Dem Tisch ergeht es wie dem Mann am Klavier. Willkommen ist sein Beitrag zur Geselligkeit, aber besondere Beachtung wird ihm nicht geschenkt. Bettgeschichten sind allemal aufregender als Tischgespräche, und die Missachtung gilt auch für den Museumsbetrieb. Mit Dienerrollen als Stillebenträger muss sich das Ding auf vier Beinen in der Kuratorenwahrnehmung begnügen, obwohl das vermeintliche Alltagsobjekt einen solistischen Auftritt verdient. Das Versäumnis holt jetzt die Ludwig Galerie im Schloss Oberhausen nach. Die um das kulturell aufgeladene Möbelstück kreisende Themenschau "Zu(m) Tisch!" ist die erste ihrer Art.
Aufgetischt wird ein breites zeit- und gattungsübergreifendes Spektrum zwischen dem sakralen Altar und dem mondänen Spieltisch, auf dem die Fotokünstlerin Anett Stuth unter schimmernden Kronleuchtern die Roulettkugel kreisen lässt. Mehr als 60 Positionen zählt die Künstlerliste, der Rundgang führt von der Antike zur Gegenwart, von den frommen Tischherrn des Mittelalters zu den Bad Boys von heute, die das Tischtuch zwischen Konvention und ästhetischer Provokation zerschnitten haben. Und doch bleibt das horizontale Möbel unangreifbares Zentrum der Kommunikation.
Trotzdem darf, zumindest öffentlich, gemeinsam nicht mehr geraucht werden. Stefan Wewerka, der messerscharf akkurate Designironiker, hat seinen runden Rauchtisch in der Mitte zersägt und die beiden Hälften in Form eines qualmverschlingenden Fischmauls wieder verleimt. In solch einen Abgrund stürzt auch die enthemmte Gesellschaft, die der Leipziger Maler Sighard Gille um den tafelnden Künstlerfürsten Heisig gruppiert. Von da schweift der Blick hindernislos zum derben Vergnügen am Wirtshaustisch, den der niederländische Barockmoralist Jan de Groot in den Mittelpunkt seines Sittengemäldes rückt. Man sieht, dass das nützliche Holzgestell, in seiner Grundform nie ernstlich verändert, mühelos die Epochen überbrückt.
Hochdramatisch geht es bereits auf dem Brüsseler Tischaltar zu, der zur Bühne für ein religiöses Spektakel wird. Papst Gregor der Große zweifelt während einer Eucharistiefeier an der Verwandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut, worauf der Gekreuzigte in voller Lebensgröße vom Materholz herabsteigt und aus seiner Stichwunde den Messkelch füllt. In der Folgezeit dient die Tafel mit kostbarem Geschirr und erlesenen Speisen als Schauplatz bürgerlichen Wohlstands, wobei die eingeflochteten Vanitas-Mahnungen nach neuerer Forschung durchaus nicht eindeutig sind. Es könnte ja sein, dass die Virtuosität der Künstler die Vergänglichkeit der Blumen und Früchte auszuhebeln versucht. Den aktuellen Beweis für die These liefert Daniel Spoerri mit einem seiner Fallenbilder: Die schäbigen Reste eines Frühstückstisches hängen wie ein unvergängliches Meisterwerk an der Museumswand.
Über jeden Zweifel erhaben sind dagegen die leeren Tische, Zeugnisse der Armut wie Picassos "Karges Mahl" oder Einladungen zur Meditation wie Ben Willikens' verlassener, ausgebleichter Abendmahlsraum frei nach Leonardo da Vinci: ein Monument der Stille und zugleich Projektionsfläche für das kollektive Bildergedächtnis. Tabula Rasa dann im Atelier: Andreas Deckardt stellt vor eine unberührte Leinwand einen Beistelltisch ohne jedes Malutensil. Gefordert ist die Phantasie des Betrachters, der von anderen Arbeitstischen in Hockneys Studio und im Dürer-Gehäuse des Bibelübersetzers Hieronymus erfahren hat, wie sich Kreativität stimulieren und organisieren lässt.
Ein Bravourstück ist Anita Brendgens' poetischer Traum von einem Labortisch. Aufgehängt an unsichtbaren Nylonfäden, schweben Kolben, Mörser und Filtrationsgeräte, geformt aus weißem Papiermaché, in der Luft. Einer Bildhauerin ist es gelungen, die Schwerkraft zu überwinden. Aufgelöst, diesmal in angedeuteter Zeichnung, hat sich auch Guttusos Tisch für Picassos Totenmahl, eingerahmt von Heldenfiguren des Oeuvres wie Gertrude Stein, Apollinaire und Jacqueline Roque an der Seite des mythischen Stiers. Der Chef der Tafelrunde wird zur geisterhaften Erscheinung, der Tisch ist Verhikel für die Fahrt in die Ewigkeit.
