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Das Digitale Logbuch: Weich gekochte Hotlines

Eine Hot Line ist laut Definition eine exklusive Telefonverbindung zwischen zwei Partnern. Die Exklusivität geht so weit, dass die beiden Telefonapparate nicht einmal eine Wählscheibe brauchen. Abheben des roten Telefons in Washington genügt, und es klingelt im Kreml, und umgekehrt. Diese Definition stammt vom Sommer 1963, kurz nach der Kubakrise.

Von Maximilian Schönherr |
    Sie hat in den USA lange gehalten, wurde ein wenig gespreizt, indem man auch Notrufnummern Hotlines nannte. In den 90ern kam der Begriff nach Deutschland. Weil "heißer Draht" so bescheuert deutsch und "Hotline" so toll amerikanisch klang, wurde er übernommen, ohne dass jemand mal nachgefragt hätte, was die Hotline eigentlich ist. Wenn ich heute über meine Webseite Klobürsten verkaufe, schreibe ich da nicht einfach eine Telefonnummer hin, unter der sich Leute bei mir beschweren können, ein "Kontakttelefon", ein "Bürgertelefon" oder so, sondern ich nenne diese Telefonnummer "Hotline": Rufen Sie die Hotline an, wenn Sie Probleme mit Ihrer Klobürste haben!

    Natürlich wäre ich verrückt, da selbst ans Telefon zu gehen. Deshalb schließe ich einen Vertrag mit einem Call Center ab. In diesem Anruferzentrum arbeiten Menschen, die keine Ahnung von Klobürsten haben (übrigens auch nicht von DSL und Photoshop), die aber ein paar Trainingsstunden lang darin geschult wurden, zu deeskalieren, zu deutsch, jemandem, der stocksauer ist, nicht anzuschreien, sondern die Mähne zu kraulen. Während die klassische Hotline zwischen der Sowjetunion und den USA zu Zeiten des kalten Kriegs dem exklusiven Zweikampf per Telefon oder Fernschreiben diente, sind heutige Hotlines durch Call Centers gepufferte Weichkocher.

    Statt Probleme durch direkte Ansprache zu lösen, bis sozusagen der Draht richtig hot wird, kühlen sie den Konflikt auf Zimmertemperatur herunter. Die meisten Hotlines nutzen dabei ein dreistufiges System. Eine automatische Ansage zwingt dem wütenden Anrufer ihre Verhandlungsbedingungen auf, indem er erstmal schön ruhig eine Taste für ein Menü drücken muss. Dann hört er einige Minuten lang diese bescheuerte, GEMA-freie Melodie. Erst dann geht der "für Sie reservierte nächste persönliche Berater" ran und haucht über sein Headsetmikro ins Ohr: "Was kann ich für Sie tun?"