltpremiere, dieser Clip, der die letzte Minute vor und erste Minute nach der Hinrichtung eines Menschen zeigt, nahtlos, rau, ungeschnitten. Auf der 4- oder 8-Bit-Tonspur geht es zu wie auf einer Party.

    Die Hinrichtung selbst ein Hohn, jetzt doppelt verhöhnt dadurch, dass der Mob mit seinem Videohandy dabei war, der Mob hat selbst gefilmt, das ist nun amtlich. Alle Gerüchte, dass Saddam nach dem Ende des offiziellen Staatsvideos den Strick abnahm und mit seinen Henkerschauspielern Kaffee trinken ging, sind mit dem Handyfilm hinfällig.

    Der Irakkrieg war der letzte Krieg vor dem Handykino. Die Schweinereien vor und nach Abu Ghraib gibt es nur als Digitalfotos. Ab jetzt findet der Geschichtsunterricht bei Youtube und anderen Tagebuchvideoportalen statt. Keiner wird sich mehr das Material von in den Truppen eingebetteten Journalisten ansehen, diesen trostlosen Seglern unter US-Flagge.

    Von den starken Reden beim NPD-Stammtisch bis zu den Giftspritzern aus Texas, von den Bilanzfälschern in Aufsichtsratssitzungen bis zu den Misshandlungen von Kindern durch zuckersüße Stiefväter, von den Zusammenbrüchen von Frauen in südchinesischen Fabriken bis zum Niederstrecken Andersfarbiger durch glatzköpfige Schläger - ab jetzt bleibt nichts mehr in der Kiste. Handyvideos suchen sich den Weg nach draußen, sie klammern sich ans Netz. Vorbei die Zeiten, als Mobiltelefone nette High-Tech-Teile waren, aus denen es "Oops, I did it again" bimmelte! Freunde, Schergen, das Spiel ist aus!