Die Ausstellung "Zu(m) Tisch!" in der Ludwig Galerie Schloss Oberhausen läuft bis zum 12. September 2010.
Aufgetischt wird ein breites zeit- und gattungsübergreifendes Spektrum zwischen dem sakralen Altar und dem mondänen Spieltisch, auf dem die Fotokünstlerin Anett Stuth unter schimmernden Kronleuchtern die Roulettkugel kreisen lässt. Mehr als 60 Positionen zählt die Künstlerliste, der Rundgang führt von der Antike zur Gegenwart, von den frommen Tischherrn des Mittelalters zu den Bad Boys von heute, die das Tischtuch zwischen Konvention und ästhetischer Provokation zerschnitten haben. Und doch bleibt das horizontale Möbel unangreifbares Zentrum der Kommunikation.
Trotzdem darf, zumindest öffentlich, gemeinsam nicht mehr geraucht werden. Stefan Wewerka, der messerscharf akkurate Designironiker, hat seinen runden Rauchtisch in der Mitte zersägt und die beiden Hälften in Form eines qualmverschlingenden Fischmauls wieder verleimt. In solch einen Abgrund stürzt auch die enthemmte Gesellschaft, die der Leipziger Maler Sighard Gille um den tafelnden Künstlerfürsten Heisig gruppiert. Von da schweift der Blick hindernislos zum derben Vergnügen am Wirtshaustisch, den der niederländische Barockmoralist Jan de Groot in den Mittelpunkt seines Sittengemäldes rückt. Man sieht, dass das nützliche Holzgestell, in seiner Grundform nie ernstlich verändert, mühelos die Epochen überbrückt.
Hochdramatisch geht es bereits auf dem Brüsseler Tischaltar zu, der zur Bühne für ein religiöses Spektakel wird. Papst Gregor der Große zweifelt während einer Eucharistiefeier an der Verwandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut, worauf der Gekreuzigte in voller Lebensgröße vom Materholz herabsteigt und aus seiner Stichwunde den Messkelch füllt. In der Folgezeit dient die Tafel mit kostbarem Geschirr und erlesenen Speisen als Schauplatz bürgerlichen Wohlstands, wobei die eingeflochteten Vanitas-Mahnungen nach neuerer Forschung durchaus nicht eindeutig sind. Es könnte ja sein, dass die Virtuosität der Künstler die Vergänglichkeit der Blumen und Früchte auszuhebeln versucht. Den aktuellen Beweis für die These liefert Daniel Spoerri mit einem seiner Fallenbilder: Die schäbigen Reste eines Frühstückstisches hängen wie ein unvergängliches Meisterwerk an der Museumswand.
Über jeden Zweifel erhaben sind dagegen die leeren Tische, Zeugnisse der Armut wie Picassos "Karges Mahl" oder Einladungen zur Meditation wie Ben Willikens' verlassener, ausgebleichter Abendmahlsraum frei nach Leonardo da Vinci: ein Monument der Stille und zugleich Projektionsfläche für das kollektive Bildergedächtnis. Tabula Rasa dann im Atelier: Andreas Deckardt stellt vor eine unberührte Leinwand einen Beistelltisch ohne jedes Malutensil. Gefordert ist die Phantasie des Betrachters, der von anderen Arbeitstischen in Hockneys Studio und im Dürer-Gehäuse des Bibelübersetzers Hieronymus erfahren hat, wie sich Kreativität stimulieren und organisieren lässt.
Ein Bravourstück ist Anita Brendgens' poetischer Traum von einem Labortisch. Aufgehängt an unsichtbaren Nylonfäden, schweben Kolben, Mörser und Filtrationsgeräte, geformt aus weißem Papiermaché, in der Luft. Einer Bildhauerin ist es gelungen, die Schwerkraft zu überwinden. Aufgelöst, diesmal in angedeuteter Zeichnung, hat sich auch Guttusos Tisch für Picassos Totenmahl, eingerahmt von Heldenfiguren des Oeuvres wie Gertrude Stein, Apollinaire und Jacqueline Roque an der Seite des mythischen Stiers. Der Chef der Tafelrunde wird zur geisterhaften Erscheinung, der Tisch ist Verhikel für die Fahrt in die Ewigkeit.
Die Ausstellung "Zu(m) Tisch!" in der Ludwig Galerie Schloss Oberhausen läuft bis zum 12. September 2010.